Mit einem Blick auf Kommissar Semir Gerkhan hinter Gittern endet die vorläufig letzte Staffel von "Alarm für Cobra 11". Gerkhan hatte Recht gebrochen, um seine unschuldig im türkischen Knast sitzende Mutter zu retten. So steht er in grüner Knastkluft, alleine, im Gefängnis, die Gitter schließen sich. Er habe all das tun müssen, um seine Ehre nicht zu verlieren. 25 Jahre und rund fünf Monate nach der Ausstrahlung der allerersten Episode sind alle hergestellten Folgen ausgestrahlt und ob die Produktion nach über einem Jahr Drehpause jemals wieder aufgenommen wird, scheint fraglich. Nun muss es keinen Reflex geben, eine Serie nur ihrer Tradition wegen zu verlängern. Auch Dauerbrenner wie die "Lindenstraße", die nach 35 Jahren das zeitliche segnete, oder die "SOKO München", die rund 42 Jahre lang On Air waren, wurden nach ihrem Abschied recht wenig beweint. Kann auch die "Cobra" ins TV-Museum? Besser nicht.

Nicht auszuschließen, dass die Trauer der Fernsehschauenden im Falle einer Absetzung der Actionserie überschaubar ausfallen würde. In den vergangenen Jahren waren die Zuschauerzahlen rückläufig. Die in den vergangenen Wochen im Eiltempo am Donnerstagabend versendete "vorläufig letzte Staffel", wie RTL sie nannte, holte die niedrigsten Reichweiten, auch wenn sich mancher Fan seinen Action-Stoff womöglich lieber bei TVNow abholte, als auf die RTL-Ausstrahlung zu warten. Vielleicht ist die "Cobra" aber auch wirklich ein Stück aus der Zeit gefallen. Geboren wurde jene Serie einst in den 90ern, als Michael Schumacher erstmals mit seinem Ferrari auf den Formel-1-Strecken der Welt um die Kurven fuhr. Deutschland war Schumi-Land, das Auto ohne Zweifel ein wichtiges Statussymbol. Spektakuläre Crashes im Fernsehen – made in Germany – sorgten für Traumreichweiten.

Freilich hat sich das im Jahr 2021 geändert. In Zeiten der Klimakrise ist auch das Verhältnis von nicht wenigen Bürgern (gerade den Männlichen!) zu Autos ein anderes geworden. Der Hauptgrund, warum die "Cobra" aber weiterleben sollte, war 375 Episoden lang (drei davon "im Urlaub") Teil der Serie und ist in Deutschland ähnlich bekannt wie Schimanski: Kommissar Semir Gerkhan, durchgehend gespielt von Erdogan Atalay. Der in Hannover geborene Schauspieler, dessen Vater türkischer Herkunft ist, dürfte in den 25 Jahren seinen Anteil an gelungener Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland haben.  Speziell in den vergangenen Jahren wurde überdeutlich, wie extrem die Serie auf ihn zugeschnitten war.

Cobra 11 2009 © TV Now / Guido Engels Tom Beck als Ben Jäger mit Erdogan Atalay als Semir Gerkhan. Das vielleicht beste Ermittler-Duo in der "Cobra 11"-Geschichte.

Gerkhan war auf lange Sicht die einzige Konstante im Format. Rechnet man den nur ganz am Anfang an seiner Seite ermittelnden Frank Stolte mit, so ging Semir mit acht Kommissaren und in den jüngsten beiden Staffeln einer Kommissarin auf Streife. Dabei kam es schon früher vor, dass sich die Tonalität des Formats mit dem Einstieg eines neuen Ermittlers geändert hatte. Als Gedeon Burkhard etwa zwei Staffeln lang Chris Ritter spielte, wich der vorher von Tom Kranich (Rene Steinke) bekannte Humor, die Episoden wurden ernster, dunkler. Nach den zwei Burkhard-Staffeln folgte die über fünf Jahre andauernde Ben-Jäger-Ära. Nicht wenige sagen, dass das Team Semir/Ben das stärkste, weil passendste aller Zeiten war. Wenig verwunderlich also, dass nach dem Ausstieg von Tom Beck erneut eine kürzere Ära folgte – der von Vinzenz Kiefer gespielte Kommissar Brandt blieb nur zwei Jahre. Dann übernahm Schauspieler Daniel Roesner und sein Paul Renner brachte ein Stück die alte Leichtigkeit zurück.

