Erinnern Sie sich noch an "Vampy", "Bim Bam Bino" oder "Trick 7"? Auf diese Namen hörten einst die Kinderprogramme großer Privatsender. Auch RTL setzte lange in seinem Hauptprogramm auf Zeichentrickserien für Kinder - doch 2007 erfolgte schließlich das Aus des Programmblocks "KRTL", der seinerzeit für Kinder-RTL stand. Wer heute Sendungen für Kinder sehen möchte, wird inzwischen im linearen Fernsehen - abgesehen von ARD und ZDF, die am Wochenende nach wie vor entsprechende Angebote in ihren Hauptprogrammen liefern - fast ausschließlich bei Kindersendern wie Super RTL oder dem Disney Channel fündig.

Doch sind jetzt auch die Tage von Super RTL oder Nickelodeon endgültig gezählt? Der Blick nach Großbritannien könnte dieser Tage einen Vorgeschmack darauf geben, was auch dem deutschen Fernsehen droht: Dort hat der Privatsender ITV jüngst angekündigt, seinen Kindersender CITV nach 17 Jahren einzustellen. Im Herbst soll Schluss sein, heißt es in London, wo man zugleich schon für den Sommer eine Alternative in Aussicht gestellt hat: Mit einem kostenlosen Bereich auf dem kürzlich gestarteten Streamingdienst ITVX sollen die 6- bis 12-Jährigen in Zukunft mit Kids-Content versorgt werden. Entscheiden sich die Eltern für ein Premium-Abo, entfällt die Werbung. 

Der Grund für den Schritt liegt auf der Hand. Um 62 Prozent sei die klassische Fernsehnutzung bei Kindern alleine seit dem Jahr 2019 zurückgegangen. Dass dem Nachwuchs die Lust auf Kinderprogramme vergangen ist, gilt als ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist da schon die Vermutung, dass sich der Konsum schlicht verlagert hat - weg vom linearen Programm, hin zum Streaming, wo inzwischen auch Disney+ oder Netflix um die Gunst der jüngsten Zuschauerinnen und Zuschauer buhlen. 

Sehdauer (3- bis 13-Jährige)

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Quelle: DWDL.de-Recherche; Aufbereitung: DWDL
dwdl.de/zahlenzentrale


In Deutschland wirkt der Kinder-TV-Markt dagegen bislang trotz wachsender Konkurrenz erstaunlich unverändert. Marktführer Super RTL ist seit fast 28 Jahren auf Sendung und hat vor wenigen Jahren mit Toggo Plus gar einen linearen Timeshift-Sender gestartet. Daneben senden der Disney Channel und der öffentlich-rechtliche Kika ebenso wie das zum Paramount-Konzern zugehörige Nickelodeon, das mit kaum mehr als fünf Prozent Marktanteil in der Kernzielgruppe aber allenfalls eine Nebenrolle spielt.

Auf den ersten Blick wirkt der Markt gesund: Zwar bekommen auch die privaten Kindersender die derzeitige Werbeflaute zu spüren, doch die Geschäfte der großen Anbieter liefen zuletzt gut - auch, weil die Quoten augenscheinlich stimmten. Super RTL etwa liegt mit seiner Kindermarke im März aktuell bei mehr als 20 Prozent in der Zielgruppe der 3- bis 13-Jährigen, der Disney Channel performt seit Jahren meist stabil zweistellig. Das Problem: Auch in Deutschland ist die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer rückläufig. Beispiel: Erreichte Super RTL vor fünf Jahren oft über eine halbe Million Menschen am Vorabend, so waren es zuletzt oft nicht mal mehr 200.000. 

