Im Ranking der am wenigsten geschätzten Berufe landen Unternehmensberater regelmäßig ganz weit unten, noch hinter Bankern, Beamten und Journalisten. Sie sind immer zu teuer und haben nie Ahnung. Sie werden eingeflogen, um alle Leute rauszuschmeißen. Ansonsten weiß kein Mensch, was sie da so treiben . . . Das wenig schmeichelhafte Bild hält und nährt sich, aktuell etwa durch die Amazon-Serie „The Consultant“, in der Christoph Waltz ein zugegeben sehr krasses Exemplar dieser obskuren Zunft spielt, das Mitarbeiter feuert, nur weil er sie nicht riechen kann. In der Realität gibt es Berater wie Wolfram Winter. Wie dieser Kundengespräche führt, hätte sich Hollywood gleichwohl nicht krasser ausdenken können.

Auf die Frage, was kosten Sie denn so, hat sich Winter fast schon slapstickartig zu antworten angewöhnt: „Ich bin der teuerste Berater. Ich bin so teuer, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wenn es bei Ihnen nicht geht, dann ist das in Ordnung. Sonst kommen wir gerne ins Geschäft.“

So, so, und so einer hat die ARD beraten?

Wolfram Winter © Nadine Rupp
Die Aufregung war groß, als im Februar 2020 bekannt wurde, dass WDR-Intendant Tom Buhrow mit Wolfram Winter und Andreas Fünfgeld zwei externe Kommunikationsexperten einspannt, damit sie ihn zusätzlich zum hauseigenen Team durch die zwei Jahre ARD-Vorsitz begleiten, mit Option auf Verlängerung. Verlängert wurde dann tatsächlich, was Fragen nach der Notwendigkeit aufwarf, denn im Dezember 2021 besaß noch niemand die Fantasie, dass Buhrow ein halbes Jahr nach dem Stabswechsel an den RBB wieder ARD-Vorsitzender wird.

Und so endete das WDR-ARD-Mandat erst vor wenigen Wochen, zum 31. Dezember 2022. Höchste Zeit also, um mit Wolfram Winter zurückzuschauen und zu klären, was er Tom Buhrow in diesen drei Jahren eigentlich alles eingeflüstert hat.

„Buhrows Flüsterer“, wie ihn manche nennen, sitzt an diesem Freitag im Februar daheim in München auf gepackten Urlaubskoffern nach Dubai und wirkt tiefenentspannt, obwohl ihn noch kein einziger Strahl der Wüstensonne geküsst hat. Dass Hades, die in der Coronazeit angeschaffte Hündin, jault und im Hintergrund die Perle des Hauses feudelt (nein, nicht Winters Ehefrau Petra), bringt ihn nicht aus der Ruhe. Es muss alles noch blitzsauber werden vor der großen Reise und bevor am Nachmittag Edi Rama auf einen Tee vorbeischaut. Mit dem amtierenden Präsidenten von Albanien ist Winter in spannende Geschäfte verwickelt, wovon noch die Rede sein wird.

Aber erst einmal muss der große Kommunikator das schiefe Bild geraderücken: Beratung sei ein Geschäftsmodell wie jedes andere auch und nichts Obskures. Und mit Flüstern habe es in seinem Fall auch nichts zu tun. „Ich flüstere prinzipiell nicht, sondern ich sag’s laut.“

Seit er sich 2017 nach vielen Jahren als Medienmanager bei NBC Universal und Sprecher von Sky Deutschland mit der Three Winters GmbH für Beteiligungs- und Beratungsmanagement – der Agenturname ist eine Hommage an Frau und Sohn – selbstständig machte, hält sich Winter an den Grundsatz, niemanden zu beraten, der nicht beraten werden will. Wer wirklich eine Lösung finden will, dem hilft er gern. Die weit verbreitete Attitüde, ich bin dafür, dass ich dagegen bin, ist ihm dagegen zuwider. „Wer einen Wolfram Winter anheuert, muss das wissen.“

Im Übrigen können sich seine Kunden sicher sein: Im Unterschied zu den Boston Consultings und McKinseys der Beraterwelt, wo schon mancher beratene CEO dem Berater Platz machen musste, hegt Winter keinerlei solcher Ambitionen: „Meine Kunden wissen und sagen es mir auch: Ich weiß ja, dass du meinen Job gar nicht willst.“

Na, da hatte Tom Buhrow aber Glück.

Dass der Intendant in Köln ausgerechnet die Münchner Winter und Fünfgeld ins ARD-Boot holte, kam für Branchenkenner nicht überraschend. Fünfgeld berät Buhrow seit seinen „Tagesthemen“-Tagen. Winter kennt er wiederum seit den Neunzigern, als dieser Unternehmenssprecher beim Sportsender DSF war und er in gleicher Funktion bei RTL 2. Zusammen berieten sie Buhrow bereits in der „Me Too“-Affäre des WDR 2018.

