Herr Donskoy, herzlichen Glückwunsch: Vor einem Jahr waren Sie „der Jude“, jetzt sind Sie „der Russe“. Was haben Sie in einem Jahr über Labels gelernt?

Ja, die Sache mit den Labels. Von ihnen wegzukommen ist hier bei uns sowieso eine Utopie. Also dann besser annehmen. Zurzeit fühlt es sich aber fast so an, als würde ein anderes Label mir hinterlaufen. Eine eigene Meinung zu gesellschaftlichen Themen zu haben, macht dich für viele Medien in Deutschland direkt zum „Aktivisten“. Und plötzlich kann es passieren, dass deine Kunst in den Hintergrund tritt, egal ob du Musik machst oder Schauspieler bist. So entsteht Daniel Donskoy gleich Aktivist.

Und das sind Sie nicht? 

Nein. Nicht im Sinne in dem dieses Wort medial gerne genutzt wird. Ich habe als Jude in Deutschland und mit russischem Background eine Meinung zu aktuellen Themen. Ich freue mich auch, wenn ich dazu beitragen kann, dafür Sichtbarkeit zu schaffen, Brücken zu bauen. Durch Kunst Verständnis zu schaffen, aber ich bin kein Experte und bleibe Musiker und Schauspieler. Im Schauspiel bringe ich mich natürlich auch mit ein, aber ich bin in diesem Beruf auch das Vehikel für das, was sich Autor*innen, Regisseur*innen und Produzent*innen ausdenken. Ob in „Faking Hitler“, „Schlafschafe“ oder „Barbaren“ alle Figuren habe ich bzw. spiele ich gerne. Eine solche Diversität in den Projekten und Rollen ist echt ein Glück. Innerhalb dieser Projekte kann und bin ich nicht eingenommen von persönlichem „Aktivismus“, sondern konzentriere mich vollständig auf meine Arbeit als Schauspieler. Aber natürlich ist ein Teil der Individualität eines jeden Schauspielenden auch seine oder ihre Einstellungen , Prägungen, Geschichte und Sozialisierung.

Ist „Freitag Nacht Jews“ als TV-Format und jetzt der Podcast also kein Aktivismus zum Thema Judentum in Deutschland?

Es ist in erster Linie eine Form von künstlerischem Ausdruck. Mich persönlich würde es unglücklich machen, wenn ich keine Meinung haben dürfte. Ich bin für jede Serie, jeden Film oder jedes Theaterstück gerne das, was sich jemand ausdenkt. Aber komplett unpolitisch sein, diesen Teil zu unterdrücken - das könnte ich nicht. Es gibt Kolleg*innen, die sich bewusst dafür entscheiden  - reine Unterhalter zu sein. Das ist ok. Aber ich will mich nicht zurückhalten müssen. Es ist nur für manche Menschen erstaunlich schwer zu akzeptieren, dass ein Schauspieler doch auch als Bürger eine Meinung hat. Spätestens der Krieg in der Ukraine zeigt doch, dass wir alle politisch sind. 

 

"Dass Netflix, Spotify und Verleiher nicht mehr in Russland verfügbar sind, da frage ich mich: Stürzt das jetzt Putin?"

 

Wurmt es, wenn bei Putins Angriffskrieg in der Ukraine sehr schnell Haltung bezogen wird, sich aber beim Konflikt zwischen Israel und Palästinensern viele sogar um eine Beschäftigung damit drücken?

Es wundert mich nicht. Jetzt ist Putins Angriffskrieg zunächst mal ohne Zweifel eindeutiger als der sehr komplexe Nahost-Konflikt, aber im Kollektivgedächtnis von Deutschland, ist Russland “die Anderen“ für manche „das Böse“ aus dem zweiten Weltkrieg hängen geblieben, dass das zivile Deutschland zerbombt hat. Wie skurril es auch sein mag, wenn „der Russe“ Städte zerbombt, ist da auch noch im Unterbewusstsein eine extreme Empathie mit dem Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung . Plötzlich erinnert man sich an die Geschichten der Großeltern – vor allem die Geschichte derer, die als Kinder in den deutschen Bunkern saßen. Und zum anderen ist uns die Ukraine einfach näher. Es ist so banal. Ich würde niemals jemandem den Vorwurf machen, dass dieser Angriffskrieg jetzt viel präsenter ist als dieser furchtbar komplexe Nahost-Konflikt. Man kann sich auch einfach mal freuen über die große Empathie für die Ukraine und die Hilfsbereitschaft, die ich auch gemerkt habe als ich am Berliner Hauptbahnhof geholfen habe. Ich hoffe nur, dass die Unterstützung für die geflüchteten aus der Ukraine anhält und wir parallel dazu nicht alle kulturellen Brücken zur russischen Zivilbevölkerung abbrechen. 

Sie meinen die Sanktionen?

