Herr Strunz, seit einem halben Jahr ist Bild als Fernsehsender am Start. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie, wenn wir die vergangenen, vom Krieg in der Ukraine geprägten Tage außen vorlassen?

Die Zwischenbilanz ist sehr positiv. Wir haben uns gefunden, senden verlässlich auf gutem inhaltlichen Niveau, grenzen uns von der Konkurrenz ab und wachsen in allen Bereichen. Wir haben schon im Januar knapp an der 0,2 gekratzt und diesen Wert im Februar in der für uns relevanten Zielgruppe 14-49 Jahre erreicht. Und das übrigens mit einer technischen Reichweite von erst rund 40 Prozent im AGF-Panel. Aktuell kommen wir täglich auf Werte zwischen 0,4 und 0,5 Prozent. So kann es 2022 gerne weitergehen. Klar hätten wir lieber jetzt schon fünf oder zehn Prozent Marktanteil, aber jeder, der etwas von dem Geschäft versteht, war sich doch von Anfang an im Klaren darüber, dass wir auf niedrigerem Quoten-Niveau starten würden. Das ist von außen - wie immer bei Bild - mit Häme kommentiert worden, aber das macht uns nichts aus, es macht uns eher noch stärker: Wir stehen da, wo wir nach sechs Monaten sein wollten - und sind in manchen Bereichen sogar schon besser. In unserer Live-Strecke am Morgen erreichen wir schon nach einem halben Jahr regelmäßig Werte von mehr als einem Prozent Marktanteil.  

Aber wie passt es zum Selbstverständnis eines Medienhauses, das sich gerne als Deutschlands größte Medienmarke bezeichnet, wenn im Fernsehen 99,8 Prozent etwas anderes sehen?

Wir bezeichnen uns nicht nur als Deutschlands größte Medienmarke – wir sind es. Und wir bauen diese Stellung im Markt gerade massiv aus! Ein Beispiel: Noch nie haben so viele Menschen unsere Inhalte in bewegten Bildern gesehen wie in diesem Januar. Wenn es also stimmt, dass Video der Verbreitungsweg der Zukunft ist, sind wir hier sehr gut unterwegs. Und auch die 0,2 Prozent Marktanteil im TV, die Sie in Ihrer Frage ein wenig ironisieren, sind bereits Wachstum. Denn bisher gab es diesen Vertriebsweg für Bild-Inhalte ja gar nicht. Deshalb verstehen wir uns auch nicht als TV-Sender mit angeschlossenen Print-Titeln und Online-Auftritt, sondern als Bewegtbild-Fabrik für qualitätsvolle journalistische Inhalte der Marke "Bild", die für TV, Online und Social Programm und für die Zeitung Schlagzeilen liefert. Denken Sie beispielsweise an unsere Talkshow "Viertel nach Acht", die um 20:15 Uhr Marktanteile zwischen 0,1 und 0,3 Prozent erzielt hat, zuletzt sogar 0,7. Das sind im TV zwischen 30.000 und 90.000 Zuschauer. Gleichwohl haben dieses Format von Anfang an durch die Verbreitung auf YouTube und auf unserer Online-Seite häufig mehr als eine Million Leute pro Folge gesehen.

Wie sinnvoll ist es vor diesem Hintergrund, den Livestream eines Free-TV-Senders im Internet hinter einer Paywall zu verstecken?

Ein Klick und sie sehen: Der Bild-Livestream ist derzeit nicht mehr Teil des Abos, sondern kostenfrei. In der aktuellen Nachrichtenlage ist es wichtig, dass bei "Bild.de" noch mehr Zuschauer als unsere rund 600.000 "Bild Plus"-Abonnenten unsere Berichterstattung verfolgen können. Aber wir haben in den vergangenen Wochen auch gesehen, dass Menschen ein "Bild Plus"-Abo abschließen, weil Sie den Sender sehen wollten...

… wie viele sind's?

Überraschend viele. Aber natürlich gucken noch mehr Leute zu, wenn es nichts kostet wie auch bei Youtube. In den sozialen Medien kommen derzeit täglich bis zu 1,8 Millionen Live-Views für unsere Sendungen dazu. Das hilft uns sehr, weil ja noch längst nicht alle Menschen unseren Sender empfangen. Wir probieren sehr viel aus, im Programm und im Vertrieb. Bild TV bedeutet auch: Testen, lernen, besser werden. Das mag ungewohnt sein in einer Branche, in der Ihnen die Leute ständig erklären, dass sie exakt wissen, wie es geht und was am besten ist. Wir wissen das nicht immer, aber wir finden es heraus. Das treibt uns an, jeden Tag und jede Sendestunde, Beitrag für Beitrag.

 

Wir sind im Grunde kein Fernsehsender, wir sind ein Nah-Seh-Sender.

 

Worin liegt denn der Schlüssel für weiteres Wachstum? In den zweieinhalb Live-Stunden, die Sie vor dem Ukraine-Krieg gesendet haben, oder in den 13 Stunden, auf die Sie das Programm zuletzt ausgedehnt haben?

Die Antwort lautet: Ausprobieren, lernen, besser werden. Der Schritt, das Live-Programm dauerhaft auf 13 Stunden auszubauen, ist verlockend, weil wir uns gerade mit der Berichterstattung zum Ukraine-Krieg selbst beweisen, dass wir dazu in der Lage sind und damit immer mehr Zuschauer erreichen. Wir werden das Schritt für Schritt angehen. Das Ziel ist klar: Wir wollen so viele Stunden wie möglich live senden. Deshalb arbeiten wir an verschiedenen Weiterentwicklungen des Programms. 

Zum Beispiel?

