Die strahlende Sonne Kretas – bei wolkenfreiem Himmel und Temperaturen um die 30-Grad-Marke – konnte Marcus Wolter nicht davon abhalten, aufmerksam das Geschehen der deutschen Branche auf seinem Smartphone zu verfolgen. Als das Medienmagazin DWDL.de vorige Woche seine jährlichen Analysen der "Produktionsriesen im Umbruch" startete, meldete sich der Banijay-Boss aus dem Urlaub, um das Fehlen seiner Unternehmensgruppe in der Reihe der Größten zu bemängeln.

Der Einwurf war berechtigt. Weil die französische Banijay Group zum Jahreswechsel eine Einstandserklärung für ihre deutsche Tochter abgegeben hatte, seither also für deren Zahlungsverpflichtungen gegenüber Dritten einsteht, müssen hierzulande keine Bilanzen mehr veröffentlicht werden. Die grobe Umsatzangabe auf der eigenen Webseite, so stellte sich heraus, war längst überholt. Die Zahlen, die DWDL.de jetzt einsehen konnte, zeigen, dass Banijay Germany im Geschäftsjahr 2022 um 20 Prozent gewachsen ist – auf Gesamterlöse von 309,5 Millionen Euro. Damit gehört der Konzern tatsächlich unter die fünf größten deutschen Produktionsgruppen, genauer gesagt auf den vierten Rang zwischen Studio Hamburg und Bavaria Film.

Von seinen Peers hebt Banijay sich in mancherlei Hinsicht stark ab. Während die anderen fünf Gruppen allesamt mit großen fiktionalen Projekten auf ihre Umsatz-Flughöhen kommen, dominiert bei Wolters Truppe das kleinteilige Geschäft mit zahllosen Nonfiction-Formaten. Die vorläufige Liste der 2023er Produktionen zählt bis dato 68 verschiedene TV-Formate sowie 24 Live-Shows und Tourneen – so viel wie bei keinem anderen Unternehmen. Und während von den übrigen CEOs vorige Woche durchweg warnende Worte zur Geschäftsentwicklung in Zeiten von Inflation und Kundenzurückhaltung zu hören waren, gibt Wolter sich betont optimistisch. 

"Es entspricht nicht unserer DNA, den Kopf einzuziehen, nur weil der Markt etwas rauer wird", sagt der Banijay-Lenker und -Mitgesellschafter zu DWDL.de. "Wir haben keine Unterhaltungskrise. Die Gesamtzahl der Kundinnen und Kunden, der Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich für Unterhaltung begeistern, sinkt ja nicht. Im Gegenteil: Der Markt für Unterhaltung wächst eher noch. Es kommt allerdings mehr denn je darauf an, sich entlang der verschiedenen Marktbedürfnisse klug zu diversifizieren. Und gemeinsam mit unseren Partnern und Kunden immer wieder Wege zu finden, wie man auch bei knapperen Budgets sinnvolle Finanzierungen hinbekommt."

Banijay Germany auf einen Blick

  • Vorjahresumsatz: ca. 310 Millionen Euro

  • Geschäftsführer: Marcus Wolter

  • Gesellschafter: Banijay Group (80,22%), Stefan Raab (10%), Woltertainment / Marcus Wolter (9,78%)

  • Produktionsfirmen: Banijay Productions Germany, Brainpool TV, Endemol Shine Germany, Good Humor, Good Times, MadeFor Film, Noisy Pictures

  • Produktionen 2023: Beauty and the Nerd (ProSieben); Blamieren oder Kassieren (RTL); Christoph Daum – Die Doku (Sky); Dating Naked (Paramount+); Die Höhle der Löwen (Vox); Dünentod – Ein Nordsee-Krimi (RTL); Kampf der Realitystars (RTLzwei); Kitchen Impossible (Vox); Loving Her (ZDFneo); Merz gegen Merz (ZDF); Number One in America – Jeremy Fragrance goes Miami (Sky); Promi Big Brother (Sat.1); Save the Date – Wen heirate ich in 50 Tagen? (Vox); Temptation Island (RTL+); The Masked Singer (ProSieben); TV total (ProSieben); Wer wird Millionär? (RTL); Yes we camp! (Kabel Eins)

