Herr Bartl, macht man eine Flasche Champagner auf, wenn der Angriff des "Club der guten Laune" von Sat.1 auf "Kampf der Realitystars" mühelos abgewehrt wird?

Also ich habe keinen Schluck abbekommen, aber wenn Produktion und Redaktion gefeiert haben, dann völlig zu Recht. Nicht aus Schadenfreude gegenüber dem Wettbewerber, sondern aus Freude, dass es wieder so gut funktioniert hat. Wir haben mit dieser dritten Staffel eine mit Banijay Productions eigenentwickelte Antwort im inzwischen inflationär bespielten Markt der Reality-Formate fest etabliert und den Angriff von Sat.1 in dem für uns so wichtigen Genre abgewehrt. Wir reagieren auch an anderer Stelle auf den intensiveren Wettbewerb: Als wir "Love Island" gestartet haben, gab es neben dem "Bachelor"-Franchise wenig im Segment der Flirt- und Balz-Shows. Das hat sich geändert. Die Inflation wollen wir nicht unnötig befeuern, weil selbst die brennenden Verehrer des Genres inzwischen an ihre Grenzen stoßen. Deshalb kehren wir in Abstimmung mit ITV Studios Germany bei "Love Island" wieder zu einer Staffel pro Jahr zurück.

Wenn immer mehr Sender und Plattformen Reality-TV für sich entdecken, kann man sich zwar bestätigt sehen, aber welche Konsequenzen ziehen Sie bei RTLzwei daraus? 

Wir sehen uns unverändert als Home of Reality. Gerade unsere Formate laufen nicht nur linear sondern auch digital extrem gut. Eine weitere Flirt-Reality oder Promis am Pool sehe ich aber nicht, ich erwarte da sogar eine Konsolidierung in den kommenden Jahren. Deshalb verteidigen wir, was wir erreicht haben. Die Erfahrung und Kreativität dafür haben wir unzweifelhaft. Gleichzeitig schlagen wir bei RTLzwei auch eine neue Richtung ein, die über das hinausgeht, was man mit Reality assoziiert.

Und was bedeutet das?

Es gibt nach wie vor TV-Unterhaltungsmarken, die generationenübergreifend die ganze Familie ansprechen – Doku-Soaps wie "Die Wollnys" oder "Die Geissens" zum Beispiel. Das muss auch als Show gelingen: Darum bringen wir mit "Skate Fever" Rollschuhe zurück ins Fernsehen. Bei Instagram und TikTok ist Jamskating – eine Mischung aus Akrobatik und Tanz – schon seit längerem im Trend. Die Eltern sind vielleicht in ihrer Jugend in die Rollschuh-Disco gegangen. Daraus machen wir großes TV-Entertainment. Stellen Sie sich "Let’s Dance" auf Rollschuhen vor. Wir befinden uns aktuell im Casting für die Coaches und die Jury. Moderiert wird "Skate Fever – Stars auf Rollschuhen" von Lola Weippert.

Das ist dann vermutlich die größte Studioshow die RTLzwei je gemacht hat?

Das kann gut sein. Es wird verschiedene Motto-Shows geben und am Ende haben wir ein Gewinner-Paar. Produziert wird die Sendung von Tresor TV. Das ist klassisches Entertainment, das sich unser neuer Unterhaltungschef Thomas Fischer bewusst auf die Fahne geschrieben hat. "Skate Fever" bleibt aber nicht die einzige Show. Wir freuen uns über Zuwachs in der RTLzwei-Familie und begrüßen Hugo Egon Balder, Hella von Sinnen, Wigald Boning und ihre Gäste: Ab 2023 ist „Genial daneben“ bei uns zuhause, in der Primetime natürlich. Damit haben wir auch wieder Comedy im Programm.

Das kommt überraschend. Aber lieber mehr Studio-Shows als Supermarkt-Show bei RTLzwei…

Ich bin enttäuscht, das "Supermarkt Quiz" haben wir extra für DWDL produziert (lacht). Um Sie und uns zu trösten, bringen wir viele andere Shows an den Start – neue und bekannte zugleich: Neben "Genial daneben" werden wir das "Glücksrad" wieder aufleben lassen, mit Sonya Kraus und Thomas Hermanns als großartige Moderatoren. Und wir machen acht weitere neue Folgen von "X Factor" nach den zwei Episoden im vergangenen Jahr. Die Sendung widmet sich übrigens nicht nur unglaublichen Ereignissen, sie ist auch selbst eines: Bis zu den beiden neuen Folgen im vergangenen Jahr gab es vom US-Original nur ganze 40 Episoden, die wir immer und immer wieder gezeigt haben. Die Fans haben es trotzdem geliebt. Aber jetzt liefern wir neue Geschichten, wieder präsentiert von Jonathan Frakes und produziert von Wiedemann und Berg. Das alles ist unser Beitrag zur Retro-Welle.

