Dreizehn Mal wird Deutschlands größter Privatsender noch wach, dann ist das anstrengendste Jahr seit RTL-Gedenken endlich geschafft: Der frischfusionierte Medienkonzern blies seine angekündigte "One App, All Media"-Strategie wieder ab, holte aus Furcht vor weiteren Quotendellen geschasste Altstars zurück und kündigte an, ein weiteres Mal die Geschäftsführung auszutauschen.

Und da ist die kräftezehrendste aller Herausforderungen noch nichtmal eingerechnet: Denn im Laufe des Jahres war man in Köln plötzlich dazu gezwungen, auch noch im Programm kreativ zu werden!

Angefangen hat alles mit der Ankündigung, nach dem vorjährigen Absturz des "Supertalents" mit dem Format für 2022 eine kreative Pause einzulegen. "Das gibt uns die Zeit, um auf die entscheidenden Fragen die richtigen Antworten zu suchen. Zugleich eröffnet es uns die Chance, den Blick zu weiten und den Samstagabend neu zu denken", kündigte Noch-RTL-Chef Henning Tewes damals im DWDL-Interview an. Und hatte plötzlich eine riesige Lücke zu füllen.

In fünf Staffeln von drei auf 15 Shows

Kurzer Zeitsprung: Als "Das Supertalent" 2007 erstmals als Talentshow-verkleideter Kuriositätenzirkus auf Sendung ging, zeigte RTL gerade einmal zwei Ausgaben plus Finale davon im Programm. Wegen des Erfolgs beim Publikum wurde die Dosis im darauffolgenden Jahr bereits auf sieben Shows erhöht – und im Laufe der Zeit immer weiter, bis in Staffel fünf mit unglaublichen 15 "Supertalent"-Samstagabenden der vorläufige Höhepunkt erreicht war.

Schon vor dem Abgang Dieter Bohlens schrumpfte die Zahl zwar wieder. Aber Staffel 15 kam immer noch auf zehn Sendetermine, die aus Sicht des Senders auch deshalb so praktisch waren, weil man sich keine Gedanken machen musste, was man in dieser Zeit sonst hätte senden wollen.

Im zu Ende gehenden Jahr stand man nun vor exakt dieser Aufgabe – und fand eine Lösung. Auch wenn Tewes' Ankündigung einer ganzen "Reihe von Events und großen Familienshows", die "wirklich vielversprechend" seien, im Nachhinein nicht ganz der Realität standzuhalten vermag. Sagen wir so: Im Jahresendzeugnis für RTL stünde, dass der Sender stets bemüht war, ohne sich zu sehr mit unnötigen Risiken oder Innovationen zu verausgaben.

Aufatmen in Köln: "DSDS" ist noch da

Zum TV-Saisonstart im September lief eine Ausgabe der Jauch-Gottschalk-Schöneberger-Show "Denn Sie wissen nicht, was passiert", bevor der Sender das Finale seiner "Lego Masters" auf den Samstagabend beförderte und für drei Ausgaben die rebooteten "Puppenstars" zurückholte. Mit "35 Jahre Dirty Dancing" und den "RTL Wasserspielen" wurde es kurzfristig etwas bunter, bevor "RTL Samstag Nacht – Das Wiedersehen" als in die Länge gezogenes TV-Revival ansehnliche Marktanteile holte – um dann zwei Gottschalk- und eine Jauch-freie Ausgabe(n) von "DSWNWP" hinterherzuschieben, sich mit "Faszinierende Tiergeschichten" dem vorhersehbaren Erfolg von "Wetten dass..?" zu ergeben und mit "Ehrlich Brothers Live" und Best-ofs von "DSWNWP" in die WM-Ödnis zu retten. Am gestrigen Abend durfte Otto Waalkes in "Ottos Märchenshow" schließlich mit allerlei Promi-Unterstützung die Märchenwelt auf den Kopf stellen. An Heiligabend übernimmt dann "Der Grinch", und zu Silvester dessen Kollege Oliver Geissen für "Die erfolgreichsten Silvester-Party-Hits". Uff.

Und obwohl sich die vielen freien Abende ohne größere Durchhänger verplanen ließen, muss man konstatieren: Die Chance, um sich für ähnliche Situationen in der Zukunft zu wappnen, hat RTL nicht genutzt.

Stattdessen wird man in Köln aufatmen, dass es ab Mitte Januar mit der Jubiläumsstaffel von "Deutschland sucht den Superstar" auf erprobtem Sendeplatz weitergehen kann – wofür sich alle Beteiligten ziemlich ins Zeug gelegt haben müssen, um die wegen der erst Mitte Juli verkündeten Bohlen-Rückkehr verstrichene Produktionszeit aufzuholen.

Danke für den schönen Football-Abend

Dann ist bis zum späten Frühjahr erstmal wieder Ruhe. Bis der Schlamassel im Herbst, spätestens aber 2024, falls "DSDS" wirklich wie angekündigt pausieren sollte, von neuem anfängt.

Wettbewerber ProSieben hat ein ähnliches Problem, nur an einem anderen Tag: Im Mai bestätigte man in Unterföhring, künftig sonntagabends auf den über viele Jahre etablierten Blockbuster verzichten zu wollen und dort stattdessen die von Senderchef Daniel Rosemann verfolgte Strategie "Mehr ProSieben von ProSieben auf ProSieben" zu adaptieren. Was dann exakt eine Woche hielt, bevor der erfolglose Neustart "Local Hero" blitzabgesetzt und durch die Übertragung der Spiele aus der amerikanischen NFL bei "ran Football" ersetzt wurde.