Das Netflix, Spotify und Verleiher nicht mehr in Russland verfügbar sind, da frage ich mich: Stürzt das jetzt Putin? Oder lässt man damit nicht auch Stück weit die Gesellschaft in Russland im Stich, von der man sich wünscht, dass sie sich doch demokratisiert? Zielführend wären weitere wirtschaftliche Sanktionen und Embargos. Im Zuge dieses Krieges werden auch viele weitere Narrative bedient. Die einen, benutzen die Situation um zum Beispiel ihre Positionen zur Klima -Politik in den Vordergrund zu rücken und andere für Identitätspolitische Debatten. Und ich wäre froh, wenn nicht haarsträubende Vergleiche gezogen würden, wie jetzt bei einigen Memes, die zum Teil auch von russischen Trollen verbreitet werden, die unterstellen, dass man die Ukrainer als Widerstandshelden feiert, aber die Palästinenser im Widerstand als Terroristen abstempelt - und damit Russland und Israel gleichgesetzt werden. Verknappung und Kontextlosigkeit sind gefährlich, aber solche Inhalte werden leider zu schnell ohne viel Gedanken weiterverbreitet.

Sie haben noch bis Anfang Februar in Russland gedreht. Glück gehabt, rechtzeitig fertig geworden zu sein?

Retrospektiv betrachtet gab es eine Szene am Set, die echt verrückt war. Wir hatten ein russisches Behind-the-Scenes-Team dabei, die uns begleiteten und immer wieder Fragen stellten. Was für mich eigentlich das Unheimlichste an Russland sei, wollten sie wissen. Und ich antwortete „Putin“. Die wurden ganz blass und meinten, dass ich das nicht sagen könnte. Und ich sagte: „Doch, ich wohne hier ja nicht.“ Und eine aus dem Team meinte nur: „Dein großes Glück“. Ich würde mein Glück vorerst definitiv nicht weiter herausfordern und jetzt nochmal nach Russland fahren. Es war der Pilot-Dreh für ein Projekt mit russischer Beteiligung, aus moralischen, aber auch persönlichen Sicherheitsgründen kann und werde ich das Projekt nicht fortführen.

„Freitag Nacht Jews“ hat den Deutschen Fernsehpreis gewonnen, ist für den Grimme-Preis nominiert, auch für den Civis Medienpreis. Wann haben Sie realisiert, dass dieses kleine Format großen Anklang findet…

Als wir mit der Sendung in gewissen Telegram-Gruppen die Runde gemacht haben und die negativen Hass-Kommentare anfingen, hat das eine Spirale in Gang gesetzt. Ich habe dann auf Social Media thematisiert, was wir für Anfeindungen zu spüren bekommen und das Narrativ - „Daniel Donskoy kämpft mit antisemitischer Hetze“ – dieses griffen dann auch mehr Medien auf als zu Beginn die Sendung selbst. Das zieht mehr, als 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. So funktionieren Medien halt. Wir haben dann gemerkt: Vom Feuilleton und in der Branche beachtet zu werden, erreicht nur einen gewissen Kreis von Leuten., Erst die mediale Aufmerksamkeit der Angriffe gegen uns, ließen die Abrufzahlen in der Mediathek deutlich ansteigen, was uns dann ja auch ins lineare Fernsehen gebracht hat. Das ist die Ironie: Die Hater bei Social Media haben uns erst groß gemacht.

Und jetzt ein Podcast statt einer zweiten Staffel? Wie kam es dazu?

Ursprünglich hatte ich die Idee im Kopf, einen kleinen Jahresrückblick zu machen auf dieses Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Aber dann gab es sehr viele Themen und Vorfälle nach unserer Staffel „Freitag Nacht Jews“, die ich nochmal aufgreifen wollte. Auch Medienkritik im Umgang mit dem Thema Judentum. An mich wurde herangetragen, dass da doch der Jude vom Dienst etwas zu sagen sollte. Unterhaltsam natürlich, aber ich musste die Chance haben auszuholen und in die Tiefe zu gehen. Dafür ist ein Podcast eine gute Form. Aber aus der Idee mal eben einen Podcast zu machen ist ein Monsterprojekt geworden, an dem wir seit Anfang Dezember arbeiten. Diese Wucht von „Freitag Nacht Jews“ haben wir versucht in einen Podcast zu übertragen.

Das ist gelungen. Der Drang und die Spielfreude der Sendung sind nochmal verdichtet.

