Er hat es wieder getan. Ist wieder dahin gegangen, wo's wehtut, und hat wieder unbequeme Wahrheiten angesprochen, die uns alle bekümmern sollten. Am Dienstag dieser Woche, als Katars Energieminister Saad Scharida al-Kaabi – vom Boulevard "Gas-Scheich" getauft – den LNG-Liefervertrag mit Deutschland unterzeichnet, ist Paul Ronzheimer zum Interview in Doha und fragt nach den Rechten von Schwulen. "Als Muslime glauben wir daran, dass LGBTQ nicht akzeptabel ist in unserer Religion", antwortet al-Kaabi. Schon 2019 hatte Ronzheimer, selbst offen homosexuell, für weltweites Aufsehen gesorgt, als er beim Staatsbesuch des deutschen Außenministers Heiko Maas in Teheran dessen iranischen Amtskollegen gefragt hatte, warum Homosexuelle im Iran hingerichtet würden.

Der Vize-Chefredakteur der "Bild"-Zeitung kreuzt seit Jahren verlässlich dort auf, wo Krisen und Kriege herrschen, findet Zugänge, die anderen Journalisten oft verwehrt bleiben, und zeigt dabei Emotionen, die andere Journalisten meist nur mit sich ausmachen. Ohne diese jahrelange Vorgeschichte in Afghanistan, Syrien, Libyen, Iran, Irak oder eben der Ukraine wäre Ronzheimer wohl kaum für so viele Deutsche zum prägenden Gesicht der Live-Berichterstattung mitten aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geworden. Seit dem 24. Februar ist er unzählige Male dort gewesen, hat Gräueltaten und Kriegsverbrechen dokumentiert, zivilen Opfern eine Stimme gegeben, immer wieder Wolodymyr Selenskyi und die Klitschkos interviewt und ist selbst beschossen worden.

Langfristige Präsenz des Reporters vor Ort sei die Grundlage von Vertrauen seitens der Protagonisten und die Basis für eine ausgewogene Berichterstattung, hat Ronzheimer Mitte Oktober bei den Medientagen München gesagt. Keine 24 Stunden, bevor er dort auf der Bühne saß, steckte er noch im Drohnen- und Raketenhagel auf Kiew. Seine anfängliche Faszination für den revolutionären Aufbruch während der Maidan-Proteste 2013/14 wandelte sich in eine fundierte Kenntnis der politischen Prozesse in der Ukraine. "Im Laufe der Jahre ist ein Netzwerk von Kollegen entstanden, das maßgeblich von gegenseitigem Vertrauen getragen wird", so Ronzheimer. "Auch mein direkter Zugang zu Präsident Selenskyi oder den Klitschko-Brüdern konnte nur entstehen, weil ich nicht aufgehört habe, mich für dieses Land zu interessieren und darüber zu berichten." Natürlich sei ihm bewusst, dass der ukrainische Präsident ihm auch deshalb immer wieder Interviews gebe, weil er genau wisse, dass er mit "Bild" eine enorme Reichweite erzielen könne.

Die Frage nach der allgegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben, die eine solche Reportertätigkeit mit sich bringt, beantwortet Ronzheimer damit, dass man die Sicherheit seines Teams zwar täglich neu justieren, ansonsten aber seiner professionellen Tätigkeit den Vorrang geben müsse, unter gedanklicher Ausblendung der akuten Gefahr vor Ort. Zugleich wolle er jede Art von "Fallschirm-Journalismus" vermeiden, bei der Reporter nur kurz einfallen, Bilder und O-Töne sammeln und danach wieder verschwinden. Er wolle langfristig über den Konflikt berichten, auch wenn das allgemeine Interesse nachlasse. Sein Interesse gelte den Menschen und ihren Schicksalen, weil er in den vielen Jahren eine Beziehung zu ihnen aufgebaut habe.

Der Instrumentenkoffer, der Ronzheimers Beiträgen in diesem Jahr so viel Wumms verliehen hat, war mit Print, TV und Online geradezu optimal auf seine Stärken ausgerichtet. Weil er nicht nur Texte und Fotos lieferte, sondern sich auch regelmäßig live ins Programm von Bild TV schaltete, entstand eine ganz andere Unmittelbarkeit, oft genug mit exklusiven Bildern und Eindrücken. Ronzheimer war Star, Substanzgeber und einsamer Quotenbringer von Springers kurzlebigem Fernsehexperiment, dessen tägliche Live-Sendestrecken zum Jahresende mangels Erfolg eingestellt werden. 

Auch wenn man weite Teile des Programms für entbehrlich halten mag, ist es zumindest um die Fläche für künftige Ronzheimer-Reportagen schade. "Ihr habt aus unserem – manchmal sehr eilig gefilmtem Material – hochwertige Beiträge gemacht", schrieb der "Bild"-Vize seinen vom Aus betroffenen Kollegen Ende November in einer internen Rundmail. "Ohne Euch hätten wir nie so intensiv über die Ukraine in den schwersten Tagen berichten können." Einen kleinen Trost könnte es dennoch geben: In besonderen Breaking-News-Lagen soll Bild TV auch künftig live auf Sendung gehen. Es wäre fast verwunderlich, wenn Ronzheimer dann nicht wieder mittendrin stecken würde. Es sei denn, er geht doch noch zu einem richtigen TV-Sender. Immerhin hatte der "Spiegel" im Oktober von Wechselgerüchten zu RTL geschrieben, freilich inklusive Ronzheimer-Dementi: "Ich bin sehr glücklich bei 'Bild'."