Wer tagein, tagsaus deutsches Mainstreamradio hört und bei allem mitmacht, wozu er aufgefordert wird, der hat mitunter viel zu tun. Da müssen gerne mal Zehner gesammelt werden, die im Falle einer dann im Radio genannten Seriennummer deutlich mehr Wert sein können. Rechnungen für kaputte Haushaltsgeräte, Heizkosten oder jeglichen Firefanz lassen sich ebenso bezahlen, sofern zur richtigen Zeit gehört wird wie auch bestimmte Money Hits in den laufenden besten Musik-Mixe für einen Geldsegen sorgen. All diese Radiogewinnspiele haben letztlich ein Ziel: Sie sollen Aufmerksamkeit erregen, sie sollen Einschaltimpuls sein und letztlich die Menschen dazu bringen, zu sagen, dass sie einen entsprechenden Sender gehört haben, wenn denn das Telefon klingelt und via Umfrage die aktuellen Radioquoten erhoben werden.



Doch wie sehr die teils schon in die Jahre gekommenen Gewinnspielideen auch 2023 wirklich noch tauglich für Reichweitensteigerungen sind, darüber ist sich die Branche ein Stück weit uneins, wie DWDL-Gespräche mit mehreren Entscheidern ergab. Major Promos, welcher Art auch immer, haben die meisten privaten Sender derzeit noch im Programm. Und doch ist spürbar, dass die große Faszination an den Radiogewinnspielen möglicherweise nachgelassen hat.

Marc Haberland © RTL Radio Deutschland Marc Haberland
Das Radiospiel, das in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten landauf- landab eingesetzt wurde ist "Radiosender zahlt deine Rechnung". Mit teils abgewandeltem Titel lief es bei FFH, FFN, Antenne Bayern, Antenne Niedersachsen und vielen weiteren. Mit wenigen Stationen wird das Spiel aber so sehr verbunden wie mit 104.6 RTL. Der Berliner Sender tritt mit dem Selbstverständnis an, für die "größten und besten Gewinnspiele" zu stehen, wie Geschäftsführer Marc Haberland im DWDL-Gespräch verrät. RTL-Studien sollen sagen, dass "Arno zahlt Deine Rechnungen" das beliebteste Radiogewinnspiel unter Berliner und Brandenburger Radiohörerinnen und -hörern sei. Aber auch, dass die Wichtigkeit von Gewinnspielen im Vergleich zu früher sicher etwas nachgelassen habe. Ein Gewinnspiel alleine reiche nicht, um einen nennenswerten MA-Erfolg zu erzielen. "Es ist ein wichtiges Instrument neben anderen. Am Ende machts die Summe", sagt Haberland – der zu wissen glaubt , dass speziell Rechnungen noch ziehen. "Die Beliebtheit ist über die Jahre stetig gestiegen. Ein Phänomen, das man zum Beispiel auch aus dem Fernsehen oder dem Buchmarkt kennt, wo oft die erste oder zweite Staffel nicht die erfolgreichste ist, sondern die Formate über die Jahre immer mehr Fans einsammeln und aufbauen".

Yvonne Malak © Lydia Rech Yvonne Malak
Auch Yvonne Malak, die als Beraterin für mehrere Radiosender in Deutschland tätig ist, spricht nicht von abnehmender Akzeptanz solcher Spiele. "Bei meinen Kunden erforschen wir regelmäßig die Akzeptanz von Gewinnspielen und die ebbt nicht ab", sagt sie. "Es wird aber wichtiger, den Nerv der Zielgruppe zu treffen." Antenne Bayern, weiterhin meistgehörter privater Sender des Landes, glaubte vor nicht langer Zeit, diesen eher mit dem Verzicht von solchen Gewinnspielen zu treffen. In der Radiosaison 21/22 warb der Sender unter anderem mit dem Slogan "Mehr Musik, weniger Gewinnspiele". Das hat sich seit vergangenem Spätsommer wieder geändert. Denn, man möchte sagen, passend zur Inflation werden im Programm wieder mehrfach täglich Rechnungen bezahlt.