Ob der 580.000-Euro-Etat, den sich das Duo für die Krisen-PR während Buhrows ARD-Amtszeit teilte, letztlich gut investiert war, liegt freilich im Auge des jeweiligen Betrachters. Krisen gab es zuhauf und eine richtig dicke gleich zu Beginn, als die Empörung über das Kinderliedchen „Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau“ durch die Social-Media-Kanäle brauste und Buhrow mehr als unglücklich reagierte. Wolfram Winter wäre jedenfalls der letzte, der seinen Beratereinsatz beim WDR in Zweifel zöge.

Ein Netzwerker vor dem Herren

Der Ruf, sich selbst am besten in exzellentes Licht zu stellen, eilt ihm voraus. Aber auch das wird dem 59-Jährigen nachgesagt: Er sei ein „Netzwerker vor dem Herrn“. Keiner verstehe es so gut, mit den richtigen Leuten in den Austausch zu gehen. Seine Strippen reichten überallhin, bis hin zur, uiuiui, Bayerischen Staatskanzlei. Wo es etwas anzupacken und zu bewegen gibt, sei Wolfram Winter nicht weit. In München fand er offenbar das optimale Terrain, um diese Qualitäten zu kultivieren.

Wolfram Winter © Nadine Rupp
Aus Werneck bei Schweinfurt, auch als Mainfränkisches Versailles bekannt, war er Mitte der 1980er zum Studieren an die Isar gekommen. Zu seinem akademischen Forschungsfeld erkor der angehende Politologe allerdings nicht das Treiben in der Bussi-Bussi-Stadt, sondern Südwestafrika. Das spätere Namibia war auf dem Sprung in die Unabhängigkeit von Südafrika. Dort spielte die Weltpolitik, und Wolfram Winter war hautnah dabei, als Journalist. Für den englischsprachigen „Windhuk Advertiser“, eine „natürlich omnipotent bedeutende“ Tageszeitung, scherzt er, durfte er Großkaliber wie Desmond Tutu und Franz Josef Strauß interviewen. Das machte er offenbar so gut, dass ihn NBC – also die Namibian Broadcasting Corporation und nicht zu verwechseln mit seinem späteren Arbeitgeber NBC Universal – als Sportredakteur und Moderator der Morgensendung einstellte.

1991 beendete er das Studium und damit auch seine Medienkarriere in Afrika. Zurück in München moderierte er zunächst bei lokalen Radios, bis er im Jahr drauf bei Leo Kirchs Mediagruppe München anfing, ohne allerdings zu wissen, dass er es mit Leo Kirch zu tun hatte.

Winter ging davon aus, in der Werbezeitenvermarktung von ProSieben zu arbeiten. Die Gesellschafterstruktur der Privatfernsehlandschaft hatte er nicht auf dem Zettel. Auch nicht, dass er als kleiner Bub bei einem Weinfest auf Kirchs Schoß saß, der ebenfalls aus der Bocksbeutelgegend stammt. Jahre später zeigte ihm die Mutter das Beweisfoto. In die Feinheiten des Münchner Medienmarkts fuchste sich Winter indes schnell ein. Mehr noch. Er stieg zur Fernsehsociety der Nullerjahre auf, in eine Liga mit Zockern wie Georg Kofler. Und natürlich wurde getratscht.

In München erzählt man sich aus jener süffigen Zeit zum Beispiel, dass in Winters Geschäftsführerbüro bei NBC Universal über den Designstühlen im Louis-Quinze-Stil ein Riesenporträt von ihm hing, an dem kein Gast vorbeikam (wobei die Stühle ihm zufolge von Ikea waren und es dieses Porträt so nicht gab). Oder dass der Liebhaber schneller Autos (das stimmt!) von der Schwabinger Privatwohnung ums Eck zur Arbeit lieber fuhr, als ging – alle sollten die Fähnchen und das Nummernschild mit CC sehen, die ihn als Honorarkonsul von Namibia auswiesen.

Mister Pay TV

Ja, Winter polarisierte mit seiner Persönlichkeit. Aber dass er tüchtig war und immer wieder mit guten Ideen auffiel, bestreiten nicht mal seine ärgsten Kritiker. So gründete er 2007 die Premiere Star GmbH, eine Satellitenplattform, auf der zum ersten Mal in Deutschland Pay-TV unabhängig von Premiere möglich war. Er erarbeitete sich den Titel „Mr. Pay TV“, machte bei Sky Deutschland Karriere und schloss das Kapitel, als sein CEO Brian Sullivan gehen musste und die zentrale Entscheidungsebene nach London verlagert wurde. Sich wieder auf einen neuen Chef einlassen zu müssen und nicht selber Chef zu sein, das konnte sich Winter nicht vorstellen. Bitte kein Corporate Life mehr. Also wurde er Berater auf eigene Rechnung.

Und damit zurück nach Köln, zum WDR.

