Beste Drama-Serie

Regine Pfaff: "Euphoria" (HBO)

Euphoria © HBO
Keine Scheu vor Explizität und der Inszenierung des männlichen Geschlechts? HBO at its best! Die in der Vorstadt verortete Coming-of-Age-Story behält trotz des eigentlich harten Themas "Sucht" immer das Neonlicht in der Hand und den Glitzer im Gesicht. Christiane F. ist irgendwie ganz weit weg und die desillusionierten Teenager suchen auf verschiedene Art und Weise Halt in einer zu komplexen Welt. Teenagerin Rue glaubt ihn in den Drogen zu finden, doch damit geht sie nur noch weiter unter. Beziehungen werden eingegangen, gelöst - alles ist fluid. Genau so, wie man es der Gegenwart nachsagt. Das alles begleitet von der musikalischen Expertise des Produzenten Drake. Kaum irgendwo wird mit dem Thema "Diversität" so natürlich umgegangen wie hier. Von der Beiläufigkeit könnte sich das Sequel "And Just Like That" von "Sex and the City" eine ganze Salami abschneiden. 

Uwe Mantel: "Severance" (AppleTV+)

Severance © AppleTV+
Zunächst sei vorausgeschickt: Ich finde es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass „Better Call Saul“ bislang bei den Emmys fast immer komplett leer ausging. Zumindest eine Auszeichnung für Bob Odenkirk muss doch bitte mal drin sein! Doch die Serie, die mich im letzten Jahr am meisten beeindruckt hat, war eine andere: „Severance“. Es geht darin um das spannende Gedankenexperiment, was wäre, wenn man auf der Arbeit das häufig so komplizierte Privatleben komplett ausblenden könnte und im Privatleben im Gegenzug die Arbeit. Klingt erstmal nicht schlecht, ist aber bei näherem Hinsehen ein Alptraum – vor allem, wenn man wie Marc Scout und Co. bei Lumon Industries arbeitet – vermutlich die mysteriöseste Organisation seit der DHARMA Initiative. Und auch die zu erledigenden Tätigkeiten in der Abteilung Macrodata Refinement stehen kaum der Eingabe der Zahlen 4 8 15 16 23 42 bei „Lost“ nach. In den unendlich langen, unendlich weißen und zugleich unendlich leeren Gängen spielt sich jedenfalls jede Menge Seltsames bis Skurriles ab – und man kann es kaum erwarten, Woche für Woche tiefer in die Geheimnisse dieser Welt einzutauchen. Erst recht nach diesem Staffelfinale. Extrem spannend erzählt und optisch ikonisch umgesetzt.

Thomas Lückerath: "Severance" (AppleTV+)

Severance © AppleTV+
Was für ein Kunstwerk. Der außergewöhnliche Look von "Severance" fällt unmittelbar auf und ist prägend für den schaudernd-mysteriösen Sog, den die darin verpackte Story entwickelt. Zugegeben, das braucht ein bisschen. Love or hate it. "Severance" ist nicht für jeden etwas und will das erfreulicherweise auch nicht sein. Gemeint ist: Die Geschichte bleibt ein Stück weit sperrig, bringt stetig neue Rätsel und mysteriöse Szenen mit sich. Wer sich beim Schauen dieser Serie nicht ständig von seinem Smartphone ablenken lässt und bereit ist, sich reinziehen zu lassen, bekommt die beste High Concept-Serie der letzten Jahre. Spannung, beinah subtiler Grusel und das alles vor dem Hintergrund einer dystopischen Fragestellung: Was macht einen Menschen aus? Hoffen wir angesichts des spektakulären Staffel-Finales, das mich begeistert hat wie lange keine Serie, dass AppleTV+ hier eine bessere zweite Staffel liefern kann als bei "The Morning Show", wo wohl unstrittig ist, dass man die Serie nach den extrem starken finalen Minuten der ersten Staffel besser hätte ruhen lassen.