Die Zeit der schreienden Gewinnspiele ist vorbei. So viel ist klar. Daniel Lutz, Programmchef Antenne Bayern

Daniel Lutz © Antenne Bayern Daniel Lutz
Trotzdem sagt Daniel Lutz, Programmdirektor des Senders mit Sitz in Ismaning vor den Toren Münchens: "Die Zeit der schreienden Gewinnspiele ist vorbei. So viel ist klar." Es sei aber trotzdem kein Branchen-Geheimnis, dass Gewinnspiele "eine gewisse Zugkraft" haben würden, die "auf eine gewisse Klientel" wirke. Die Kunst sei es, sagt der Radiomacher, die Balance zu finden zwischen der Befriedigung des Spieltriebes für diesen Hörerkreis und dem Wunsch nach entspanntem Radiohören bei den Anderen. Auch Yvonne Malak weist immer wieder darauf hin, dass man das wissen und damit arbeiten müsse, "dass ein großer Teil der Radiohörer generell von Gewinnspielen genervt ist." Diese Situation aus gewinnspielaffiner Zielgruppe, den "passiv konsumierenden Gewinnspiel-Hörern und den Gewinnspiel-Ablehnenden zu meistern", das sei die Herausforderung beim Designen und der Umsetzung solcher Promotions. Oder wie es Marc Haberland kurz und prägnant sagt: "Es geht darum, den Teil der Menschen, die gerne mitmachen, zu animieren und den Rest nicht zu nerven."

Wie also lässt sich die Rechnung perfekt umsetzen – und wie keinesfalls? Antenne Bayern versucht derzeit nach Angaben von Daniel Lutz, "gerade Gewinnspiele besonders unterhaltsam umzusetzen." Als Beispiel nennt er die Tatsache, dass sein Sender einer zwölfjährigen Sportschützin die Rechnung für ein Luftgewehr gezahlt habe. So entstand im Programm mit Hörerinnen und Hörern eine "lebhafte Diskussion", wie sich Lutz erinnert. "Die einen fanden es toll, die anderen sahen darin ein Problem, wenn Kinder mit Waffen umgehen." Die anschließende Debatte hatte dann also mit einem Gewinnspiel gar nichts mehr zu tun. Die Rechnung als Startschuss für Programminhalte – kein neues Element im Programm, aber eines, das Radiomacherinnen und -macher seit Jahren konsequent nutzen, weil die Themen direkt vom Menschen kommen.

Diskussion um Diskussionen

Auch Marc Haberland weiß, dass es Sender gibt, die den Rechnungsgegenstand "sehr ausführlich thematisieren – bis zu scheinbar kontroversen Diskussionen unter den Mods, ob man diese und jene Rechnung bezahlen darf oder nicht" – und macht es dennoch anders. "Wir wollen die Spielrunden für alle so kurz wie möglich halten. Aufruf, Rückruf, Payoff, Glückwunsch, Tease, weiter geht’s. Kritiker wenden hier ein 'Aber ihr verschenkt die Geschichte hinter der Rechnung'". Genau das wird bei 104.6 RTL aber für überbewertet gehalten, sagt Haberland. "Natürlich ist zwischendurch auch mal eine originelle Rechnung dabei. Aber die meisten Menschen haben ganz normale Rechnungen – Möbel, Shoppen, Reisen, Elektronik, usw – und sie sollen merken, dass man damit gewinnt. Und bei inzwischen tausenden bezahlten Rechnungen ist es für die Nicht-Teilnehmer einfach nicht interessant, ob sich Ingrid Müller aus Charlottenburg einen Dackel gekauft hat oder Bernd Müller aus Eberswalde eine Woche Dubai bucht."