Kurze Nachfrage zu Reality-Formaten: Sie hatten vergangenes Jahr "Adam sucht Eva" von RTL geerbt. Wird das fortgesetzt?

Das ist der Plan. Letztes Mal waren wir coronabedingt in einer stillen Ecke von Griechenland. Bei der Location für die nächste Staffel können wieder freier wählen. Wir sind in Gesprächen mit Warner und ich gehe davon aus, dass wir "Adam sucht Eva" fortsetzen. 

Stichwort RTLzwei-Familie: Jetzt sind auch die Töchter der Geissens mit eigener Dokusoap on air. Wird das ein Franchise?

(lacht)  Also meines Wissens haben Robert und Carmen keine weiteren Kinder, aber das hält uns nicht davon ab mehr mit ihnen zu machen. Sie werden für uns in einem neuen Format die krassesten Luxusimmobilien testen. Ich glaube, da bringen sie eine gewisse Kompetenz mit und sind gleichzeitig gnadenlos im Urteil. Wir haben mit den Geissens auch nach 17 Staffeln sehr viel Spaß und sie waren zuletzt auch wieder sehr erfolgreich. Auch "Davina & Shania – We love Monaco" lief gut, wie übrigens auch "Die Wollnys" und "Daniela Katzenberger". Ich bin gespannt auf mehr "Familienglück auf Mallorca" mit Daniela und Lucas ab diesem Mittwoch. Dann kommen wie bereits angekündigt ja auch noch die Kellys mit ihrer Family-Reunion zu RTLzwei in gleich zwei außergewöhnlichen Dokus, die sehr intime Einblicke geben. Und nicht zu vergessen "Narumol & Josef – Unsere Geschichte geht weiter!". Die beiden sind – fast ohne Übertreibung – Lichtgestalten der deutschen Reality. Familien, die die Menschen lieben, sind bei RTLzwei. 

Aber die Ochsenknechts machen es doch lieber mit Sky…

Prominenz ist hilfreich, aber entscheidend ist für uns etwas anderes: Die Geschichten, die Leben, die wir erzählen möchten – am liebsten über einen langen Zeitraum. Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer müssen sich dort mit ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlen wiederfinden können. Bei allem Respekt gegenüber den Ochsenknechts: Ich bin mir nicht sicher, ob sie insofern zu uns gepasst hätten. 

Wann starten die Kellys? Angekündigt wurde es ja schon im vergangenen Jahr.

Die Panamericana-Reise der Kellys kommt erst 2023, weil der Dreh dafür natürlich erst einmal dauert. Aber die Family-Reunion wird es noch dieses Jahr bei uns geben – in der neuen TV-Saison.

Die TV-Saison. Zeitgemäß oder ein Relikt aus alten Zeiten?

Gute Frage, natürlich sind die Screenforce Days eine gute und wichtige Gelegenheit einmal im Jahr ein Update zu geben, aber die Unterscheidung in Saison und Sommerpause gibt es nicht mehr. Es gibt kein Durchschnaufen mehr zwischen Juni und August. Eigentlich ist immer Saison.

Sie sprachen vorhin schon mal den digitalen Erfolg von RTLzwei an. Das berichten Sie Jahr für Jahr. Und jedes Mal ist die entscheidende Frage: Lässt es sich denn inzwischen auch angemessen monetarisieren?

Immer noch nicht in gleichem Maße wie das lineare Werbegeschäft, aber mit einem dynamischen Wachstum. Uns beschäftigt diese Nutzungsverschiebung weg vom Linearen angesichts unseres weiterhin vergleichsweise jungen Programms natürlich sehr, dementsprechend auch die Messbarkeit und Ausweisung digitaler Reichweiten. Wir brauchen hier Standards, damit wir die Chancen, die sich ergeben, auch nutzen können. Denn wir sind stark unterwegs einerseits mit den Social-Media-Angeboten, aber auch bei RTL+. Oder um ganz konkret zu werden: RTLzwei ist in den Top 10 der BVoD-Inhalte aller privaten Angebote regelmäßig mit drei oder vier Formaten vertreten. Unterm Strich liegen wir hier knapp hinter RTL und deutlich vor ProSieben und den anderen Privatsendern. Im April lagen wir mit „Kampf der Realitystars“ auf Platz 1 vor GNTM. Und "Berlin - Tag & Nacht" und "Köln 50667" sind die nach GZSZ meist gestreamten täglichen Serien der Privaten. 