Dass die "Cobra" ein bisschen wie der große Rummelplatz sei, ein Ausflug auf die Kirmes, daraus machte der langjährige Produzent Herrmann Joha nie einen Hehl. Die Geschichten der Autobahnpolizei waren, in unterschiedlicher Ausprägung, fast immer larger than life. Die Serie war Krimi-Unterhaltung ohne wirkliche innere Logik, das wöchentliche Action-Fest mit liebgewonnenen Figuren. Und die "Cobra" war für RTL immer ein teurer Spaß. Mit dem Einstieg von Pia Stutzenstein, zuletzt zwei Staffeln lang als Vicky die erste Ermittlerin an Semirs Seite, wandelte sich die Serie erneut – diesmal aber so stark wie nie zuvor.

Von der Autobahn entfernt

Als Reaktion auf die im Streamingbereich so gefragten Serials traten episodenübergreifende Geschichten stärker denn je in den Fokus. Durchaus beeindruckend, wie beharrlich und ernsthaft die "Cobra" etwa die Geschichte von Rassismus in einer Dortmunder Polizeieinheit erzählte. Gut geschrieben und gemacht war letztlich auch die Story, die Semir zum eventuellen Serienende hinter Gittern brachte. Sie startete schon im Cliffhanger der letzten Folge mit Daniel Roesner und zog sich dann durch die beiden finalen Staffeln. Zusammen mit den fast durch die Bank ausgetauschten Nebendarstellern und der neuen Einsatzzentrale der Autobahnpolizei, die mit schwarzen Wänden und unzähligen riesigen Bildschirmen mehr nach "CSI" als nach dem bisher bekannten deutschen Polizei-Büro-Alltag aussah, war die "Cobra" kaum mehr wiederzuerkennen.

Fakt ist auch, dass sich die Geschichten zwar wieder mehr einer Normalität zuwandten (vorbei waren die Zeiten, in denen Woche für Woche internationale Großkriminelle mit ihren blinkenden Bomben gejagt wurden), sich dabei aber auch immer weiter vom Kernthema Autobahn entfernten. Nur noch manchmal mühten sich die Autorinnen und Autoren eine Verbindung zu den Schnellstraßen herzustellen. Das hat sicher ehemalige Fans verschreckt und war eine vermutlich einkalkulierte Entwicklung. Trotz der Tatsache, dass die Serie zuletzt mehr Zuschauende verloren als gewonnen hat, mag in der Neuausrichtung auch weiterhin eine Chance liegen. Das Format hat sich von der reinen Action-Serie zu einem (mindestens halbwegs) ernsten Krimiformat mit gelegentlichen Action-Anteilen gewandelt. Quasi ein echter Krimi statt florierender Kirmes. Zeitgeist statt Tradition. Und es verfügt mit Erdogan Atalay weiterhin über eines der prägendsten Sendergesichter von RTL.

Das bietet mehr Chancen als Risiken. Die Gefahren bei der Beauftragung einer neuen Staffel wären ohnehin hauptsächlich finanzieller Natur. Gelingt es inhaltlich, die "Cobra" noch ein Stück weiter zu entkernen, dann steht dem Format nach 25 Jahren wieder Vieles offen. Eine örtliche Verlagerung an die schönen Strände Deutschlands, die als wichtiger Bestand öffentlich-rechtlicher Krimireihen gelten, ist ebenso denkbar wie regelmäßige Ausflüge ins europäische Ausland. Gesendet als jeweils 120 Minuten langes Event könnte die "Cobra" der Tradition klassischer öffentlich-rechtlicher Crime-Reihen folgen und als eben solches programmiert wieder mehr als zuletzt als besonders wahrgenommen werden.

Neben der Frage, ob RTL seinen jahrelangen Helden Semir Gerkhan am Ende der TV-Ära wirklich als im Knast sitzend erzählt haben will, bleibt aber noch eine weitere. Warum war es gerade Erdogan Atalay, der zuletzt in PR-Interviews zur zurückliegenden Staffel so ganz offen und gerade heraus von einem Serienende und einer Absetzung sprach, während RTL-Fiction-Chef Hauke Bartel unlängst betonte, dass er glaube, dass die Geschichte der "Cobra" noch nicht auserzählt sei? In der Tat: Die Weiterentwicklung des Charakters Semir nach seiner Haftzeit, sei es als Privatermittler oder über Umwege wieder im Polizeidienst, wäre reizvoll.

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