Über jene Gattung Fernsehmoderatoren (nur die männlichen sind gemeint), die ihr Publikum auf dem Weg ins Bett begleiten, machte der DWDL.de-Kollege Jan Freitag vor einiger Zeit eine interessante Beobachtung: Ob Pierre M. Krause oder Jan Böhmermann, ob Harald Schmidt oder Kurt Krömer, ob Niels Ruf oder Florian Schroeder – seit Thomas Koschwitz von der Late-Night-Show-Bühne abgetreten ist, sei „das Zwiegespräch mit Live-Band in kosmopolitischer Studioatmosphäre ein Metier dünner Heringe mit großer Klappe“.

Oha, die Karriere als Nachtunterhalter korreliert demnach mit dem Körpergewicht, und Erfolg in der Finsternis der Nacht lässt sich nicht nur in Quote, sondern auch in Kilos bemessen, oder etwa nicht?

Jener Mann, der vor sechsundzwanzigeinhalb Jahren von RTL gefeuert wurde und am 6. April seinen 66. Geburtstag feiert, müsste es wissen. Also, fragen wir nach: Herr Koschwitz, warum sind Sie (sorry, Klaas Heufer-Umlauf) ein Unikat unter all den superschlanken Schattengewächsen der Fernsehunterhaltung geblieben?

Thomas Koschwitz © Laurence Chaperon
Aus seiner Frankfurter Wohnung ertönt ein Lachen: „Der Fettklops, der mit den Leuten gut kann“, das werde „unterschätzt“. Und dann erzählt Thomas Koschwitz, der sich ein paar Stunden zuvor bei einem Mittagsschläfchen von seiner Morningshow auf hr1 erfrischt hat, diese eine von vielen anderen schönen Geschichten aus seinem Leben als Late Night Show-Pionier und Radioveteran. Sie führt in den November 1995 und geht so:

Helmut Thoma alias Mr. RTL hatte entschieden, dass die „RTL Nachtshow“ abgesetzt wird, ergo Thomas Koschwitz seinen Job als Host verliert. Erst im Sommer davor war er als Sommervertretung von (noch so ein dünner Hering, damals) Thomas Gottschalk angetreten. „Gottschalk Late Night“ war die erste tägliche Nachtunterhaltung nach 22 Uhr im deutschen Fernsehen. Koschwitz machte seine Sache so gut, dass er bleiben durfte, zuerst nach Gottschalk, dann sogar statt Gottschalk. Als Sat.1 Dirty Harry Schmidt an den Start brachte, sollte nach 250 Folgen „Nachtshow“ Schluss sein. Rudi Carrell erfuhr davon und rief Koschwitz böse und entsetzt an, wieso haben sie das getan? Du hattest immer mehr Quote als Harald Schmidt. Der ist zwar cool, aber du bist der Typ, der beim Volk ist.

„Ich glaube, er meinte damit, dass ich durch meine nicht ganz so sportliche, elegante Körperform näher dran bin am Volk, auch weil ich den schlichteren Scherz bevorzuge und die Gäste als Sieger vom Platz lasse“, interpretiert ein verschmitzt-vergnügter Thomas Koschwitz Carrells warme Worte, „ich mag die Menschen, was bei einigen der ,dünnen Heringe‘ wohl nicht der Fall zu sein scheint, und mein Publikum hat mir genau das abgenommen und auch das gemocht.“

Gewichtsmäßig ging es in Koschwitz‘ Leben munter rauf und runter, bei wem auch nicht? Doch er, der beim Essen „ein Genussmensch“ ist, brachte es in der Spitze auf 109 Kilo. Blutdruckalarm! Am 4. Oktober 2002 traf ihn der Schlag, kurz vor Aufzeichnung seiner Talkshow „Was macht eigentlich…?“ auf Kabel 1. Drei Wochen Krankenhaus, acht Wochen Reha folgten und ein Buch über diese schlimme Zeit. Er genas vollständig, speckte ab, futterte wieder. Doch sein Publikum bekam die Schwankungen nach dem Schwindel fortan kaum mehr zu Gesicht. Es kennt nur noch Koschwitz‘ Stimme. Und die hat es wirklich in sich. Stimmprobe aus dem Jahr 1991 gefällig?

