Man durfte mit hohen Erwartungen an diesen Neustart gehen. Von nichts weniger einem "Paradigmenwechsel" sprach Daniel Rosemann, als der Sat.1-Chef im vergangenen Jahr eine dreistündige Livestrecke namens "Volles Haus!" ankündigte, mit der dem Nachmittags- und Vorabendprogramm von Sat.1 endlich, endlich, endlich neues Leben eingehaucht werden soll. Nun, acht Monate später, steht das Fundament, auf dem Rosemann den künftigen Erfolg seines Senders aufbauen möchte. Herausgekommen ist eine Spielfläche, die einem Eigenheim gleichkommen soll, bei der ersten Begehung jedoch stellenweise wirkt, als befinde man sich auf einem Rundgang im nächstgelegenen Ikea-Möbelhaus.

Ob "Volles Haus!" wirklich der erhoffte Gamechanger in der Daytime wird, wird das Publikum entscheiden müssen. Doch klar ist: Ein Jahr vor dem 40. Geburtstag von Sat.1 geht Daniel Rosemann all in - ohne Netz und doppelten Boden, befreit von sämtlichen Scripted Realitys, die dem Sender zuletzt noch ansehnliche Quoten bescherten, muss die neue Sendung auf Teufel komm raus funkionieren. Sicherheitshalber hat Sat.1-Chefredakteurin Juliane Eßling schon mal einen "superlangen Atem" in Aussicht gestellt. Vor diesem Hintergrund ist es womöglich ein Ausdruck von Weitsichtigkeit, dass sie im Vorfeld der Premiere erklärte, die 50. Ausgabe werde sicher "nicht so aussehen wie die erste".

Es ist dem Sender, aber auch seinem seit Jahren schrumpfenden Publikum zu wünschen, dass sie recht behalten wird, denn nach Ansicht der ersten Folge ist nur schwer vorstellbar, dass "Volles Haus!" schon in zwei Wochen noch so aussehen wird wie an diesem Montag. 

Und nein, es liegt gewiss nicht an Jasmin Wagner und Jochen Schropp, die das Publikum spürbar bemüht möglichst unfallfrei durch diesen wilden Drei-Stunden-Ritt zu manövrieren versuchten. Doch am Ende konnten auch Puddingteilchen und Mettigel das Scheitern des Unterfangens nicht verhindern. Zu groß war die Klammer, die das Moderations-Duo irgendwie zusammenhalten musste; zu undurchsichtig das Konzept, das die Redaktion stellenweise nur halbherzig umsetzte. Das beginnt schon damit, dass es die Verantwortlichen offensichtlich für eine gute Idee hielten, mit einem Beitrag zu beginnen, in dem ein als Johnny Depp verkleideter Schauspieler in Berlin erst die Menschen am Brandenburger Tor und schließlich die Sicherheitskräfte der Berlinale narrte, um die Aufmerksamkeit auf "Volles Haus" zu lenken. Als sei das Konzept der neuen Nebenbeifernsehsendung, die erklärtermaßen kein Magazin sein will, nicht schon erklärungsbedürftig genug, geht es also mit einem mäßig amüsanten Prank los, der allenfalls an mäßig gelungene Verladen bei "Verstehen Sie Spaß?" erinnert.

Dabei ist die Grundidee der neuen Sat.1-Sendung eigentlich simpel: Alle denkbaren Themen sollen in den verschiedenen Räumen des "vollen Hauses" abgebildet werden - und dort soll es möglichst so gemütlich sein, dass sich sogar die Moderatoren wie zuhause fühlen. Damit das auch der Letzte begreift, konnte das Sat.1-Publikum gut eine Minute vor dem eigentlichen Start sogar Zeuge werden, wie Jasmin Wagner nochmal durchsaugt. Ernsthaft.

Die doppelte Britt

Doch die Authentizität hat eben ihre Grenzen, wenn Britt Hagedorn im Hobbykeller plötzlich vor Publikum talkt - und sich dabei auch noch selbst zusehen kann. Denn anstelle sich zumindest die Mühe zu geben, den Anschein aufrechtzuerhalten, dass die Dailytalkerin für ihre nun ins "volle Haus" gezogene Show ein Stockwerk tiefer geht, wird deren Aufzeichnung mehr schlecht als recht in die Live-Strecke drapiert. Im Splitscreen ist zwischenzeitlich sogar zu erkennen, dass nicht mal Hagedorn selbst ihre eigene Sendung schaut, was angesichts des Themas, das darin behandelt wird, auch nicht weiter überrascht.

