Über mehrere Jahre hinweg trat Jürgen Döschner als sogenannter "Energie-Experte" der ARD in Erscheinung. Mit einem zweifelhaften Tweet sorgte er seinerzeit für Aufsehen: "Deutsche Automafia vergast jedes Jahr 10.000 Unschuldige", schrieb Döschner vor fünf Jahren auf Twitter - und musste schließlich erklären, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, den damals breit in der Öffentlichkeit diskutierten Abgas-Skandal in Beziehung zum Holocaust zu setzen. Seinen Titel als Energie-Experte war der Journalist, der damals in der WDR-Chefredaktion arbeitete, nach diesem Tweet zwar los, doch für den WDR arbeitet Döschner nach wie vor.

Allerdings stellt sich nach einem gemeinsamen Bericht von "Kölner Stadt-Anzeiger" und "Correctiv" die Frage, was genau Jürgen Döschner beim WDR eigentlich macht. "Höchstens fünf Stunden im Monat" soll der Journalist demnach derzeit arbeiten - was angesichts eines kolportierten Jahresgehalts von rund 100.000 Euro bemerkenswert wenig ist. Auf Sendung ist er dabei meist nur noch in kleineren Wellen, allen voran beim Radiosender Cosmo, den er mit seiner Kolumne "Tacheles" beliefert.

Wie "Kölner Stadt-Anzeiger" und "Correctiv" berichten, hat Döschner nun eine Klage gegen den WDR beim Arbeitsgericht Köln eingereicht. Die Forderung lautet demnach "Geldentschädigung wegen Nichtbeschäftigung". Die Rede ist von einem Streitwert in Höhe von 75.000 Euro. "Wir sind überzeugt, dass wir die Nichtbeschäftigung nachweisen können”, wird Döschners Anwalt Jasper Prigge in dem Artikel zitiert. Es handele sich um ein faktisches Arbeitsverbot. Die Tatsache, dass sein Mandant ab September 2019 so gut wie keine Berichte, Kommentare oder andere journalistischen Produkte in sämtlichen Ausspielwegen des WDR mehr habe absetzen können, spreche für eine Nichtbeschäftigung. Dies stelle eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seines Mandanten dar. Man möchte ergänzen: Für eine gut bezahlte noch dazu.

Der WDR bezeichnete den jetzt erschienenen Bericht über die Beschäftigung seines Redakteurs als "tendenziös und in Teilen fehlerhaft". So wird in dem Bericht die Vermutung geäußert, Döschner habe sich aus Sicht des WDR in seinen Beiträgen zu stark gegen die Kohleindustrie im WDR-Sendegebiet positioniert. Im Zuge dessen wird auch noch einmal ein Radiobeitrag Döschners angeführt, dessen Löschung im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgte. "WDR löschte heiklen Beitrag über Laschet", überschrieb der "Spiegel" damals einen Artikel, an dem - wie nun auch bei der Zusammenarbeit von "Stadt-Anzeiger" und "Correctiv" - die Journalistin Annika Joeres beteiligt war. Konkret ging es um den heimlischen Mitschnitt aufgebrachten Ministerpräsidenten. Armin Laschet soll darin zu hören sein, wie er erklärt, die Räumung des Hambacher Forsts für ein RWE-Braunkohlegebiet unter "einem Vorwand" veranlasst zu haben, obwohl die Landesregierung bis dahin stets Verstöße gegen Brandschutzvorschriften als Grund angeführt hatte. Der "Spiegel" warf daraufhin die Frage auf, ob die Löschung des Beitrags "politisch motiviert" gewesen sei - was sich angesichts vieler kritische Berichte, die zuvor schon über den Sender gegangen waren, schnell entkräftet ließ (DWDL.de berichtete).