Die Logik dahinter leuchtet durchaus ein. Programme wollen schließlich weiter befüllt werden, da ist Umschichtung auf kostengünstigere Genres für manche Sender und Streamer eine gern genommene Option. Aus Produzentensicht treibt die Inflation gerade die Fiction-Umsätze in Rekordhöhen, während die Margen jedoch dramatisch einbrechen. Bei skalierbar herstellbaren Show- und Reality-Formaten sind die Erlöse pro Stück zwar von vornherein niedriger, doch am Ende bleibt trotz Kostensteigerungen ein deutlich besserer Deckungsbeitrag übrig. Das lässt sich gut am Beispiel der größten Banijay-Tochter, Endemol Shine Germany, ablesen: Obwohl sie 2021 ihr ursprüngliches Umsatzziel von 102 Millionen Euro um neun Prozent verfehlt hatte, gelang es ihr laut Geschäftsbericht, das EBIT-Ziel um zehn Prozent zu übertreffen – auf ein Vorsteuer-Betriebsergebnis von knapp 15 Millionen Euro. Während Entertainment-Fabriken wie Endemol Shine die gegenwärtige Krise mit ansehnlichen Umsatzrenditen um die 15 Prozent betreten haben, freuen sich Macher von Miniserien und Filmen derzeit schon über niedrige einstellige Margen.

Merz gegen Merz © Martin Valentin Menke / MadeFor / ZDF Fiction in der Minderheit: MadeFor Film produziert "Merz gegen Merz"
Dennoch bleibt Wolter bei dem, was er schon im Februar im DWDL.de-Interview zu Protokoll gegeben hatte: "Im fiktionalen Bereich könnten wir als Banijay Germany noch zulegen, aber das ist eine Frage der passenden Opportunität." Ganz so eilig scheint es momentan nicht. Außerhalb des deutschen Markts gilt eine andere Gewichtung: Während die Banijay Group insgesamt 24 Prozent ihrer Umsätze mit Fiction erwirtschaftet, steuert die einzige deutsche Fiction-Schmiede MadeFor Film nur rund 13 Prozent der Banijay-Germany-Erlöse bei. Der Löwenanteil – rund ein Drittel – stammt von Endemol Shine, gefolgt von Brainpool mit etwa einem Fünftel und Banijay Productions Germany mit etwa einem Zehntel des Gesamtumsatzes. Banijay Germany wiederum trägt knapp zehn Prozent zum globalen Geschäft der Banijay Group bei, das im Vorjahr 3,2 Milliarden Euro erlöste.

Wolter spricht vom "Banijay-Ökosystem", das man weiter ausgebaut habe, und von einer "Star Alliance" unabhängiger Tochterfirmen, die kreativ eigenständig entwickeln und anbieten sollen. "In schwierigeren Zeiten wie diesen ist die Verlässlichkeit von Hits umso wichtiger", sagt der einstige Producer und heutige Geschäftspartner von Stefan Raab. "Alle Produzenten sollten daran interessiert sein, ihre Hit-Rate hochzuhalten. Als Gruppe sind wir so vielfältig und mit so unterschiedlichen Skills in den jeweiligen Labels aufgestellt, dass wir zum Vorteil unserer Kunden die Wahrscheinlichkeit von Hits deutlich erhöhen können."

 

Mit dem richtigen Kopf an der Spitze wäre es unter Umständen möglich gewesen, die nötige Substanz an Wachstumsprojekten wieder aufzubauen.
Marcus Wolter über die Lage bei Noisy Pictures

 

Von der Liste der 2023er Produktionen entstehen 37 Prozent für RTL Deutschland, 30 Prozent für ProSiebenSat.1, 13 Prozent für RTLzwei, sechs Prozent für Warner Bros. Discovery und je drei Prozent für ARD und ZDF. Um das Kerngeschäft herum hat Wolter aus teils langjährig bestehenden Beteiligungen von Brainpool, teils neuen Zukäufen eine stark erweiterte Wertschöpfungskette geschaffen: von Künstlermanagements, mit deren Klienten die konzerneigenen Produktionsfirmen neue Formate entwickeln sollen, über das Live- und Digitalgeschäft, mehr eigene Vermarktungsangebote à la "Wok-WM" in der neu formierten Banijay Media bis hin zur konsequenteren Ausnutzung der eigenen Studio- und Technikdienstleister unter dem neuen Label "Banijay Infrastructure Germany".