Auch wenn das Timbre über die Jahre an Samtheit eingebüßt hat, als würde eine Schallplattennadel an den Stimmbändern kratzen – der Name Koschwitz respektive „Koschi“, wie ihn außer Atze Schröder noch viele andere liebkosen, hat in der Radioszene nach wie vor einen Ruf wie Donnerhall. Man übertreibt wohl nicht, dass er Deutschlands bekannteste Radiostimme nach Thomas Gottschalk ist. Die Sendungsübergabewortgefechte, die er sich auf hr3 mit Werner Reinke lieferte, bevor er zum Fernsehen ging – großes Kino für die Hörerinnen und Hörer und laut Überlieferung genauso spektakulär wie die von Gottschalk und Jauch in den 1980ern auf Bayern 3.

Der HR - ein Rückschritt?

Seit 2018 moderiert er nun auf der Boomer-Welle hr1 – obwohl er zuerst gar nicht zurück wollte zum Hessischen Rundfunk, wo er das Radiomachen einst lernte und prägte. Er hielt es für einen Rückschritt. In Berlin machte er Privatradio rauf und runter, auch gemeinsam mit seinem Sohn Tim. Warum umziehen? Aber das Angebot, das ihm hr1-Programmchef Martin Lauer unterbreitete, war so reizvoll, dass er sagte: „Okay, ich gehe zurück und riskiere es, dass ich womöglich mein Denkmal demontiere. Glücklicherweise ist das nicht passiert“.

Okay, die jüngsten MA-Zahlen dürften die gesamte Radio-Landschaft ernüchtert haben, auch hr1 mit einem 3 Prozent-Minus. Doch Radio am Morgen, das ist wie Fernsehen um 20.15 Uhr, der wichtigste Sendeplatz überhaupt. Bis zu 300.000 Hessen pro Stunde, sagt Koschwitz, hören ihm zu. Was ihn vor vier Jahren besonders reizte und es seines Wissens bundesweit nicht gibt: Es handelt sich um eine Frühsendung, in der nicht ein, nicht zwei, sondern gleich drei vom Können her gleichberechtigte Leute Musik spielen, informieren und ein wenig Blödsinn machen. Die Sendung zwischen 5 und 9 Uhr trägt jedoch nur seinen Namen: „Koschwitz am Morgen“.

Und auch das gehörte zum lukrativen Deal mit dem HR: dass er seine Syndication-Show „Koschwitz zum Wochenende“ behalten durfte. Das Talk-Format sendeten in der Hochzeit bis zu 16 private Stationen. Momentan laufen sie auf Wunsch der öffentlich-rechtlichen Hessen möglichst weit weg vom eigenen Sendegebiet (u.a. Radio Nordseewelle) und in Kurzfassung als Podcast.

Thomas Koschwitz © Laurence Chaperon
Es gab indes eine Zeit, in der Thomas Koschwitz seinem Arbeitgeber HR nicht ganz so wohlgesinnt war. Er habe es mit einem „Armleuchter“ zu tun gehabt, sagte er vor zwei Jahren in einem Interview. In der Rückschau: glücklicherweise!

„Habe ich wirklich ,Armleuchter‘ gesagt?“, fragt Koschwitz lachend zurück. „Aber es ist die reine Wahrheit!“ Es gebe Chefs und Chefinnen, die sich ausschließlich darum kümmern, nicht übergangen zu werden. „Mit so einem Exemplar hatte ich es bei hr3 zu tun. Weil ich ihn offenbar an ein paar Stellen übergangen hatte, fing er an, bissig zu werden. Da sagte ich, dann mach doch den Job allein.“

Und so trat ein gewisser Jörg Grabosch auf Thomas Koschwitz‘ Lebensbühne.

