Geschichte, schrieb einst Mark Twain, wiederholt sich nicht. Allerdings fügte der große Popliterat des amerikanischen Wirtschaftswunders dem Satz 1874 vier Worte hinzu, die das Gestern im Heute verdeutlichen: Aber sie reimt sich. Gut, wortwörtlich hat er eingeschränkt, das Kaleidoskop unserer reich bebilderten Gegenwart stamme aus „Fragmenten alter Legenden“. Doch beide – Gleichklang wie Bruchstücke – zeigen gut, worum es Michal Aviram und Philipp Kadelbach bei „Munich Games“ geht, einem Horrortrip durch Vergangenheit und Zukunft ihrer ebenso verschiedenen wie verwobenen Länder geht.

Denn selbst, wenn sich Geschichte nicht wiederholen sollte: der Sechsteiler des israelischen Showrunners und seines deutschen Regisseurs bedient sich so eifrig im kollektiven Gedächtnis übers Olympia-Attentat 1972, dass die fiktionale Kopie 50 Jahre später bisweilen realer wirkt als das Original. Es beginnt schon mit der Ausgangslage. Zum Jubiläum des fatalsten Terroranschlages der Bundesrepublik – tödlicher als Oktoberfest 1980, tödlicher auch als Breitscheidplatz 2016 – reist ein Fußballteam aus Tel Aviv zum Gedenkspiel beim deutschen (etwas albern als FC München 08 getarnten) Abo-Meister.

Ein heikler Einsatz, im Krisenjahr 2022 allerdings Routine. Bis ein Mossad-Mitarbeiter bei der täglichen Darknet-Recherche in Israels Berliner Botschaft auf Anschlagpläne stößt. Obwohl der nerdige Oren Simon (Yousef Sweid) null Außendiensterfahrung hat, schickt ihn sein Chef nach München, um mit der LKA-Beamtin Maria Köhler (Seyneb Saleh) Terrorbelege zu finden. So steigt das ungleiche Duo hinab ins Dunkel wechselseitiger Verachtung von Israelis und Arabern, Tauben und Falken, Rechten und Linken, Wutbürgern und Philanthropen – alle gemeinsam hier gegeneinander dabei, Geschichte umzudichten.

Während Autor Aviram – bekannt geworden durchs Nahostkonfliktmelodram „Fauda“ – virtuos widerstreitende Sicherheitsinteressen in Stellung bringt, zoomt Filmemacher Kadelbach – noch viel bekannter seit seinem Weltkriegsmelodram „Unsere Mütter, unsere Väter“ – zum Ende jeder Folge verlässlich auf ein rotblinkendes Gerät unterm Olympiastadion, was auf das Schlimmste schließen lässt: Ein Blutbad wie am 5. September 1972, offenbar geplant von Geflüchteten, die Oren und Maria pflichtschuldig observieren. Weil allerdings auch die deutsche Security-Firma der zweier Ex-Soldaten ins Visier der Fahnder gerät, kommen von Franco A. bis Mohammed Atta bald diverse Tätertypen in Frage.

Es ist kompliziert. Bis die Sache eskaliert und plötzlich alles klar zu sein scheint. Konjunktiv. Denn im Indikativ führt jede Gewissheit nur noch zu mehr Unklarheiten und zeigt damit zweierlei: Diffuser als der politische Extremismus ist eigentlich nur noch dessen Bekämpfung. Aviram und Kadelbach sind schließlich viel zu kreative, smarte, versierte Entertainer für die dramaturgische Lufthoheit des Naheliegenden. Und so geht es ab heute sechsmal 45 Minuten auf Sky zwar augenscheinlich um Israel und Umgebung im Stellvertreterkrieg auf historisch kontaminierter Erde. Zugleich aber geht es um viel, viel mehr.

Die destruktive Kraft des Generalverdachts aller gegen alle zum Beispiel, gefangen im Dickicht strukturellen Kompetenzgerangels, das wie anno 1972 schnurstracks in die Katastrophe führt: Mossad vs. BKA, Exekutive vs. Legislative, Verfassungsschutz vs. BND, Security vs. Polizei, Politik vs. Presse, Recht vs. Ordnung, Denken vs. Handeln. Während die friedensverwöhnte Bundesrepublik auf Durchsuchungsbefehle wartet, greifen kriegserfahrene Israelis zu. Wer zweifelt, schießt eben als zweiter. Und es wird viel geschossen, in „Munich Games“. Fast ein bisschen zu viel für Metaebenen und Zwischentöne.

Zum Glück besteht das größte der Talente von Philipp Kadelbach darin, Effekthascherei zielführend wirken zu lassen und Pathos bodenständig. Auch dieses emotional aufgeladene Drama des Frankfurter Großstadtpoeten („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) bleibt daher nicht ganz frei von Oberflächlichkeiten und Verschwörungsgeschwurbel. Irgendwo findet sich im Versmaß wiederholter Geschichte deshalb immer ein verlassenes Parkdeck, auf dem Spione ungestört den Rechtstaat sabotieren. Irgendwer holt da sicher Klischees wie das EDV-Fossil Jürgen (Bernd Hölscher) oder den IT-Punk Mara (Kyra Sophie Kare) aus der digitalen Mottenkiste. Und dass Seyneb Saleh auf der Heidi-Klum-Skala vier, fünf „InStyle“-Cover zu sexy zu sein scheint für eine LKA-Ermittlerin, die überdies in einer saftigen Sexszene vorgestellt wird, scheint eher dem Publikumswunsch nach Attraktivität als dramaturgischer Dringlichkeit geschuldet.

Unter Kadelbachs Führung allerdings verschwindet all der Liebreiz hinterm brüchigen Persönlichkeitsprofil, das Kind und Kegel nach Herzenslust betrügt, aber beruflich Regeltreue predigt, während ihr Partner Oren Gesetze eher als Orientierungshilfen betrachtet, Krümel im Bett jedoch ebenso hasst wie Stress im Job. Und da war im Panoptikum irritierender Charaktere noch nicht mal vom BKA-Strippenzieher Hahn die Rede, dem Sebastian Rudolph einen Mix aus Franz Müntefering und Hans-Georg Maaßen verpasst. Kein Wunder, dass er auch aufs verlassene Parkdeck fährt, damit seine Tochter dort für den Führerschein trainiert, während Vati vor sich hin konspiriert.

„Munich Games“ ist also nicht nur deshalb grandios, weil sich die Gegenwart hier so kreativ, schlüssig und fesselnd auf ihre Vergangenheit reimt. Im Gegensatz zum Dokudrama „Münchens Schwarzer September“, mit dem Sky das echte Attentat zwei Tage später konventionell aufarbeitet, überzeugt der fiktionale Sechsteiler, weil er die Hauptstraße linearer Handlungspfade ständig ins Unterholz verlässt und sich dort trotzdem nie verheddert. Geschichte wiederholt sich halt selten, die Qualität guter Regisseure und Autoren schon öfter.

"Munich Game" läuft ab dem 4. September sonntags um 20:15 Uhr in Doppelfogen auf Sky One. Die ersten beiden Folgen stehen vorab bereits über Wow und Sky Q zum Abruf bereit.