Im deutschen Fernsehen gibt es vermutlich nur wenige Menschen, die so emotional vor der Kamera agieren wie Tim Mälzer. Als er in der Anfangsphase der Corona-Pandemie in der Talkshow von ZDF-Moderator Markus Lanz saß, rang der Koch sichtlich mit den Tränen. Und wenn es in seiner Vox-Show "Kitchen Impossible" mal wieder nicht so läuft wie er sich das vorstellt, dann kann Mälzer schon mal impulsiv werden. Fast keine Folge, die nicht ohne sein lautes Schimpfen und das Wort "Fickscheiße" auskommt.

In seinem neuen TV-Format kommt Tim Mälzer mit Reaktionen dieser Art allerdings nicht weit. Er unterstützt das Hofgut "Himmelreich" im Breisgau, das zu einem der ersten inklusiven Unternehmen in Deutschland gehört. Knapp die Hälfte der Angestellten in der Gastronomie arbeitet hier mit einer Schwerbehinderung, mit dem Ziel, fit gemacht zu werden für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Die spannende Aufgabe: Zusammen mit Vox und Mälzer geht es in der neuen Sendung "Zum Schwarzwälder Hirsch" darum, 13 Menschen mit Down-Syndrom an den Restaurant-Service und die Arbeit in der Küche professionell heranzuführen. Über allem steht die Frage: Kann das gutgehen?

"Mein Bestreben ist es, mit der Crew in der Küche zu arbeiten - und ich habe selbst noch keine wirkliche Ahnung, worauf ich mich da einlasse", lässt sich Tim Mälzer im Vorfeld der Ausstrahlung zitieren. Und wenn man sich die ersten Minuten der Doku-Reihe ansieht, dann wird schnell klar, wie recht er hat. Mälzer ist ein guter Protagonist für dieses Format, weil er ganz offen über seine Berührungsängste spricht, er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gleichzeitig aber unvoreingenommen und auf Augenhöhe begegnet. Damit erweist sich der TV-Koch, ob bewusst oder unbewusst, als wunderbares Vorbild. 

Hinter dem Format steht die Produktionsfirma Vitamedia, deren Geschäftsführer Sascha Gröhl weiß, wie eine TV-Produktion mit Menschen mit Down-Syndrom funktionieren kann. Schon vor einigen Jahren stellte er - ebenfalls für Vox - einen sehenswerten Film auf die Beine, der dem Publikum diese Lebenswelt näherbrachte. "Ich bin besonders" war 2020 das bis dato größte Fernsehprojekt zu diesem Thema. Alleine 60.000 Sendeminuten entstanden damals während der Dreharbeiten für die vierstündige Dokumentation.

"Zum Schwarzwälder Hirsch" ist für Gröhl nun sogar schon die vierte Produktion mit Menschen mit Behinderung. "Was uns immer wieder berührt und fasziniert, ist die Aufrichtigkeit und emotionale Unmittelbarkeit vieler Menschen mit Down-Syndrom", sagt er im Gespräch mit DWDL.de. "Wenn sie dich mögen, schließen sie dich sofort in ihr Herz - diese Produktionen geben uns menschlich wahnsinnig viel." Gleichzeitig bedeuten Produktionen wie diese einen deutlichen Mehraufwand, weil, wie Sascha Gröhl sagt, zunächst die komplette Crew "ins Casting gehen" müsse und von den Menschen mit Down-Syndrom sowie ihren Eltern genau "unter die Lupe genommen" werde. "Es geht um Vertrauen - aber auch darum, zu prüfen, ob man einen engen Draht aufzubauen kann."

Sascha Gröhl © Sascha Gröhl Produzent Sascha Gröhl mit einigen Protagonisten des Vox-Formats "Zum Schwarzwälder Hirsch".

Was, wenn nicht? "Keine Chance", sagt Gröhl. "Es geht darum verstehen zu lernen, wie wir mit den Eigenheiten in welchen Situationen umgehen müssen - und dieser Weg lässt sich nicht abkürzen. Das zieht sich am Ende durch die gesamte Produktion: nicht wir geben den Produktionsrhythmus vor, sondern die Menschen gestehen uns Interaktionsinseln zu - und die nutzen wir und improvisieren. Wir haben da aber mittlerweile einen guten Produktionsmodus gefunden, uns in diesem immer noch sehr außergewöhnlichen Setup zu bewegen." Schon bei den bisherigen Produktionen sei dem Team ein "großer Leidensdruck der Familien" aufgefallen, "weil der Weg ihrer Kinder in die Werkstätten erstmal vorgezeichnet ist".