Tim Mälzer © RTL / Ruprecht Stempell Star und Unternehmer: Tim Mälzer ist an Potatohead Pictures beteiligt
Wo die Stärken des Konstrukts liegen, zeigt sich etwa dann, wenn Brainpool seine Erlöse aus bestehenden Formaten bzw. Formatbestandteilen wie "Blamieren oder Kassieren" durch Senderwechsel maximiert oder wenn Endemol Shine einen seiner wichtigsten Protagonisten, Tim Mälzer, durch Gründung der gemeinsamen Produktionsfirma Potatohead Pictures langfristig bindet, an der der Hamburger TV-Koch zu 30 Prozent beteiligt ist. Dass Wolters Wachstumsstory freilich auch Schwächen hat, legt der Fall der Tochterfirma Noisy Pictures offen. Banijay hatte die frühere Sony Pictures mitsamt Geschäftsführerin Astrid Quentell im Oktober 2022 übernommen – und kurz nach deren Rückzug im Juli nun die Schließung der Firma verkündet. Das passt nicht ins Bild der dynamischen Expansion einer starken Allianz von Kreativen. Selbst wenn es gute geschäftliche Gründe für den radikalen Schnitt geben mag, bleibt der unschöne Eindruck der 19-köpfigen Noisy-Belegschaft, die Mitte August ihre betriebsbedingten Kündigungen erhielt und sich von Banijay nach Ansicht Betroffener "kurz, technokratisch und unwürdig abgefertigt" fühlte.

Wolter sagt, es tue ihm leid, dass man die Noisy Pictures schließen müsse, vor allem für die Mitarbeiter, die nicht weiterbeschäftigt werden. Es habe jedoch keine andere Option gegeben. "Mit dem richtigen Kopf an der Spitze wäre es unter Umständen möglich gewesen, die nötige Substanz an Wachstumsprojekten wieder aufzubauen. Wenn aber plötzlich Kopf und Wachstumssubstanz fehlen, können wir den vorhandenen starken Marken, die aus der Noisy kommen, eine weitaus bessere Perspektive innerhalb der Gruppe bieten." Mit dieser Argumentation tritt Wolter auch dem Verdacht entgegen, Banijay habe es entweder von Anfang an darauf abgesehen, die Firma zu zerschlagen und ihre Formate zu verteilen, oder bei der Due-Diligence-Prüfung nicht richtig aufgepasst.

Fraglich ist dennoch, ob Noisy Pictures nicht etwas schlechter gerechnet wurde als unbedingt nötig. Laut ihrem jüngsten Geschäftsbericht vom 10. Februar machte die Firma 2022 rund 19 Millionen Euro Umsatz und rechnete fürs laufende Jahr mit etwa 22 Millionen Euro – immerhin eine Steigerung um 15 Prozent. Nach DWDL.de-Informationen hat RTLzwei eine neue Staffel des "Glücksrads" bestellt, und auch "Der Lehrer" darf sich Hoffnungen auf ein Comeback in veränderter Form – der mittlerweile dritten Inkarnation nach Sitcom-Halbstünder und Drama-Einstünder – machen: RTL hat Noisy mit der Entwicklung von Drehbüchern für 90-Minüter beauftragt.

Sollte es zum Produktionsauftrag kommen, würde dieser zu MadeFor Film wandern, wo Produzentin Nanni Erben praktischerweise eh schon beim RTL-"Dünentod" mit Hauptdarsteller Hendrik Duryn zusammenarbeitet. Das wohl wichtigste Asset von Noisy, "Die Höhle der Löwen", ist bereits einschließlich der Frühjahrsstaffel 2024 abgedreht und wird bekanntlich von Endemol Shine übernommen. Ob "Jeopardy", "Die Pyramide" und "Dating Game" bei Sat.1 weitergehen, steht noch nicht fest.

Selbst wenn die von den damaligen Noisy-Geschäftsführern Astrid Quentell, Mirek Nitsch und Marcus Wolter im Februar unterzeichnete 22-Millionen-Euro-Prognose nicht ganz aufgehen sollte, bleibt der Zusammenhang zur Konzernprognose dennoch spannend. Banijay Germany erwartet in diesem Jahr nach eigenen Angaben eine Steigerung der Umsätze um vier Prozent auf 320,8 Millionen Euro. Mit anderen Worten: Ohne die Noisy-Aufträge, die nun in der Gruppe verteilt werden, würde man de facto nicht wachsen, sondern leicht schrumpfen.

Produktionsriesen im Umbruch – bisher erschienen