Stichwort Serien: "Wir sind jetzt" erhielt Kritiker-Lob, ist aber als einzige fiktionale Mini-Serie in der Primetime fast ein Alien im Programm. Wollen Sie hier weiter investieren?

Wir entscheiden das situativ. Deutsche Fiktion ist für uns keine strategische Programmfarbe, was ich mit etwas Bedauern sage. Auf "Wir sind jetzt" sind wir sehr stolz. Wir bekommen auch immer wieder mal was angeboten, weil die Serie uns bei jungen Filmemacherinnen und -machern Aufmerksamkeit verschafft hat. Das hatte durchaus Signalwirkung. Wir schauen uns das dann gerne an und ich sag niemals nie, aber wir werden kein Absender für die regelmäßige Beauftragung deutscher Serien. Das geht anderen Sendern inzwischen ja ähnlich.

Sich überhaupt als Anlaufstelle für ein Genre in Erinnerung zu rufen, war ja auch das Ziel des RTLzwei Doku Lab. Was ist daraus geworden?

Wir haben in unserem ersten Doku Lab insgesamt drei Stoffe gefunden, die wir jetzt realisieren wollen. Uns freut sehr, dass wir durch die beharrliche Arbeit unserer Chefredakteurin Konstanze Beyer in diesem Genre inzwischen viel Renommee besitzen – auch bei den Produzenten, Autorinnen und Autoren, was sich in der Vielzahl an Einreichungen spiegelt. Da wollen wir dranbleiben und an einen Erfolg wie den Themenabend "Deutschlands verlorene Kinder" im vergangenen Jahr anknüpfen. Das Doku Lab wird im nächsten Jahr fortgesetzt. Und wir machen eine Dokumentation, vielleicht auch eine Doku-Reihe, über die 21-jährige deutsche Rennfahrerin Sophia Flörsch, die sich zum Ziel gesetzt hat, die erste Fahrerin in der Formel 1 zu werden. Obwohl sie so jung ist, hat sie schon ein sehr bewegtes Leben mit einem schlimmen Crash hinter sich. Andere hätten danach aufgehört, aber sie will an ihrem Ziel festhalten. Diese Karriere werden wir begleiten und haben dafür echte Experten für Highend-Dokus gewonnen. Die Gebrüder Beetz werden das für uns produzieren – in Zusammenarbeit mit RTL+ und dem Medienboard Berlin-Brandenburg. 

An den Sozialreportagen halten Sie fest?

Die Sozialreportagen sind immer noch eine stabile Bank für uns, aber wir suchen im Factual-Segment auch nach leichteren Formaten. "Die Retourenjäger" mit Panagiota Petridou waren ein schöner Erfolg und gehen in eine zweite Staffel. Und dann haben wir in Holland ein schönes Format entdeckt: In "Wir räumen auf! Meine 65.000 Dinge", moderiert von Collien Ulmen-Fernandes, bekommt eine Familie ihr gesamtes Hab und Gut in einen Flugzeug-Hangar ausgebreitet, was ein sehr eindrucksvolles Bild ergibt. Und dann geht der Kampf los: Wie viel davon braucht man wirklich?  Wir wollen wieder verstärkt ins Factual-Entertainment. Dort hat RTLzwei mit "Zuhause im Glück", "Die Kochprofis" und "Trödeltrupp" schon mal große Erfolge gefeiert. Das hat uns zuletzt etwas gefehlt.

Vor einem Jahr bei den Screenforce Days 2021 war ein Daytime-Format mit Jana-Ina Zarrella eines der vorgestellten Highlights. Das klappte dann nicht. Welche Rolle spielt die Daytime in einem Wettbewerb gegen Streaming, wo nichts Daytime sondern alles Leuchtturm-Programm ist?

Ohne eine gute Daytime und Access Prime kann man als Sender nicht erfolgreich sein. Von daher entwickeln wir Einiges für diese Timeslots. "Let’s Love" hat in der Tat leider nicht funktioniert. Aber wir entwickeln in der Breite und probieren weiter aus. Ein sehr lustiges Highlight könnte "Drive Sing" werden. Hier adaptieren wir eine Formatidee aus Südkorea, wo musikalische Menschen mit dem Auto an einen Drive-In-Schalter fahren, um sich ein Lied auszusuchen, und das dann hinterm Steuer singen. Statt des McDonalds-Mitarbeiters sitzt am nächsten Schalter eine Jury und bewertet. Das ist schräg und ein echt lustiges kleines Format. Dann sind wir auch dran am Thema Immobilien. Also wir werden die Daytime nicht liegen lassen.

Herr Bartl, herzlichen Dank für das Gespräch.

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