Der Stempel "Nicht ausbildungsfähig" wird von den Behörden oft per se verteilt, weiß Gröhl. "Das passt aber nicht zu unserer Erfahrung mit diesen Menschen, die wir bei unseren Drehs immer wieder als unglaublich facettenreich kennengelernt hatten. Wir haben trotz aller kognitiven Einschränkungen immer tolle Stärken gesehen: lustige Kommunikationstalente, Improvisationskünstler, Inselbegabungen. Aber auch Menschen mit autistischen Zügen - die wiederum grandios im Ordnung schaffen waren." Und so entstand die Frage, was eigentlich passieren würde, wenn all diese singulären Stärken in einen Topf geworfen werden, "wie ein Puzzle, ein menschliches Mosaik".

 

"Wenn sie nur Tomaten schneiden können, dann gibt's eben ein Tomatenrestaurant."
Produzent Sascha Gröhl

 

Die Restaurant-Welt war schließlich schnell gefunden, "weil es dieser Kosmos von der Interaktion von Menschen lebt", wie der Produzent sagt. "Aber auch, weil bei einem Restaurant grundsätzlich einfach sehr viele unterschiedliche Talente gebraucht werden." Einig war sich sein Team und das von Vox darin, dass der gesamte Entwicklungsprozess das Filmprojekt sei. "Erst die Menschen und ihre Stärken suchen, dann bauen wir das Konzept drum herum. Wenn sie nur Tomaten schneiden können, dann gibt's eben ein Tomatenrestaurant. Wenn wir das Problem Zeitgefühl nicht in den Griff bekommen, dann müssen wir halt über Selbstbedienungsbuffet oder kalte Küche nachdenken."

Im "Hotelrestaurant Himmelreich" sei man mit der Idee schließlich auf derart große Begeisterung gestoßen, dass der Betreiber - die Diakonie - der Produktionsfirma "blanko den gesamten Laden für drei Monate versprochen" habe. "Das 'Himmelreich' wurde zum 'Schwarzwälder Hirsch'", erinnert sich. Für ihn, aber auch Tim Mälzer, der zusammen mit dem Schauspieler Andre Dietz schnell ins Boot geholt wurde, sei von Anfang an klar gewesen: "Wir erzählen völlig ergebnisoffen diesen Prozess, das eigene Scheitern, das eigene Wachsen - und wenn wir Schiffbruch erleiden erzählen wir das auch - ein Film wird es so oder so." Vox-Unterhaltungschef Marcel Amruschkewitz habe das Risiko sofort mitgetragen - keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, in der nur noch wenig dem Zufall überlassen wird.

Die Arbeit hat sich gelohnt. Herausgekommen ist eine sehenswerte Dokumentation, die in drei Teilen von manchen Tiefen, aber auch vielen Höhen erzählt - und an die sich mit "Alles auf Anfang" noch ein weiteres Format von Vitamedia anschließt. Erzählt wird darin die Geschichte von Menschen, die in der Mitte ihres Lebens alles auf eine Karte setzen und noch einmal komplett neu starten. "Das war unser 'Auswandern 2.0' - Moment, auch, weil die natürliche Dramaturgie so klar vor uns lag: das vorher, der Leidensdruck, das auslösende Ereignis, der komplette Umbruch - und alle Konsequenzen, die sich daraus für diese Menschen und ihr Umfeld ergeben", sagt Sascha Gröhl. 

Nun bleibt abzuwarten, ob das Publikum die beiden neuen Sendung annehmen wird. Auf das Ergebnis können die Verantwortlichen stolz sein, allen voran mit Blick auf "Zum Schwarzwälder Hirsch". "Obwohl diese Arbeit insgesamt sehr komplex und emotional intensiv ist", sagt Produzent Sascha Gröhl, "sind wir uns hier alle einig: Diese Dreharbeiten machen uns wahnsinnig glücklich."

"Zum Schwarzwälder Hirsch - Eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer", montags um 20:15 Uhr bei Vox