Valerie Weber © WDR/Annika Fußwinkel Valerie Weber
Valerie Weber selbst hat über viele Jahre hinweg Rechnungen im Radioprogramm bezahlen lassen – unter anderem mit dieser Promotion trieb sie Antenne Bayern, ihren damaligen Sender, zu neuen Reichweitenrekorden. Inzwischen ist sie Programmgeschäftsführerin bei der Audiotainment Südwest und somit verantwortlich für die Mainstream-Wellen RPR.1 und Radio Regenbogen. Rechnungen können dort nicht eingereicht werden – "zu wenig überraschend" sei das Gewinnspiel heutzutage, findet Weber, nicht ohne anzufügen, dass die Rechnung weiter eine tolle Promo sei, "die in allen Märkten noch funktioniert." Aber sie sei einfach nicht neu und inspirierend und überraschend. "Wie muss ein Sender sein, wenn er Leitmarke sein will? Einerseits verlässlich, andererseits niemals langweilig", glaubt sie.

Auch Stephan Offierowski, Programmchef von Hitradio Antenne 1 in Baden-Württemberg sagt: "Ich werde im Programm keine Rechnungen mehr bezahlen." Seinem Gefühl nach ziehe das Ding nicht mehr. "Wenn man 20 Jahre lang die gleiche Promotion, das Rechnungbezahlen, überall spielt, dann steckt da natürlich eine Einfallslosigkeit dahinter." Zumal die Rechnung auch nicht dafür gesorgt habe, an anderer Stelle entstandene Reichweitenproblematiken aufzufangen, erklärt der Antenne 1-Programmverantwortliche. "Und somit kommen wir mit dem Bezahlen von Rechnungen aus dem momentanen Tief auch nicht heraus."

Wenn man 20 Jahre lang die gleiche Promotion, das Rechnungbezahlen, überall spielt, dann steckt da natürlich eine Einfallslosigkeit dahinter. Stephan Offierowski


Stephan Offierowski © Hitradio Antenne 1 Stephan Offierowski
Er weiß aber, dass es einen Verlust gab durch das Weglassen dieser Promo – dieser lasse sich an den Online-Zahlen erahnen. "Wir hatten schon gesehen, dass es wirkliche Pay-Off-Peaks gab." Allerdings seien diese Spitzen aber auch immer wieder sofort abgefallen.  "Die kamen von den Powergewinnspielern, also den drei Prozent. Verweildauer erzeugen Sie damit nicht."

Haberland verweist indes auf die "mobilisierbare Gruppe von RadiohörerInnen, die durch attraktive Gewinne bewegt werden können, häufiger einzuschalten und/oder länger dranzubleiben." Über die Faktoren "häufiger/länger" baue man Reichweite auf.

Unsere Themenwoche Radio

  • Mitte kommender Woche werden die neuen Radio-Quoten veröffentlicht. Für Radioverantwortliche sind die Zahlen entweder Bestätigung oder Anlass für Veränderungen. In Zeiten, in denen Radio immer neue digitale Konkurrenz bekommt, stellen sich der Gattung zahlreiche Fragen. Wie muss mein Programmmix aussehen? Funktionieren die über Jahre verwendeten Major Promos noch? Wo finde ich Nachwuchs für's Team und nicht zuletzt: Wie sicher sind bisherige Finanzierungsmodelle? Über all diese Fragen hat DWDL.de mit Entscheidern quer durch die Republik gesprochen. Die Antworten: Diese Woche in unserer Themenwoche.

 

Man kann aber beim Design von Radiogewinnspielen auch viel falsch machen. "Ein schlechtes Gewinnspiel ist ein Spiel ihne strategischen oder taktischen Nutzen", erklärt Beraterin Malak. Ein ganz schlechtes Spiel sei etwa eines, für das man nicht einmal Radio hören müsse. Auch schlecht sei: "viele Hürden, um mitmachen zu können, lange Erklärungen, fehlende Verabredungen oder komplizierte Modi. Alles leider auch 2023 immer noch Alltag im deutschen Radio", moniert sie. Fehler, die speziell hinterm Mikro gemacht werden könnten, seien etwa nicht nachvollziehbare Aufrufe oder Payoffs oder langwierige Aufllösungen.