Beste Comedy-Serie

Regine Pfaff: "Curb Your Enthusiasm" (HBO)

Curb your Enthusiasm © HBO
Cringe. Im letzten Jahr zum Jugendwort des Jahres gekrönt, umschreibt aktuell wohl kein Wort das Gefühl beim Genuss von "Curb Your Enthusiasm" besser. Zur Fremdscham mischt sich jedoch Kichern und das macht die Mischung eines politisch nicht korrekten Protagonisten in einer immer mehr auf politische Korrektheit zielenden Gesellschaft so reizvoll. Noch nie konnte "Curb Your Enthusiasm" diese Kategorie für sich entscheiden. In der aktuellsten Staffel zeigt sich übrigens, wie nah sich Los Angeles und Berlin sein können. Im Podcast "Friendly Fire" war zu hören, wie Hundebesitzer Oliver Polak die Reste eines gemeinschaftlich mit anderen Podcastern geteilten Chateaubriands im Berliner "Grill Royal" mit seiner Zunge von der Würze befreite und – zur Verwunderung am Tisch - seinem Hund Arthur gab. Auch Larry David wunderte sich beim Mittagstisch mit seinem Mitbewohner Leon und dessen Begleiterin über die Verwertung der teuren Fleischreste auf dem Teller der Dame. Sofern es nicht klappt, vielleicht im nächsten Jahr?! Denn tippen würde ich ehrlich gesagt auf "Only Murders in the Building". Auch sehr empfehlenswert. 

Uwe Mantel: "Only Murders in the Building" (Hulu)

Only Murders in the Building © Hulu
Schon der Vorspann lässt unwillkürlich Assoziationen mit Hitchcocks Klassiker "Das Fenster zum Hof" aufkommen - und das nicht von ungefähr. Hier wie dort mühen sich Laien um die Aufklärung eines Mordfalls, hier wie dort geht es um die Verwebungen zwischen den einzelnen Protagonisten. Nur dass "Only Murders in the Building" natürlich die viel abgedrehtere Variante ist. Hier finden sich der ehemalige TV-Star Charls-Haden Savage (Steve Martin), der sich schon durch seine einstige Rolle im Krimi "Brazzos" als geborener Ermittler fühlt, der einst gescheiterte Regisseur Oliver Putnam (Martin Short) und die ungleich jüngere Mabel Mora (Selena Gomez) zusammen und machen aus dem Todesfall im eigenen Haus, den die Polizei nur zu gern als Selbstmord abtun würde, einen True-Crime-Podcast. Dabei ist es weniger die Geschichte, die einen vor dem Fernseher hält, es sind die skurrilen Charaktere - nicht nur im Haupt-Cast, sondern auch unter den weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses oder der sich schnell bildenden Podcast-Fangruppe. Und das Timing, bei dem One-Liner und skurrile Äußerungen auch einfach mal stehen bleiben dürfen und durch die folgende Stille erst ihre ganze Wirkung entfalten. Wer am Ende der Mörder respektive die Mörderin war, ist da allenfalls Nebensache.

Thomas Lückerath: "Only murders in the building" (Hulu)

Only Murders in the Building © Hulu
Misst man die nominierten Serien nach Lachern pro Minute, dann wäre "Only murders in the building" weiter weg von einer Auszeichnung als alle anderen. Bei der Hulu-Serie, bei uns über Disney+ verfügbar, kann man vortrefflich darüber streiten ob eine kuriose Geschichte allein schon Comedy ist, was schon seit Jahren übrigens auch für "The Marvelous Mrs. Maisel" gilt. Doch im Wettbewerb der diesjährigen Nominierungen sticht "Only murders in the building" als  neues Gesamtkunstwerk hervor. Vielleicht zu neu um von der trägen Masse der abstimmenden Academy-Mitglieder schon geliebt zu sein, dabei hätte es die Serie um die Hobby-Detektive Martin Short, Steve Martin und Selena Gomez verdient: Eine wunderbar schrullige Geschichte zwischen klassischem Whodunnit-Setting und der Lust an kunstvoller Inszenierung mit surrealen Szenen, deren Humor geprägt von den beiden älteren Comedy-Profis trocken serviert wird. 

