Mit der Entscheidung, eine im Nachkriegsdeutschland spielende TV-Serie im Jahr 1954 zu verorten, ohne auf das "Wunder von Bern" einzugehen, verstoßen Regisseurin Claudia Garde und die beiden Drehbuchautoren Martin Rehbock und Peter Furrer streng genommen gegen die ungeschriebenen Gesetze des deutschen Fernsehens. Zu kritisieren ist das nicht – im Gegenteil, denn "Bonn – Alte Freunde, neue Feinde", so der Titel der sechsteiligen Miniserie, die in diesen Tagen im Ersten und der ARD-Mediathek zu sehen ist, funktioniert auch ganz ohne Fußball-Euphorie und die dröhnende Stimme des legendären Kommentators Herbert Zimmermann.

An realen Ereignissen orientiert sich "Bonn" gleichwohl. Auf der einen Seite Otto John, der einst Widerstandskämpfer war und nun als Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz untergetauchte Kriegsverbrecher suchen lässt, um gegen ein erneutes Erstarken ehemaliger Nazis in Deutschland zu kämpfen. So wie Alois Brunner, der im Krieg die Deportation hunderttausender Juden verantwortete. Johns größter Widersacher ist Reinhard Gehlen, früherer Generalmajor der Wehrmacht und dann Chef des nach ihm benannten Auslandsgeheimdienstes "Organisation Gehlen", aus dem später der BND hervorging. Ohne handfeste Beweise zu haben, ist John davon überzeugt, dass Gehlen die Jagd auf ehemalige Naziverbrecher aktiv behindert.

Wann immer John und Gehlen im Zentrum der Handlung stehen, ist dies ein Höhepunkt. Das liegt an vielen starken Dialogen, aber auch den Schauspielern. Eindringlich verkörpert Sebastian Blomberg den Geheimdienstmann John, der mit dem Willen zur Aufarbeitung der Vergangenheit hadert und wild entschlossen ist, Deutschland von den Altnazis zu befreien. Die Rolle des schmierigen Widersachers Gehlen könnte dagegen mit Martin Wuttke kaum passender besetzt sein. Wie er den Intriganten darstellt, sucht seinesgleichen und lässt das Publikum mehr als nur einmal schlucken. "Einmal Verräter, immer Verräter", sagt dieser Gehlen in einem besonders starken Moment der Serie zu John – und meint damit dessen Teilnahme am gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler.

Bonn - Alte Freunde, neue Feinde © ARD/Odeon Fiction/Zuzana Panská Otto John (Sebastian Blomberg, M.) ist auf der Suche nach Alt-Nazis.

Eigentlich wäre das ausreichend Stoff gewesen, um einen packenden Agententhriller zu erzählen. Doch Claudia Garde belässt es nicht dabei und strickt um John und Gehlen eine fiktive Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt die eigentlich Hauptfigur Toni Schmidt steht. Eine junge Frau, die sich erkennbar nicht mit dem Frauenbild der 50er Jahre zufriedengeben will und nach Höherem strebt. Bei ihrem Sprachaufenthalt in London trifft sie erstmals auf Otto John und dessen jüdische Frau Lucie (Inga Busch) – und arbeitet nach ihrer Rückkehr nach Deutschland als Fremdsprachen-Korrespondentin ausgerechnet in Gehlens Büro, nachdem ihr Vater Gerd (Jürgen Maurer), ein wohlhabender Baustoffhändler, seinen guten Draht zum Chef des Geheimdienstes spielen lässt, weil er auch Jahre nach dem Kriegsende noch immer eng mit Alt-Nazis verbandelt ist.

Wie viel sich die Verantwortlichen der Serie vorgenommen haben, zeigt sich in weiteren Handlungssträngen: Da geht es um viel Unausgesprochenes, etwa die Trauer von Tonis Mutter Else (Katharina Marie Schubert) um ihren früheren jüdischen Liebhaber. Auch das Schicksal von Tonis Bruders, der offensichtlich während des Krieges erschossen wurde, beschäftigt die Familie. Und dann ist da auch noch ihr Verlobter, der als Besitzer eines Fernsehgeschäfts andere Zukunftspläne hat als die aufstrebende Toni.

Mercedes Müller, die in der Vergangenheit auch schon in der historischen ARD-Serie "Oktoberfest 1900" zu sehen war, füllt die vielschichtige Hauptrolle hervorragend aus. Dass sich in Toni sämtliche Herausforderungen, Zwiespälte und Gefühle der damaligen Zeit spiegeln, ist an mancher Stelle aber schlicht zu viel – erst recht, wenn sie sich dann auch noch zu einem adretten Spion, Johns engem Vertrauen Wolfgang Berns (Max Riemelt) hingezogen fühlt. In den meisten Fällen aber klappt die Vermischung von Fiktion und Realität, ohne ins Kitschige abzudriften, wenngleich andererseits bedauerlicherweise nicht jedes Detail stimmig wirkt wie die Inszenierung einer Karnevalssitzung, in der die Handbewegungen beim "Alaaf"-Ruf kaum vom Hitlergruß unterscheidbar sind.

Warum Reinhard Gehlen so viel Zeit in Bonn verbringt, obwohl dessen Organisation doch im bayerischen Pullach sitzt, ist eine der Fragen, die "Bonn" nicht vollends schlüssig zu beantworten vermag. Und so gelungen die Ausstattung der Serie über weite Strecken hinweg auch ist: Dass ausgerechnet eine der ersten Szenen – ein Silvesterfeuer in London – so offenkundig lieblos inszeniert ist, gibt mindestens einen Abzug in der B-Note. Allzu lange sollte man sich daran aber nicht stören, weil "Bonn" nach einiger Zeit, die es braucht, um all die Charaktere kennenzulernen, mächtig Fahrt aufnimmt. 

Ein sehenswertes Stück Fernsehen für alle, die Agententhriller mögen. Und diejenigen, die etwas über einen bislang vom Fernsehen weniger beachteten Aspekt deutscher Nachkriegsgeschichte lernen möchten.

"Bonn - Alte Freunde, neue Feinde" steht in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit und läuft an diesem Dienstag und Mittwoch sowie am kommenden Dienstag um 20:15 Uhr im Ersten.