Es führte zu weit, die Koschwitz-Erzählung von seiner hr3-Erfindung „0138 6000“ ausführlich wiederzugeben. Deshalb nur gerafft: Grabosch verantwortete auf Premiere eine Sendung mit ähnlicher Vorwahlnummer, „0137“ mit Roger Willemsen. Bei einem Symposium der Telekom lernten sich die beiden kennen, woraufhin Grabosch Koschwitz später fragte, haben Sie Lust auf Late Night?

Die „David Letterman Show“, nach deren Vorbild auch deutsche Late Night Shows entstehen sollten mit Figuren, die sich bewegten und agierten wie das (Hoppla, dünner Hering!) US-Idol, hatte Koschwitz vielleicht zweimal gesehen. Lustig, böser Humor, kann man machen, dachte er. Er hatte sich aber nie damit auseinandergesetzt, dass man sowas auch in Deutschland machen könnte, geschweige denn, dass er das könnte. Talken ja, aber diese ganze Comedy-Geschichte?

Mit Thomas Anders als Dummy-Gast

Letzteres musste er später noch lernen. Punkten konnte er – Voilà, schöne Geschichte Nr. 2 – damit:

Thomas Anders, die bessere (oder schlechtere?) Hälfte von „Modern Talking“, war Dummy-Gast beim Casting und hatte unter einem Artikel im „Stern“ zu leiden, wo ihm Dieter Bohlen unterstellte, dass er – sinngemäß ging es in diese herbe Richtung – ein Arschloch sei. Koschwitz klappte also die Illustrierte auf und fragte, Thomas, wer von euch beiden ist denn jetzt das größere Arschloch? Anders sagte, das kann man so einfach nicht beantworten. „Das hat ihn gerettet und mich auch“, erinnert sich Koschwitz, „wir hatten ein super Gespräch.“

Mit Jörg Grabosch, der die "RTL Nachtshow" produzierte, und RTL lief es bald nicht mehr ganz so super. Wieder gerafft: Koschwitz‘ Late-Night-Erfolg war der Grund, warum Grabosch Brainpool gründete und zu Sat.1 ging. Damit war aber auch Koschwitz‘ RTL-Karriere beendet. Wie er heute darüber denkt?

„Menschlich war das schwierig, wirtschaftlich genau die richtige Entscheidung. Ich kann es ihm nicht übelnehmen.“ Eine Sache habe er bei dieser Gelegenheit gelernt: „Radio ist im Umgang mit Leuten viel liebevoller als Fernsehen. Einfach weil es um weniger geht, weniger Ruhm, weniger Geld. Beim Fernsehen sind die Fleischtöpfe riesig. Und wenn es nicht funktioniert, ist es herbe.“

„Herbe“, ein Lieblingsadjektiv von Koschwitz, ja, damit könnte man auch umschreiben, was er vor ein paar Jahren auf Stern.de über die ihm nachfolgende Generation Late Night Hosts aufschrieb: „Lustlose Gastgeber ohne Profil, müde Gags, schlecht vorbereitete Gäste“ – die deutsche Late Night sei „in einem desaströsen Zustand“ und ganz besonders schlimm: Oliver Pocher und Niels Ruf.

„Inzwischen hat sich Oliver extrem gemacht“, gibt sich Koschwitz milde, „da mag ihm möglicherweise Günther Jauch den ein oder anderen Hinweis gegeben haben. Ich ziehe den Hut.“ Andererseits findet er „extrem schade“, dass das deutsche Publikum „eher einen Markus Lanz haben will, also eine gewisse Ernsthaftigkeit“. Dieser Spaß, den ein James Corden mit seinem Carpool-Karaoke auf die Straße bringt – „da knie ich davor, wie cool und kreativ ist das denn?“

Eine typische ARD-Nummer könnte man daraus machen, aber Koschwitz fürchtet: „Die ARD hätte heutzutage nicht die Traute, jemanden täglich da turnen zu lassen, obwohl es wichtig ist, dass Late Night wie ein Möbel jeden Tag stattfindet. Das ist eine amerikanische Sicht der Dinge und leider keine deutsche.“

Und wenn doch, wer käme denn in Frage, Herr Koschwitz?