Best Limited Series

Regine Pfaff:  "The White Lotus" (HBO)

The White Lotus © 2021 Mario Perez / Home Box Office, Inc. All rights reserved
Auffällig ist ja vor allem, was auf der Tonspur passiert. Die durchgängige Audiobegleitung ist stark stimmungssetzend und manchmal werden sogar Erinnerungen an die Unter-Wasser-Welten von "SpongeBobs" Bikini Bottom wach. Und das meine ich positiv! Der hawaiianisch-tropisch-animalische Sound zieht einen rein in das gleichnamige Luxus-Ressort auf Hawaii und in die Probleme der Urlaubenden, die sie mit sich selbst oder untereinander haben. Geschickt wird bereits zum Beginn eingewoben, dass es vor Ort einen Todesfall gab. Überall lauert fortan die Antwort auf die Frage, wer, wo, wie zu Tode kam. Der Abstand von "The White Lotus" zu den anderen Produktionen - die alle auf wahren Begebenheiten beruhen - ist auf meinem Zettel jedoch minimal. Die vier anderen Serien fußen alle auf Geschichten, die per se eintauchenswert und dann auch noch fesselnd inszeniert sind. 

Uwe Mantel: "Dopesick" (Hulu)

Dopesick © 2021 Hulu
In diesem Jahr wurden ja unzählige Skandale in Miniserien aufgearbeitet. Doch keiner ist so erschütternd wie der in „Dopesick“ erzählte Skandal. Es geht um die schlimmer denn je grassierende Opioid-Epidemie in den USA und wie sie aufgrund eines skrupellosen Pharmaunternehmens, einer korrupten Behörde und geldgierigen Vertretern ihren Anfang nahm. Die Serie springt dabei in jeder Folge durch mehrere Zeitebenen, erzählt ebenso von der Zeit, in der alles los ging wie von den verschiedenen Versuchen, dem Einhalt zu gebieten – und wie es Purdue Pharma immer wieder geschafft hat, doch davon zu kommen. Emotional wird es besonders durch das ausführlich beleuchtete Schicksal zweier Personen: Des Arztes Samuel Finnix, der nach bestem Gewissen auch seiner jungen Patientin Betsy Mallum das vermeintlich so ungefährliche Oxycontin verschreibt. Und der später wie auch Betsy abhängig wird. Zu sehen ist in aller Brutalität, was die Drogensucht auslöst und wie sie alle im Umfeld mit betrifft. Am Ende dieser Serie bleibt man fassungslos zurück.

Thomas Lückerath: "The White Lotus" (HBO)

The White Lotus © 2021 Mario Perez / Home Box Office, Inc. All rights reserved
Es war das Jahr der verfilmten Skandale, ob nun "Dopesick", "Inventing Anna", "Pam & Tommy" oder "The Dropout": Vier der fünf diesjährigen Nominierten widmen sich wahren Begebenheiten und tun dies zweifelsohne gut. Die Häufung solcher Serienprojekte allerdings besorgt mich, weil sie eine Risikovermeidung erkennen lässt. Ein bekanntes Thema mit bekanntem Ausgang erleichtert ein "Go" von Sender oder Plattform, verbunden mit der Hoffnung auf intensivere begleitende Berichterstattung aufgrund der zugrunde liegenden wahren Begebenheiten. Diesen Trend bricht "The White Lotus". HBO, auch bekannt für Verfilmung wahrer Begebenheiten, macht hier eine ganz leicht überzeichnete fiktionale Welt im vermeintlich sorgenfreien Hawaii-Urlaub auf - um sie dann genüsslich zu demontieren. Stets dabei: eine so prägende musikalische Begleitung, die hier so enorm prägend ist wie die Optik bei "Severance". Heraus kommt ein schrulliges Gesellschaftsporträt, aber ganz beiläufig und nicht als Stempel auf der Verpackung.