 

"Ich bin davon überzeugt, dass wir auch in fünf Jahren noch lineares Kinderfernsehen sehen werden."
Thorsten Braun, CEO von Super RTL

 

Thorsten Braun © RTL / Annette Etges Thorsten Braun
Die Entwicklung passt zum Abwärtstrend der Sehdauer, der ähnlich krass voranschreitet wie in Großbritannien. Sahen 3- bis 13-Jährige vor zehn Jahren im Schnitt noch 90 Minuten pro Tag lineares Fernsehen, so lag der Wert im zurückliegenden Jahr bei gerade mal 37 Minuten. Alleine seit 2017 hat sich die Sehdauer nahezu glatt halbiert. In einen Abgesang will Thorsten Braun, CEO von Super RTL, trotzdem nicht einstimmen. "Ich bin davon überzeugt, dass wir auch in fünf Jahren noch lineares Kinderfernsehen sehen werden", sagt er im Gespräch mit DWDL.de. "Die Entwicklung überrascht uns nicht, auch wenn 2022 mit einem Reichweiten-Verlust von 20 Prozent ein besonders hartes Jahr gewesen ist."

Ausschließlich auf lineares Kinderfernsehen zu setzen, wäre trotzdem zu wenig. "Wir sehen im Linearen nach wie vor großes Potenzial, aber die Beiboote werden immer wichtiger", betont Braun. "Kinder denken nicht linear, sondern nur in Inhalten, die sie spannend finden und die sie über die ihnen zugänglichen Geräte konsumieren wollen. Sie möchten letztlich, egal wo sie unterwegs sind, ein Toggo-Angebot nutzen. Daher macht es sich für uns bezahlt, dass wir neben dem linearen Sender mit YouTube, unserer App, dem Web-Angebot, dem Radiosender, der Toggo-Tour und der Handelspräsenz breit aufgestellt sind und der Entwicklung besser begegnen können als die Konkurrenz."

Eun-Kyung Park © Disney Eun-Kyung Park
Doch auch die direkte Konkurrenz gibt sich zufrieden. "Bei den Kindern, der Zielgruppe der Daytime im Disney Channel, ist TV noch immer das meistgenutzte Medium mit der höchsten Reichweite, die erfreulicherweise gerade in den letzten Wochen bei uns wieder eine positive Entwicklung nimmt", erklärt Eun-Kyung Park, General Manager Media bei Walt Disney, gegenüber DWDL.de. "Damit ist TV weiterhin sehr wichtig für uns." Zugleich betont Park, das Nutzungsverhalten der jungen Zielgruppe genau zu beobachten. Mit dem Streamingdienst Disney+ und dem "Disney Digital Network" biete man jedoch "das perfekte Zusammenspiel der verschiedenen Plattformen über unser seit langem erweitertes Portfolio".

Kinder-Zielgruppe bleibt begehrt

Übergreifend wachse man also auf allen Kanälen, "auch im linearen TV", betont die Disney-Chefin, die sich allerdings auf härtere Konkurrenz im Streaming einstellen muss. So hat Super-RTL-CEO Thorsten Braun schon vor Monaten angekündigt, den Kinderbereich bei RTL+ unter der Verantwortung von Super RTL deutlich ausbauen zu wollen. Dieses Segment werde "für die Kapitalisierung immer wichtiger", so Braun. "Wir wollen unser Toggo-Angebot in der On-Demand-Welt mit erhöhtem Ressourcenaufwand etablieren und weiterentwickeln." Dadurch, aber auch durch besagte Toggo-Angebote wie den zuletzt stark gewachsenen Radiosender, soll den Werbekunden weiter "werberelevante Reichweite" geboten werden, auch wenn die lineare TV-Nutzung sinkt. 

Dass die Kinder-Zielgruppe weiter attraktiv ist, zeigt indes der Blick auf die NFL. Als einer der Gründe, weshalb RTL Deutschland den Zuschlag für die amerikanische Football-Liga bekommen hat, gilt die Tatsache, dass das Kölner Medienunternehmen - anders als der bisherige Rechteinhaber ProSiebenSat.1 - eine etablierte Kindermarke besitzt, über die auch die Jüngsten an den US-Sport herangeführt werden sollen. All diese Beispiele zeigen, wie vielschichtig das Geschäft mit dem Kinderfernsehen geworden ist. Dabei ist eines sicher: Die Zeiten von "Bim Bam Bino" oder "Vampy" sind endgültig vorbei.