Um Spartipps soll es in der gut halbstündigen "Britt"-Ausgabe gehen. Der einst kontroverse Nachmittagstalk ist inzwischen also zum harmlosen Service-Plausch verkommen, dessen Inhalte den zusätzlichen Aufwand nun wirklich nicht rechtfertigten. Da lässt sich Hagedorn nun allen Ernstes im Keller-Setting von einem Gast auf einer Art Campingkocher erklären, wie sich Nudeln energiesparend kochen lassen, während "oben", also im "vollen Haus", eine voll ausgestattete Küche steht. Und das anschließende Basteln eines Abschminkpads aus alten Waschlappen scheitert daran, dass im Vorfeld im Team niemandem aufgefallen ist, dass die vorbereitete Schere, mit der alles zurechtgeschnitten werden soll, so stumpf ist, dass die Schnippelei vorzeitig abgebrochen werden muss.

Noch bevor der Talk-Teil (nicht live) vorbei ist, sieht das Publikum im unteren Bildschirmrand übrigens, wie Ingo Lenßen das Studio Haus betritt, in dem Hagedorn (live) zusammen mit Wagner und Schropp auf ihren nächsten Einsatz warten. Einen holprigen Übergang später darf Lenßen ein paar Rechtsfragen beantworten, ehe er von Jasmin Wagner kurz darauf eilig wieder aus dem Haus befördert wird. Kein Wunder, es muss plötzlich schnell gehen, weil der anschließende Beitrag mit den "Lockentipps" rechtzeitig ausgestrahlt werden soll, um den Regionalprogrammen pünktlich um 17:30 Uhr einen möglichst geschmeidigen Start zu garantieren. Doch trotz monatelanger Vorbereitung klappt genau das nicht: Noch bevor das Publikum erfährt, ob das teure Dyson-Ding besser ist als eine abenteuerliche Konstruktion aus Nudelsieb und Fön, bricht der Beitrag überall dort, wo nicht das bundesweite Sat.1-Programm zu sehen ist, knallhart ab. Das hätte Thomas Gottschalk vor über zehn Jahren bei "Gottschalk Live" nicht schlechter hinbekommen.

Von Dubai zum Glücksplaneten

Wer nicht die Regionalmagazine sieht, bekommt kurz darauf eine Spar-Version des "Perfekten Dinners" zu sehen, die tatsächlich so heißt: "Das Spar-Dinner" - und das macht seinem Namen alle Ehre. Weil das Budget von 20 Euro nicht überschritten werden darf, kommt hier Billig-Fleisch vom Discounter auf den Tisch. Wohl bekomm's. Danach geht's beim Promi-Talk im "Bunte live"-Ressort um die Trennung von Ex-"Let's Dance"-Moderatorin Sylvie Meis, bevor es wieder klingelt und Melissa Khalaj am Küchentresen mit vollem Mund die neue Staffel ihrer schönen Spielshow "99" bewerben darf. Zumindest die Sache mit der Crosspromo hat in der Auftakt-Ausgabe von "Volles Haus!" also funktioniert.

Wer vom großen Gemischtwarenladen noch immer nicht genug hat, bekommt nach zweieinhalb Stunden auch die "Wüstenköniginnen" zu sehen, eine recht amüsante Dokusoap über fünf gestandene Frauen, die sich in Dubai eine Karriere aufgebaut haben. Eine davon ist Elga, die als "Vorreiterin für die Schönheit" vorgestellt wird und so viele Haustiere hält, dass sie selbst einige Mühe hat, sie alle aufzuzählen. "Meine Tiere sind Therapie für mich", sagt sie und man glaubt ihr jedes Wort. Anders als Antonia Langsdorf, einer Astrologin mit Dschungelcamp-Erfahrung, die dem "vollen Haus" am Ende der schleppenden drei Stunden noch eine gute Zukunft voraussagt. Der Glücksplanet stehe "supergünstig", orakelt sie. Vielleicht hätte man besser einen Immobilienfachmann fragen soll. Der hätte vermutlich in unsicheren Zeiten wie diesen vom neuen Eigenheim eher abgeraten.

"Volles Haus! Sat.1 live", montags bis freitags um 16:00 Uhr

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