Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der 'Tagesschau'. Taaa-taa-ta-ta-ta-taaa. Guten Abend, meine Damen und Herren. Sobald diese Ankündigung aus dem Flachbildfernseher gegen die Schrankwände deutscher Wohnzimmer schmettert, weiß die Nation: Es ist Zeit, sich den Unerfreulichkeiten des Tages zu stellen.

Mit teilweise mehr als 10 Millionen Zuschauer:innen kann das 20-Uhr-Flaggschiff der deutschen News-Kompetenz behaupten, "nach wie vor Deutschlands erfolgreichste Nachrichtensendung" zu sein. Was anfangs gar nicht so schwer war, weil ohnehin kaum jemand zusah, als heute vor genau 70 Jahre die allererste Ausgabe lief. Damals noch als Zusammenschnitt aus vorhandenem "Wochenschau"-Material, und vor eher überschaubarem Publikum, weil nur wenige Haushalte bereits eigene Fernsehgeräte besaßen.

Das hat sich im Laufe der Jahre geändert, im Gegensatz zur allgemeinen Steifheit, die die grumpy old lady der televisonären Ereignisvermittlung weiter zelebriert.

Auch wenn's bitter klingt: Eigentlich müsste man sie abschaffen. Weil das aber tendenziell unwahrscheinlich ist, wollen wir der (nach dem Testbild) zweitältesten noch laufenden Sendung im deutschen Fernsehen – völlig ungebeten und gegen das ausgeprägte Selbstbewusstsein der "Institution" ein paar wertvolle Tipps für die Zukunft mitgeben. (Ein neues Studio kommt ja sowieso.)

1. Versenkt die Werbeinsel

Die kostbaren Minuten vor ihrem Beginn, wenn viele Zuschauer:innen bereits eingeschaltet haben, verschenkt Deutschlands oft meistgesehene Nachrichtensendung an: einen sprechenden Primaten mit T-Shirt-Fimmel, wechselnde Protagonist:innen, die über ihre Reizdarmprobleme zu kommunizieren wünschen, und eine Baumarktkette, die ihre Blitzbotschaft direkt vor den Gong brettert.

Das mag aus Sicht der für die Werbevermarktung zuständigen Tochter ARD Media pures Gold sein (ab 44.600 Euro für 20 Sekunden in den "Best Minutes" nach 19.58 Uhr, PDF).

Es wäre alternativ aber auch der Ort, an dem ein öffentlich-rechtlicher Sender wie das Erste Themen jenseits des Tagesgeschehens aufgreifen könnte, die sonst nicht im Fokus einer größeren Zuseher:innenschaft stehen, sie dort aber automatisch erreichen würden.

Irre? Ach was. Wenn's darum geht, die Unterhaltung behalten zu dürfen, die manche Parteien ARD und ZDF gerne aus ihrem Auftrag rausverhandeln würden, greifen die Sender ja auf dieselbe Argumentation zurück: Im Umfeld von Shows könne man Zielgruppen z.B. für Informationsangebote gewinnen, die sie sonst nicht einschalten würden. Warum soll dieser Mechanismus nicht auch für ein Nachrichtenformat gelten, das im Schnitt von 4,109 Mio. Zuschauer:innen ab 3 Jahren (lt. ARD Media) gesehen wird?

Deshalb: Herr Grupp möchte bitte seinen Schimpansen aus dem "Tagesschau"-Vorprogramm abholen!

2. Grinseverbot für Constantin Schreiber

Es geht ja wirklich nichts über ein freundliches Lächeln im Angesicht all der Schreckensmeldungen, die uns Tag für Tag so erreichen – aber die Präzision, mit der der unter bösem Böhmermann-Verdacht stehende Constantin "I'm real" Schreiber am Ende jeder von ihm gesprochenen Ausgabe sein Grinsen anknipst, als würde er außenherum gleich unsichtbar werden, hat schon etwas Beängstigendes und gehört augenblicklich untersagt. Dann lieber ernst bis zum bitteren Ende.

3. Ein Serviceblock für LottoWetterSport

Okay, wir sind uns doch wohl einig: Niemand kann in 15 Minuten das aktuelle Weltgeschehen angemessen zusammenfassen. Eine Verlängerung gibt's für die "Tagesschau" aber nur für den Fall, dass die Welt noch ein bisschen schneller unterzugehen droht als ohnehin schon, weil die Landesrundfunkanstalten im Sondernachrichtenfall ihren Anspruch auf einen "Brennpunkt" geltend machen.

Das wirkt in seinem Ablauf noch absurder, wenn in Hamburg-Lokstedt, bevor das Thema des Tages in die Verlängerung geht, zwischendrin Fußballtore, Lottozahlen und Tiefausläufer vorgelesen werden.

Auch an regulären Nachrichtentagen nimmt dieses Dreigestirn der Dienstleistung oft sehr viel Raum ein, wochenends lässt die Bundesliga-Berichterstattung die Sendezeit für alles übrige auf bisweilen unter zehn Minuten schrumpfen. Aber das muss ja nicht so bleiben: In den ersten ein, zwei Jahrzehnten hat sich die "Tagesschau" kontinuierlich gewandelt – wieso nicht auch heute wieder? So könnten LottoWetterSport problemlos in einen ausführlichen Service-Block vor 20 Uhr rücken, wo sich jetzt schön Börsenbericht und Wissenshäppchen tummeln.