Damit rettete sich ProSieben nicht nur verhältnismäßig souverän über die vergangenen Wochen, sondern bewies nebenbei an jedem verdammten Sonntag auch die Primetime-Tauglichkeit amerikanischen Breitensports im deutschen Fernsehen – wofür sich der neue Rechteinhaber RTL, zu dem die Übertragungen ab der neuen Saison wandern, hoffentlich schon mit einem Kärtchen und einem großen Kasten Pralinen in Unterföhring bedankt hat.

Darf's noch ein Blockbusterchen mehr sein?

Für ProSieben allerdings ist am 13. Februar, wenn in der Nacht vom Sonntag auf Montag der Superbowl läuft, Schluss mit Ausruhen: eine Woche später beginnt der Ernst des Sendens aufs Neue, und wenn man's sonntags lieber nicht nochmal mit den angekündigten Reise-Abenteuershowformaten versuchen möchte, lassen sich vorübergehend sicher noch irgendwo ein paar Blockbusterchen aus einem laufenden Rechte-Deal rauskratzen, bis ein neuer Masterplan steht.

Aber das verzögert das Unvermeidbare bloß. Denn die Zeiten, in denen die großen Privatsender entspannt aufs Wochenende blicken konnten, weil die Abende dort eingespielten Schemata folgten, neigen sich dem Ende zu. Lang laufende Castingshows und Hollywood taugen nicht mehr als Retter; und das Publikum gewöhnt sich ebenso langsam wie ungern an neue Programmfarben auf bekannten Sendeplätzen, noch dazu wenn im Gegenprogramm etablierte Krimiformate und Kochshows laufen.

Dabei gibt es ja Lösungen, wie der jeweilige Konkurrent seinem Wettbewerber vor Augen führt: Am Samstagabend ist es ProSieben im Laufe der Jahre gelungen, von "Duell um die Welt" über "Masked Singer" bis "Schlag den Star" eine ganze Reihe unterschiedlicher Showformate zu etablieren, die sich im Wechsel programmieren lassen; RTL praktiziert dasselbe am Sonntagabend, wo zuletzt u.a. das "Ninja Warrior Germany Promi-Special" oder das "100.000 Mark Show"-Revival liefen. Jetzt muss den Sendern dieses Kunststück noch an einem weiteren Wochenendabend gelingen – mit der Zusatzschwierigkeit, sich das nicht allzuviel kosten zu lassen.

Bitte keine Erfolgsformatklone!

Aber halt auch nicht: allzuwenig, weil die Zuschauer:innen keine Lust haben, sich zum Wochenausklang den Klon eines Erfolgsformats der Konkurrenz vorsetzen zu lassen.

Natürlich kann man dieses Problem eine zeitlang ignorieren, wenn man bloß die Augen fest genug zusammenkneift und daran glaubt, dass das Publikum an acht Abenden nacheinander Günther Jauch im Programm sehen will. (Entweder das, oder die RTL-Programmplanung ist beim Januar-Zusammenpuzzeln vor Erschöpfung auf der Tastatur eingepennt.) Aber eigentlich wissen die Sender selbst, dass das keine Strategie von Dauer sein kann.

Die Lösung ist offensichtlich: Eine ganze Reihe neuer, unterschiedlicher Format-Ideen muss her – und zwar, weil die wenigsten davon sofortige Hits sein werden, idealerweise in einer Schlagzahl, die es dem Publikum erlaubt, sich daran zu gewöhnen – ohne im Falle eines größeren Flops die nächste Riesenbaustelle im Programm zu haben.

Langsam anfangen, schnell steigern

Klingt schwierig. Aber eigentlich müssten die Sender dafür bloß eine alte Regel von Dieter Thomas Heck aus der "ZDF-Hitparade" befolgen: Bei Interpret:innen, die mit einem besonders beliebten Titel mehrfach aufgetreten waren, erinnerte der ZDF-Schnellsprecher die Zuschaueri:nnen: "Dreimal dabei gewesen, bitte nicht mehr wiederwählen".

Das wäre auch für die Entwicklung neuer Show-Reihen am Samstag- bzw. Sonntagabend eine ganz hervorragende Richtschnur: Anstatt darauf zu setzen, mit einzelnen Formaten fast die halbe TV-Saison einen bestimmten Abend bestreiten zu können, bräuchte es solche, die mehrmals mehrmals pro Jahr für zwei, drei neue Ausgaben nacheinander auftauchen könnten.

Um sie, wir reden ja immer noch übers Fernsehen, im Erfolgsfall irgendwann in die Länge strecken zu können. So wie einst das auf drei Shows terminierte "Supertalent". Und all die Shows, mit denen das an anderen Wochentagen bereits gelingt. Dann schmerzt irgendwann vielleicht auch die eingeschränkte Verlässlichkeit auf Castingshows und Hollywood nicht mehr so sehr.

Und damit: zurück nach Köln.

"Ottos Märchenshow" lässt sich auf RTL+ ansehen; bei "ran Football" auf ProSieben spielen an diesem Sonntag ab 19 Uhr die Detroit Lions gegen die New York Jets.