Dass der ARD-Vorsitz sich alle zwei Jahre ändert, ist aus Winters Sicht „völlig irre“. Aber gut. Im Sommer 2019 tat sich eben diese neue Geschäftsoption auf. Über ein halbes Jahr zog sich der „höflich ausgedrückt sehr intensive Auswahlprozess“ für das WDR-Mandat hin, das Winter gewissermaßen als Fortführung seiner Lobbyarbeit bei Sky sieht. Beim Riesenprojekt „Babylon Berlin“ war es seine Aufgabe, die für manche ARD-Intendanten aus rein ideologischen Gründen unvorstellbare Zusammenarbeit doch schmackhaft zu machen, was bekanntlich gelang. Diesmal war die Herausforderung größer.

Aus seiner Sicht sind viele Intendanten in der Vergangenheit daran gescheitert, ihre alte Denke, wir entscheiden, wer zur Tür reinkommt, abzulegen, um auch mal die private Konkurrenz ernst zu nehmen oder, ganz tollkühn, den Zuschauer an erste Stelle zu setzen. „Aus Konsumentensicht ist es zum Beispiel völlig logisch, dass es nur eine öffentlich-rechtliche Mediathek geben sollte“, findet Winter, „das hat etwas mit Convenience zu tun.“ Wenn das ZDF das vehement ablehnt, dann ändere das nichts an seiner Überzeugung.

Er sei durchaus ein wenig stolz auf Tom Buhrow, fährt Winter fort, „weil er Denkverbote aufgehoben hat, ohne ein Systemsprenger zu sein“. Insbesondere in seiner Hamburger Rede (die er, haha, als Privatmann hielt), habe Buhrow offen ausgesprochen, „was mich und sicher auch viele andere Außenstehende wahnsinnig macht“. Das Beratungsgespräch muss man sich ungefähr so vorstellen: Du siehst es doch auch, dass du auf der Straße keine Mehrheit mehr hast für eine Beitragserhöhung. Ihr könnt euch doch nicht auf ewig nur durch das Bundesverfassungsgericht legitimieren, aber nicht von denjenigen, die ihren Beitrag per Gesetz entrichten müssen. Also tu was!

Die Rede selbst will Winter nicht selbst geschrieben haben. „Ich war und bin nicht Buhrows Redenschreiber.“ Berater seien dazu da, mit ihrer Kompetenz dem Ganzen eine Meinung hinzuzufügen und auf möglichen Widerstand, ja Wut vorzubereiten. „Wie derjenige meinen Rat letztlich umsetzt, ist dann seine Sache.“

Den ARD-Vorsitz hat inzwischen Kai Gniffke vom SWR übernommen. Auch er baut auf die Dienste externer Kommunikationskräfte, wie Ende Januar bekannt wurde. Die Erkenntnis, dass Berater möglicherweise doch etwas Vernünftiges beizutragen haben, scheine sich eben jetzt auch beim SWR durchgesetzt zu haben, registriert Winter nicht ohne Süffisanz. Mitgeboten habe er diesmal nicht; seines Wissens gab es auch keinen Pitch. Mindestens zehn Verwaltungsräte quer durch die ARD-Hierarchie hätten ihn angerufen, du machst weiter, oder? Denn jetzt werde es doch richtig ernst. Jetzt habe auch der Letzte kapiert, dass es sich um ein groß angelegtes Problem der ARD, ja des öffentlich-rechtlichen Rundfunks handelt, und dass es ganz sinnvoll wäre, Expertise nicht gleich wieder in den Lokus runterzuspülen.

Albanien, "einfach der Wahnsinn!"

Doch Winter winkte ab. Dauerberater der ARD? Nee, nee. Der persönliche Bezug habe sich mit Vertragsende zwar nicht in Luft aufgelöst. Er habe Tom Buhrow auch gesagt, wenn er ihn anrufe, müsse er sich nicht sorgen, dass er ihm eine Rechnung schicke. Aber seinen ganzen Elan steckt der Agenturchef derzeit in ein anderes, mutmaßlich lukrativeres und sicher stressärmeres Geschäft: Er berät das albanische Tourismusministerium.

Berge, Schnee, glitzerndes Meer, tolle Restaurants und Nightlife – wenn Winter von Albanien erzählt, dann nur in Superlativen: „Einfach der Wahnsinn! Was für ein offenes, lebenshungriges Land! Da findet eine Menge statt.“

Der Deal beinhaltet, dass der Berater aus Deutschland beim Aufbau von Albanien als Produktionsstandort für Filme und Serien hilft. Was dort schon stattfindet? Noch nicht viel. Zwar funkte ihn erst am Tag zuvor ein deutscher Produzent an, sie hätten sich gegen Kroatien und für Albanien entschieden. Aber bis Tirana so eine Bedeutung bekommt wie Dubrovnik durch „Games of Thrones“, wird es noch eine Weile dauern, schätzt Winter realistisch ein. Es sei noch eine Menge zu tun, bis die entsprechende Gesetzgebung und Infrastruktur stehen. Auch gebe es momentan noch keine funktionierende Filmförderung.

Aber hey, vielleicht lässt sich ja bei Hollywoodstar Christoph Waltz Interesse wecken. Wem, wenn nicht Wolfram Winter wäre das zuzutrauen?