Herr Brandt, ihr Finanzbetrüger Magnus Cramer trägt seine Schmierigkeit mit weißem Kunstgebiss und Bräunungscreme vor sich her. Mussten Sie dafür ins Solarium oder nur in die Maske?

Das ist tatsächlich ganz klassisches Theater-Makeup. Allerdings wurde für Magnus Cramers Hautton viel herumexperimentiert. Ich glaube, das Geheimnis ist Karottenöl.

Können Sie das auch für den Alltagsgebrauch empfehlen?

Hab‘ ich privat nicht ausprobiert, aber wenn Sie interessiert sind, lasse ich Ihnen das Rezept gern zukommen. Wirklich neu waren für mich aber eher die falschen Zähne. Es war aufwändig, die so anzufertigen, dass sie beim Sprechen nicht zu sehr stören, sie haben mir aber großen Spaß bereitet.

Beeinflussen äußere Veränderungen wie diese automatisch das Spiel?

Klar. Viele fangen überhaupt erst an mit diesem seltsamen Beruf, weil sie sich gerne verkleiden. Schließlich denken und fühlen sich alle Menschen gerne in andere hinein; wir aber genießen das Privileg, dies professionell tun zu dürfen. Und damit das gelingt, gibt es innere Dispositionen, aber eben auch äußere, und sei es ein komischer Hut.

Wobei Sie sonst eher selten mit komischem Hut oder falschem Gebiss kostümiert sind.

Beides existiert aber ja in der Realität. Ich meine auch Typen wie Magnus Cramer gelegentlich zu begegnen.

Zähne und Bräune sind also keine Behauptungen?

Nein, aber wie in jeder Komödie üblich, natürlich Verdichtungen. Die Dinge in unserer Serie passieren also komprimierter, in kürzerer zeitlicher Abfolge, aber isoliert betrachtet ist keines der einzelnen Elemente etwa an Magnus Cramer irreal.

Zumal er offensichtlich eine Mischung aus dem flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek und Tesla-Chef Elon Musk sein soll.

Solche Figuren sind generell Bastelarbeiten. Auch in die hier ist alles Mögliche eingeflossen, also womöglich auch Marsalek und Musk, vielleicht aber auch ein größenwahnsinniger Erdkundelehrer. Sie sind zum Glück völlig frei in Ihrer Assoziation.

Die, dass Cramers Onlinezahlungsdienstleister CableCash Marsaleks Onlinezahlungsdienstleister Wirecard ähnelt, wirkt allerdings nicht ganz so frei assoziiert…

Nur weil vor Urzeiten irgendwo mal der erste Mord geschehen ist, werden ja auch nicht sämtliche Krimis von dem einen abgeleitet. Wirecard dürfte demnach ein wichtiger Impuls der Geschichte sein; der mir persönlich komplett unverständliche Finanzsektor treibt jedoch so bizarre Blüten, dass die hier bloß eine von vielen ist. Weil das alles so weit weg von mir ist, genieße ich das große Privileg, als Schauspieler dort eintauchen zu dürfen, sehr.

Sie investieren also auch privat nicht in FinTech oder Finanzderivate?

Ich weiß ja gar nicht genau, was das alles ist.

King of Stonks © Netflix

Das geht vielen so, von denen viele dennoch in solche hochspekulativen Anlagearten investieren. Mehr noch: Verkäufer solcher Produkte wie Magnus Cramer förmlich verehren. Wie erklären Sie sich das?

Ganz einfach eigentlich: ohne Betrogene gibt’s auch keine Betrüger. Beides bedingt einander.

Sind Sie folglich immun dagegen, sich von einem PR-Genie wie Cramer betrügen zu lassen?

Weil ich für jegliche Form von Pathos sehr unempfänglich bin und mit diesem ganzen Selbst- oder Lebensoptimierungsquatsch entsprechend wenig anfangen kann, vielleicht schon. Trotzdem kann ich es nachvollziehen, wie die künstliche Euphorie solcher Konzepte Menschen anlockt. Das tut mir dann immer ein bisschen leid.

Hat die Serie da ein Aufklärungs-, also Sendungsbewusstsein oder will sie einfach unterhalten?

Unterhaltung und Aufklärung müssen ja kein Widerspruch sein. Denn bei aller Unterhaltsamkeit haben mir Sequenzen, in denen hier Finanzprodukte erklärt werden, sehr geholfen, sie zumindest partiell zu verstehen. Ich finde die Serie lustig und hilfreich zugleich, ob das allerdings mit Sendungsbewusstsein zu tun hat, müssten Sie die Macher fragen.

Verbinden Sie mit Ihrer Arbeit denn generell ein Sendungsbewusstsein, Zuschauer und Leser aufzuklären, womöglich aufzurütteln?

Meine Arbeit ist zunächst mal eher eine beobachtende, forschende. Ich beschäftige mich gern mit der Widersprüchlichkeit des Menschen, seiner Uneindeutigkeit; Begriffe wie Sendungsbewusstsein oder noch schlimmer: Belehrung erfordern dagegen Eindeutigkeit, die keiner schauspielerischen Darstellung zugutekommt. Menschen sind immer ein bisschen komplizierter als gedacht.

Suchen Sie in einer eher negativen Figur wie Magnus Cramer daher positive Seiten?

Nein, ich suche nach Glaubwürdigkeit. Ob dafür noch 20 Gramm Sympathie in Magnus Cramer muss, damit der Kuchen schmeckt, wäre mir zu kalkuliert. Ich muss es nicht gut finden, was er macht, ich muss es nur verstehen. Alles andere überlasse ich den Zuschauern.

Viele Ihrer Kolleg:innen entgegnen auf diese Frage, sie versuchen selbst im Obersturmbannführer Aspekte zu finden, die sie an ihm mögen.

Ich glaube, da geht es eher darum, Filmfiguren nicht eindimensional darzustellen, weil eindimensionale Figuren schnell langweilig werden. Ich persönlich möchte einen Obersturmbannführer weder privat noch beruflich mögen.

Weit jenseits vom Obersturmbannführer gibt es den Fernsehtrend, Betrügern wie dem WeWork-Gründer Adam Newman oder dem Kaufhauserpresser Dagobert verständnisvolle Serien zu widmen. Wie erklären Sie sich diese Faszination fürs vermeintlich Böse?

Dadurch, dass diese Faszination eher Leuten zwischen den Polen von Gut und Böse gilt. Dagobert zum Beispiel hatte ja versucht, Handelskonzerne so zu erpressen, dass niemand zu Schaden kommt. Für viele hat ihn das zu einer Art Robin Hood gemacht. Je normierter das Leben ist, desto beliebter werden Exzentriker. Von denen möchte ich schon deshalb erzählen, weil sie das Spektrum übers Gewöhnliche hinaus erweitern, also bereichern. Kategorien wie Gut und Böse sind dabei eher nebensächlich; die Leute interessieren sich für interessante Figuren.

Spielen Sie denn lieber Normalos oder Exzentriker?

Am allerliebsten möchte ich nicht vor der Frage, was ich zu spielen kriege, schon entscheiden müssen, was es sein darf und was nicht. Nur, wenn ich mich nicht festlege, werden mir sämtliche Varianten des Lebens angeboten.

Dann wünsche ich Ihnen, dass Ihnen auch weiter alle spannenden Varianten des Lebens angeboten werden.

Oh, danke sehr. Ihr Wort in des Produzenten Ohr!

"King of Stonks" steht ab dem 6. Juli bei Netflix zum Abruf bereit.