Es fällt, neben Anke Engelke ("Anke ist eine Sensation!"), auch der Name Harald Schmidt. „Wenn er echtes Interesse an seinen Gästen hätte und zulassen könnte, dass nicht alles so schwer intellektuell sein muss im Leben, wie er es offenbar immer denkt, dann würde er noch heute senden“, ist Koschwitz überzeugt, „und er wäre großartig.“ Leider habe Schmidt „wegen Reichtum geschlossen“ oder einfach „keine Lust“, was Koschwitz nachvollziehen kann. Denn es sei natürlich „eine Schweineanstrengung“, jeden Abend zu senden und, so wie er es gemacht hat, mit den Gästen anschließend noch in der Kneipe zu sitzen bis morgens um drei. „Ein hartes Leben, aber ich möchte es nicht eine Sekunde missen.“

Ein „deutscher Jay Leno“ (nein, kein dünner Hering) hätte aus ihm werden können, wird Thomas Koschwitz nachgesagt. Ob er noch hadere und grübele über das Was wäre wenn? „Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen dran zu knapsen hatte“, sagt er. Heute denke er, „wie cool, dass du das überhaupt machen konntest!“ Abgesehen davon habe es ihm gutgetan, mal aus dem Hessischen Rundfunk herauszukommen und „zu sehen, wie es ist, wenn im privaten Unternehmen was nicht funktioniert“. Das sei „schmerzhaft, aber auch reinigend, weil es die eigenen Kräfte freisetzt“.

Nun traut man sich im RTL-Jahr der großen Show-Revivals und Comebacks (Hallo, Marco Schreyl bei „DSDS“!?) gedanklich rein gar nichts mehr auszuschließen, also auch nicht, dass die ehemalige RTL-Late-Night-Kraft Thomas Koschwitz ihre Kräfte in einer täglichen „Nachtshow“ freisetzen könnte. Doch in diesem Fall lauert wohl eher nichts hinterm Busch, nimmt man ihn bei diesem Wort:

„Wie zufrieden ich in meinem Leben bin, hängt nicht davon ab, ob ich eine tägliche TV-Show habe“, sagt er; er mache das ja „mit großem Vergnügen im Radio, aber auch nicht mehr ewig“. Heißt das, auch bei ihm ist bald „wegen Reichtum geschlossen“?

Das werde „wahrscheinlich nie“ passieren, lacht Koschwitz, denn leider sei er in seinen jugendlich-naiven Jahren mit dem Geld nicht sehr gut umgegangen, „da war Harald deutlich besser“. Trotzdem habe er nicht vor, aus dem HR „wegen Altersschwäche herausgetragen zu werden“. Auch das frühe Aufstehen habe er lange genug in seinem Leben gemacht. Er habe Spaß am Leben und eine große Energie, manchmal mehr als die jüngeren Kollegen. Die wolle er auch noch für was anderes einsetzen. „Also, geben Sie mir noch ein paar Jahre, aber nicht zu viele.“

Jawohl, an uns soll’s nicht liegen.

Und so wird Thomas Koschwitz auch am kommenden Mittwoch wie gewohnt früh aufstehen und in den Sender radeln. Sendepause am eigenen Geburtstag? Aber bitte, mit 66 Jahren, da fängt das Leben laut Udo Jürgens an, „Da föhn‘ ich äußerst lässig / Das Haar, das mir noch blieb / Ich ziehe meinen Bauch ein / Und mach auf heißer Typ“.

Gesungen und gratuliert wird aber erst am 6. April. Oho, oho, oho . . .