Wir arbeiten auch wieder mit einem fantastischen Team und mit David Hadda von turbokultur daran. Diesmal auch mit den beiden Autor*innen, mit denen ich beim Deutschen Filmpreis gearbeitet habe, Samira El Ouassil und Martin Schlesinger. Vom schieren Ausmaß der Arbeit waren wir dann doch überrascht, wenn man den Podcast so machen will, wie wir ihn uns vorstellen. Multiperspektivisch, herausfordernd und dabei immer unterhaltsam. Folge 3 wird beispielsweise nochmal ganz anders als die ersten beiden, eine Film-Noir-Folge mit Detektiv Donskoy. Da sind wir fast beim Hörspiel angelangt. Das ist wirklich ein Wahnsinnsprojekt, aber ich sage Dir auch ganz ehrlich: Man fragt sich bei vier Monaten Arbeit dann schon, ob das Ergebnis dann auch hängen bleibt in unserer Konsumgesellschaft, wo das nächste Highlight schon lauert und man im Grunde nur vier Folgen veröffentlicht und hofft, dass es gefunden wird, woran man da so lange gearbeitet hat. Weil es am Ende ja nicht reicht, dass man selber einen Riesenspaß an der Herausforderung hatte. Wir machen das ja, weil wir vielleicht in manchen Köpfen etwas verändern wollen.

So wie beim Deutschen Filmpreis? Die Moderation etwa zum Thema Stereotype fiel dringlicher aus als man es bei Preisverleihungen gewohnt ist…

Klar war es mir ein Bedürfnis der Verleihung eine starke persönliche Note zu geben. Das war dank Anne Leppin, Claudia Loewe und dem künstlerischen Leiter Nico Hofmann möglich. Für das Vertrauen bin ich dankbar. Ich wurde dann aber doch drei Minuten bevor ich auf die Bühne gegangen bin noch gewarnt, dass das ein schwieriges Publikum sein würde, vor dem ich je gespielt habe - weil die Skepsis groß sein wird, wenn jemand der Branche ins Gewissen redet. Aber sie waren gar nicht so schlimm, ich war froh zu merken, wie viele sich von den Gedanken haben mitreißen lassen. Dabei habe ich übrigens gemerkt, dass ich langfristig nur als ausführendes Organ vermutlich nicht glücklich werde. Bei der Gestaltung des Deutschen Filmpreises fiel mir das auf, bei der Arbeit an „Freitag Nach Jews“ und dem Podcast wurde mir das nochmal klarer.

 

"Schauspieler sind auch Menschen, nicht nur ihre Rollen"

 

Eine zweite Staffel von „Freitag Nacht Jews“ soll es auch geben, bestätigte der WDR. Bleibt das Format wie es ist?

Was haben wir jetzt gelernt über jüdisches Leben in der ersten Staffel? Dass es diverser und jünger ist als man vielleicht dachte, aktiv gelebt wird ohne dass jeder Jude das Käppchen auf dem Kopf trägt. Aber es hatte natürlich durch den Jahrestag den Fokus auf Deutschland, was eine spezielle Historie hat. Für mehr Kontext wollen wir jetzt herausfinden, was jüdisches Leben z.B. in einem Land bedeutet in dem es keinen Holocaust gab. Oder in einem mehrheitlich muslimisch geprägten Land. Die zweite Staffel wird vier Folgen haben und es ist eine klare Weiterentwicklung mit internationalem Focus.

Nach einem verrückten Jahr, Nominierungen und Preisen - was hat sich für Sie verändert? Vor einem Jahr wurden Sie noch anmoderiert mit „Der, der bei RTL ‚Sankt Maik‘ gespielt hat“…

Das ist weg - wobei auch nicht immer. Ich hab neulich ein dpa-Interview zum Thema Ukraine/Russland gegeben und über die Flucht meiner Eltern 1990 - und dann haben manche Fotoredaktionen zur Bebilderung tatsächlich mich als strahlenden Pfarrer aus „Sankt Maik“ auf der Kanzel rausgekramt. Da sind wir wieder beim Thema: Schauspieler sind auch Menschen, nicht nur ihre Rollen. Aber es wird weniger.

Was steht 2022 bei Ihnen an?

Vor kurzem habe ich meine letzten Szenen der zweiten Staffel „Barbaren“ abgedreht,  die dann bei Netflix kommt. Für den WDR steht die zweite Staffel „Freitag Nacht Jews“ an  und im Sommer drehe ich ein neues Kinoprojekt über das ich wie üblich noch nichts sagen kann, nur dass es für mich ein ganz neues Genre ist. Und dann muss man abwarten, was zeitlich möglich ist und ob mir hier in Deutschland in diesem Jahr neue herausfordernde Drehbücher begegnen. Ich hätte nach fünf Jahren Fernsehen und Film auch mal wieder Lust Theater zu spielen und vielleicht mal wieder in London auf der Bühne zu stehen. Das vermisse ich auch. Einen ganzen Abend durchzuspielen ist schon etwas anderes als für die Kamera Szene für Szene zu drehen. Aber wie du ja weißt, halte ich es im Leben gerne fluide und plane selten.

Dann herzlichen Dank für das Gespräch.

Der Podcast "Freitag Nacht Jews" ist auf allen üblichen Plattformen und in der ARD Audiothek verfügbar. An diesem Freitag ist Folge 2 erschienen, die sich der Rolle der Medien widmet.