Wie geht es aus der Sicht von Malak richtig? Ein gutes Gewinnspiel löse für einen Sender ein Problem. "Zuerst muss man als Radiomacher überlegen, wo das Gewinnspiel ansetzen soll: haben wir ein Imageproblem, ein Morgenshowproblem, ein Recycling-Problem? Wenn das identifiziert ist, kann man anfangen, sich einen passenden Modus zu überlegen." Längst sei das aber nicht üblich. Einige Radiomacherinnen und -macher würden sich, so Malak, sagen: "Sender XY macht dieses Spiel, der Sender ist erfolgreich, also mache ich das auch. So funktioniert strategisches Radiomachen aber nicht."

Und in der Tat verfolgt jedes noch so simpel klingende Radiogewinnspiel vielfach durchachte Strategien. 'Das geheime Geräusch' habe früher über die hohen Gewinnsummen und die Einfachheit funktioniert, erinnert sich Offierowski. "Viele Hörer waren der Meinung, sie hätten es schon erraten und sind wahnsinnig geworden, wenn wieder jemand on air eine falsche Lösung genannt hat. Solche Spiele machen Radiosender in erster Linie nicht für die Gewinner, sondern für die Voyeure." Der Trick sei dann, die Gewinnrunden maximal unterhaltend zu gestalten. "Ich erinnere mich an die heute wegen Datenschutzbestimmungen gar nicht mehr möglichen 50.000-Euro-Anrufen. Das Spiel hat nur dann funktioniert, wenn jeder Pay-Off maximal unterhaltend war. Bei uns musste damals in Niedersachen Morning-Moderator Schollmayer sich einen Wolf telefonieren. Das war aber extrem lustig und unterhaltend, aber eben auch sehr aufwändig."

Geld spielt(e) keine Rolle

Wolfram Tech © BCI / Midhat Mulabdic Wolfram Tech
Wenig überraschend also ist der Trend beim Gewinnspieldesign weggegangen von den hohen Gewinnbeiträgen. Das weiß auch Wolfram Tech, Chef der Firma BCI, die mehrere Sender in Deutschland berät. "Die Zeit der exorbitant hohen Preise, mit denen sich konkurrierende Sender zu überbieten versuchten, ist zum Glück schon länger vorbei. Gut überlegte Aktionen, Gewinnspiele, die zum Überlegen anregen und wirklich möglichst alle Hörer ansprechen, werden auch in Zukunft Hörer zum längeren Verweilen anregen." Gewinnspiele, bei denen alle Hörer sich aktiv oder passiv beteiligen können, seien seiner Meinung nach im Trend. "Sie zahlen auf das Konto „Unterhaltung“ ein und involvieren die Hörerschaft, weil jeder mitmachen kann, auch wenn er nicht bei Sender anrufen möchte. "Wenn ein Hörer Spaß hat, bei einem Gewinnspiel mitzumachen und wenn es noch mehr Spaß bringt, bei einem Gewinnspiel zuzuhören, und zwar so lange, bis der Pay-Off auch wirklich zu Ende ist, können wir davon ausgehen, dass es aufgeht."

Und entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass – wenngleich die Wichtigkeit von Radiogewinnspielen abgenommen und so mancher Modus abgenutzt scheint – auch künftig große Programm-Promotions im Herbst und Winter laufen, die alle nur einen Zweck haben. Aufmerksamkeit erzeugen und dafür sorgen, dass die zuhörenden Menschen auch Wochen später, wenn sie am Telefon gefragt werden, welchen Sender sie denn nun gestern gehört haben, "das Richtige" antworten.

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