Es ist nicht so leicht zu ergründen, weshalb Millionen Fernsehzuschauer donnerstags um 20:15 Uhr Deutsch sprechenden Ermittlern an verschiedensten Orten Europas bei der Arbeit folgen. Ein Motiv könnten die Kriminalfälle sein, aber die sind oft arg simpel gestrickt. Liegt es vielleicht eher daran, dass man zwischen Bretagne und Kroatien ausgiebig schöne Landschaften zu sehen bekommt, denen selbst ein gelegentlicher Mord nichts anhaben kann? Während man sich sonntags noch zwischen "Tatort" und "Herzkino" entscheiden muss, vermengt der "DonnerstagsKrimi" einfach beides zu einem Format. Vermutlich hat die ARD Degeto tief im Tresor eine Geheimformel, die den Minutenanteil malerischer Postkartenmotive pro 90-Minüter festlegt.

Sollte es so sein, dann haben die Produzenten Jochen Laube und Fabian Maubach das Memo entweder nicht bekommen oder gezielt ignoriert. Mit ihrer Sommerhaus Filmproduktion haben die "The Empress"- und "Das Netz"-Macher den "Barcelona-Krimi" nach vier Filmen übernommen, weil es in der vorherigen Konstellation zu Unstimmigkeiten gekommen war. Ihr Relaunch fällt radikal aus. Wer hauptsächlich wegen Rambla und Sagrada Família einschaltet, wird seinen Augen kaum trauen. Der fünfte Fall der Kommissare Xavi Bonet (Clemens Schick) und Fina Valent (Anne Schäfer), "Der längste Tag", spielt zu weiten Teilen in einer Abstellkammer des Polizeipräsidiums. Kammerspiel statt Sightseeing.

Nachdem mehrere Jungen aus sozial schwachen Milieus entführt wurden und die Leiche eines ermordeten 13-Jährigen auftaucht, hält Kommissar Bonet den renommierten Apotheker Victor Toura (Bernhard Schütz) für den gesuchten Serientäter – obwohl kein Indiz gegen ihn vorliegt und er noch nie auffällig geworden ist. Um einen frisch entführten, mutmaßlich noch lebenden Jungen zu retten, will Bonet Toura zu einem Geständnis drängen. Es kommt zum Psychoduell im provisorischen Verhörraum, das beide Seiten voller List und Manipulation führen. Obwohl Kollegin Valent einen anderen Verdächtigen findet und der neue Leiter der Mordkommission, Miguel Fernandez (Alexander Beyer), Toura nach Hause schicken will, macht Bonet unaufhörlich weiter und manipuliert gar die Klimaanlage, um seinen Verdächtigen noch mehr ins Schwitzen zu bringen.

Der Barcelona-Krimi: Der Riss in allem © ARD Degeto/Andrea Resmini Gefährliche Liebschaft: Kommissarin Fina Valent (Anne Schäfer) vermischt Privates und Berufliches

Schick und Schütz bei ihrem Ringen zuzuschauen, ist ein intensives Erlebnis von schauspielerischer Stärke. Keiner schenkt dem anderen auch nur einen Millimeter; gegenseitig lauern sie auf die nächste, noch so kleine Schwäche des anderen. Nicht nur der vermeintliche Ehrenmann offenbart nach und nach Risse in der Fassade, auch der Ermittler lässt Abgründe erahnen, die ihn angreifbar machen. Überhaupt scheint Schick seine Rolle, die bislang angesichts seines Könnens stets ein bisschen zu glatt und zu cool wirkte, erst mit der Neuausrichtung komplett gefunden zu haben. Jetzt darf er verbissen und fahrig sein, Ecken und Kanten zeigen, die nicht gleich auf Anhieb erklärt werden.

Besser könnte der Einstand des neuen Kreativteams also gar nicht laufen, das aus der schwedischen Regisseurin Carolina Hellsgård sowie dem Vater-Tochter-Autorengespann Remy und Katharina Eyssen besteht. Sie ist Sommerhaus bereits als Showrunnerin der Netflix-Serien "Zeit der Geheimnisse" und "The Empress" verbunden; er schrieb früher hunderte Drehbücher für Serien wie "Ein Fall für zwei" oder "Der Kriminalist" und heute die Bestseller-Romanreihe um den provenzalischen Rechtsmediziner Leon Ritter.

Von ihnen stammt auch der sechste Film der Reihe, "Der Riss in allem", der wieder ein Stück klassischer daherkommt und gerechterweise Kommissarin Valent in den Mittelpunkt rückt. Sie verliebt sich in Marcos Cuaron (Alex Brendemühl), den Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität – ausgerechnet während Bonet und sie den Mord an einer jungen Polizistin aus dessen Team aufklären müssen. Was Außenaufnahmen von Barcelona angeht, wird hier wiederum in die Vollen gegriffen, gleich zu Beginn mit einem actionreichen Anti-Drogen-Einsatz im Hafen, bei dem die Polizistin ums Leben kommt. Die Vermischung von Krimiplot und Emotionen kriegen die Eyssens überzeugend hin. Auch mit dem gelungenen Neuaufschlag bleibt freilich die Kröte zu schlucken, dass all die Spanier wie selbstverständlich das fließende Deutsch deutscher Schauspieler sprechen. Das muss man mögen.

"Der Barcelona-Krimi" läuft donnerstags um 20:15 Uhr im Ersten: "Der längste Tag" am 5. Mai, "Der Riss in allem" am 12. Mai. Beide auch in der ARD-Mediathek.