Ein viertelstündiges "Service vor acht", das ab 19.45 Uhr startet (und wegen der versenkten Werbespots unterbrechungsfrei liefe), wäre eine ideale Ergänzung zur klassischen Nachrichtenübersicht, die um Punkt 20 Uhr anschlösse – und die Zuschauer:innen könnten individuell entscheiden, ob sie die Kompaktvariante sehen wollten oder den Service-Vorklapp dazu.

4. Gatekeeping, bitte!

Erwiesenermaßen erinnert sich sechzig Sekunden nach Zwanzig-Sekunden-Nachrichten niemand mehr daran, dass sie vor achtzig Sekunden vorgelesen wurden, vom Inhalt ganz zu schweigen.

Wo war ich gerade?

5. Höhere Sprecher:innen-Honorare

1959 bekam die "Tagesschau" mit Karl-Heinz Köpcke ihren ersten Sprecher, vorher liefen ausschließlich aus dem Off kommentierte Beiträge; erst 1976 folgte mit Dagmar Berghoff die erste Sprecherin (die dafür aber bis Ende 1999 im Team blieb). Und selbst wenn es einstigen Generationen wie ein Traumjob vorgekommen sein mag, abends Millionen von Menschen die Ereignisse des Tages näherzubringen: Reich wird man davon nicht, hat Ex-Chef-Sprecher Jan Hofer mal angedeutet (bevor er sich zur besser zahlenden Konkurrenz von RTL hat locken lassen).

259,89 Euro erhielten Sprecher:innen zuletzt als Vergütung für ihre Leistung in der "Tagesschau"-Hauptausgabe, für andere Ausgaben am Tag z.T. "deutlich weniger" (Quelle: "Tagesschau"). Das läppert sich zwar irgendwann; und ja, "Tagesschau"-Erstredakteur Martin S. Svoboda hat damals nur 40 Mark pro Ausgabe bekommen und musste die Filmrollen mit der U-Bahn selbst zum Sender bringen.

Aber das heißt ja nicht, dass es nicht höchste Zeit für ein Honorar-Reförmchen wäre! Das, was die Damen und Herren aus den Intendanzen der Sender künftig (hoffentlich) abzugeben bereit sind, muss augenblicklich auf das "Tagesschau"-Sprecher:innen-Team umgelegt werden. Sollen Jens Riewa und seine Kolleg:innen ruhig ordentlich Asche machen!

Einzige Bedingung: Die künftigen "Tagesschau"-Gutverdienenden verpflichten sich zur absoluten TV-Neutralität! Sie dürfen keine Personality-Betroffenheitsreportagen mehr drehen, weder Romane noch Reiseführer schreiben, nicht in Quizshows auftauchen – und auch nicht zu RTL gehen, wo Susanne Daubner (!) in der vergangenen Woche von Oliver Pocher (!) bei "Jauch gegen 2022" (!) aufgefordert wurde, mal zu schildern, wie sie mit dem Vorlesen des "Jugendworts des Jahres" – "Smash" – im "Tagesschau"-Tik-Tok-Kanal (!) zum Klickwunder (!) wurde, bevor sie im Rateduo mit Influencer "Twenty4tim" (!) antrat.

Das geht jetzt langsam wirklich zu weit.

6. Tarifverhandlungsabkürzung now!

Ja, Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern sind ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Geschehens – und für alle, die nicht Mitglied von IG Metall, Verdi, IG Bergbau, Chemie, Energie & Co. sind, bedauerlicherweise ein sehr eintöniges, immer wieder neu aufgeführtes Theaterstück mit klar verteilten Rollen. In dem laufen zwar für große gesellschaftliche Gruppen relevante Verhandlungen ab; die Berichterstattung darüber ist aber so sehr in ihrer eigenen Unbeweglichkeit erstarrt, dass sie oft eher wie ein Ritual wirkt, das sich niemand aufzugeben getraut hat.

Vorschlag zur Güte: Tarifverhandlungsstände werden künftig ausschließlich in kurzen, dreisätzigen Zusammenfassungen wiedergegeben.

Und die gesparte Sendezeit dafür genutzt, um stattdessen über die Hintergründe der Konflikte zu berichten, die oft Grundlage der Streits sind: Arbeitsüberlastung, Personalknappheit, strukturelles Versagen. Das wäre allemal informativer als noch mehr an Tischen sitzende Menschen zu zeigen.

7. Ende der Interviewsimulationen

Dunkel ist's / Der Mond scheint helle / Als ein Reporter blitzschnelle / Langsam eine Schalte macht: Dass die "Tagesschau"-Sprecher:innen um 20 Uhr seit einiger Zeit Korrespondent:innen in aller Welt direkt ansprechen, um Eindrücke aus erster Hand zu erhalten, ist leider nur die Simulation eines Interviews. "Wie ist die Situation vor Ort?", will die bzw. der eine des stur aneinander vorbei schauenden Duos wissen; und die bzw. der andere erzählt anschließend vor einer Häuserfassade, Schnellstraße oder Stadtpanorma stehend, was gerade bereits im zugelieferten Beitrag anklang oder von der Anmoderation erwähnt wurde.

Es ist doch eigentlich nicht so schwer, ARD aktuell: Entweder ihr lasst eure Sprecher:innen echte Interviews machen; oder ihr hört auf, bloß so zu tun.

Mit diesen Tipps sind die nächsten siebzig Jahre ja wohl ein Klacks! In diesem Sinne: Happy Birthday, "Tagesschau".

Und damit: zurück nach Köln.