Tatsächlich verweist der WDR nun in einer Stellungnahme noch einmal darauf, dass Döschner damals die redaktionellen Abläufe nicht eingehalten habe. Daher habe man entschieden, den Beitrag zur Prüfung aus dem Programm zu nehmen. Falsch sei zudem, dass das Justiziariat des WDR zu der Einschätzung gekommen wäre, dass der Beitrag zur Räumung des Hambacher Forstes "Newswert besaß und hätte gesendet werden müssen", wie "Kölner Stadt-Anzeiger" und "Correctiv" schreiben. Vielmehr habe sich der mit dem Thema befasste Jurist im Vorfeld der Veröffentlichung lediglich mit der Frage beschäftigt, ob eine Veröffentlichung rechtlich zulässig gewesen wäre, nicht aber, ob der Beitrag hätte gesendet werden müssen, "da das eine Frage der journalistischen Bewertung ist", wie der WDR klarstellt. Er habe sich daher auch nicht dazu geäußert, ob der Beitrag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch einen Newswert hatte, sondern "im Gegenteil seine Zweifel hinterlegt, ob das Video von besonderem Informationsinteresse ist".

Ein einmaliger Konfliktfall im WDR

Alleine dieses Beispiel zeigt: Das Verhältnis zwischen Jürgen Döschner und dem WDR ist zerrüttet - ein einmaliger Konfliktfall, der nach DWDL.de-Informationen schon zahlreiche Gespräche nach sich zog. Ein Streitpunkt war dabei offenbar die Gründung des Newsrooms im Jahr 2019, in dem Döschner nach Angaben des WDR nicht arbeiten wollte. "Wie für andere Mitarbeiter:innen im WDR gilt auch für den betreffenden Kollegen, dass er sich nicht allein nach persönlichen Vorlieben und unabhängig von der Verfügbarkeit von Stellen aussuchen kann, wo und mit welchen konkreten Aufgaben er innerhalb des WDR arbeiten möchte", teilte der WDR am Freitag mit - zeigte in seiner Stellungnahme gleichzeitig jedoch, dass dies offensichtlich doch ganz gut funktioniert.

So heißt es mit Blick auf Döschners Wechsel in die Cosmo-Redaktion: "Die in dieser Funktion üblichen Aufgaben wie bspw. Redaktionsdienste nimmt er im Gegensatz zu seinen Kolleg:innen nicht wahr, an Konferenzen nimmt er nicht regelmäßig teil." Dennoch sei ihm "im Sinne eines konstruktiven Miteinanders bei Cosmo ermöglicht worden", besagte Kolumne "mit allen damit verbundenen journalistischen Freiheiten zu publizieren". Darüber hinaus habe es mehrere Gespräche und Mailwechsel mit der Redaktionsleitung gegeben, "die zum Ziel hatten, den Kollegen in die Redaktion einzubinden". Dies habe Döschner jedoch wiederholt abgelehnt.

Zudem seien Beitragsangebote seinerseits, beispielsweise dem Newsroom gegenüber, "meist nicht an inhaltlichen Positionen, sondern an der Tatsache, dass er sich nicht an verabredete Workflows hielt", gescheitert. Warum der WDR aus diesen Gründen die Zusammenarbeit mit dem Journalisten letztlich nicht beendete, bleibt unklar - erst recht vor dem Hintergrund seines angeblichen Jahresgehalts.

Der WDR spricht von einer "sehr langen und kleinteiligen Auseinandersetzung", die zwischen dem Mitarbeiter und "vielen Stellen im WDR" vorausgegangen sei. Dabei habe der Sender "bis zuletzt versucht, den Konflikt konstruktiv und fair zu lösen". Zur von Döschner eingereichten Klage äußerte sich der WDR hingegen am Freitag zunächst nicht. Mit der Klageschrift werde man sich beschäftigen, sobald diese vorliegt, erklärte der Sender. Stattdessen war die Causa Döschner jedoch bereits Thema im WDR-Newsroom. So hat sich dessen Leiter Stefan Brandenburg nach DWDL.de-Informationen am Vormittag den Fragen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt. Dabei soll Döschners Vorgehen, wie Beteiligte berichten, auf Unverständnis gestoßen sein. 

Immerhin: Im nächsten Jahr soll Jürgen Döschner in den Ruhestand gehen. Das ist aus Sicht vieler im WDR angesichts der vollkommen verfahrenen Situation vermutlich noch die beste Nachricht.