Letzten Freitag haben wir 1,1 Prozent Marktanteil am Vorabend erreicht – das macht Lust auf diesen Timeslot. Und auch unsere Breaking-Sendungen am früheren Morgen fallen durch Bestwerte auf: Das sehen wir ebenfalls mit Interesse. Wir schauen uns nun genau an, in welche Zeitzonen wir uns mit unserer besonderen Art des Nah-Dran-Fernsehens vorarbeiten werden. Wir sind ja im Grunde kein Fernsehsender, wir sind ein Nah-Seh-Sender.

Ist Ihnen dieser Begriff gerade erst eingefallen?

Ja. (lacht) Er drückt exakt das Versprechen aus, das wir von Beginn an gegeben haben: Wir sind ein Breaking-News-Sender und sind da, wenn auf der Welt etwas passiert – näher dran als alle anderen, leidenschaftlicher und emotionaler. Wenn ich mir die letzten Tage ansehe, komme ich zu dem Ergebnis, dass wir unser Versprechen halten. Keiner in Deutschland ist näher an dem Schauplatz dran, der für die größte Bedrohung unserer Freiheit steht, als unser Reporter Paul Ronzheimer in Kiew.

Sollten Sie ihn nicht manchmal bremsen?

Durch Paul erfahren die Menschen in Deutschland, was wirklich in der ukrainischen Hauptstadt passiert. Er ist ja einer der wenigen deutschen TV-Reporter, die dort sind. Wir haben ein Sicherheitssystem um Paul herum, das sich auch bei seinen Einsätzen in Afghanistan und anderswo schon bewährt hat. Er ist nicht allein und er ist, nach allem, was man nach menschlichem Ermessen tun kann, sicher. Aber bei dem Wort gefriert einem das Blut in den Adern, weil in Kriegsgebieten natürlich nie etwas hundertprozentig sicher ist. 

Paul Ronzheimer © Bild "Bild"-Vize Paul Ronzheimer berichtet derzeit auf Kiew.

Um noch einmal den Begriff von eben aufzugreifen: An wie vielen Sendetagen ist dieses Nah-Dran-Sein, von dem Sie sprachen, aus Ihrer Sicht bisher gelungen?

Sicher noch nicht so oft, wie wir es uns wünschen würden. Es gelingt regelmäßig in der Crime-Berichterstattung und wir sind auch immer dann gut, wenn wir etwas exklusiv wissen. Bei unseren längeren gedrehten Beiträgen bin ich allerdings hin- und hergerissen. Mir ist bewusst, dass unsere Einspielfilme längst noch nicht alle auf Augenhöhe mit der Konkurrenz sind, aber gleichzeitig frage ich mich, ob wir überhaupt ein Sender sind, der so viele MAZen braucht. Wir müssen uns noch viel mehr auf das Live-Sein konzentrieren, weil darin unsere besondere Stärke liegt. 

An welchen neuen Formaten und Ideen arbeiten Sie derzeit? 

Wir entwickeln in unseren Kernbereichen Crime, VIP, Politik und Sport – am weitesten sind wir bei der Prominenten-Berichterstattung. Wir haben durch die hervorragende Arbeit von Tanja May, Janina Kirsch und ihrem Team so viele Exklusiv-Nachrichten, dass wir auch im TV noch mehr daraus machen wollen. Konkret wird es noch in diesem Monat im Sport: Am 26. März boxt Felix Sturm live bei Bild TV. Damit starten wir eine Serie von Kampf-Nächten - jeden Samstag ab 22 Uhr. 

An normalen Sendetagen wirkt Ihr Sender mitunter wie ein Gemischtwarenladen – irgendwo angesiedelt zwischen harter Politik und belanglosem Klatsch. Aber kann Bild im Fernsehen so eigentlich vielfältig sein wie es das Blatt oder der Online-Auftritt sind?

Kluge Frage – weil im Linearen ja das Umblättern oder Weiterklicken wegfällt. Wer in der Zeitung umblättert oder Online weiterklickt, weil er oder sie ein Thema oder einen Beitrag nicht so spannend findet, bleibt immerhin bei "Bild". Wer im TV "umblättert" oder "weiterklickt", schaltet um und ist weg. Mischung, Tempo und Dramaturgie spielen daher im TV eine herausragende Rolle – drei Disziplinen, die wir bei "Bild" seit jeher beherrschen. Wir brauchen, um erfolgreich das machen zu können, was wir im Fernsehen machen wollen, jeden Tag aus jedem Ressort eine exklusive Geschichte und eine Live-Lage. Das schaffen wir – und das hat kein anderer.

Aber jeder Themenumschwung sorgt doch wahrscheinlich für einen Umschaltimpuls.

Wenn das passiert, sind wir nicht gut, nicht einzigartig, nicht spannend genug gewesen. Wir wollen in jedem Moment die Aufmerksamkeit unseres Publikums halten und steigern. Das sind wir auch unseren Werbekunden schuldig, die auf Reichweite und Qualität der Information sowie attraktive Umfelder Wert legen. Deshalb können wir auch nicht irgendeinen Krawallsender anbieten – selbst wenn wir damit die Chance auf mehr Quote hätten. Genauso falsch wäre es, wenn wir Fox News nacheifern würden, also nur einen politischen Blickwinkel einnehmen und alles andere außen vorlassen würden. 

 

Publizistisch mag es die Marktlücke der "politisch Heimatlosen" geben. Sie sind aber auch eine gefährliche Zielgruppe.

 

Haben Sie denn die Sorge, dass jemand anderes einen auf Fox News getrimmten Sender starten könnte?

Ich weiß nicht, an wen Sie da denken. (schmunzelt)

Haben Sie trotzdem die Sorge?

Ich glaube nicht daran, dass das in Deutschland erfolgreich sein kann. Das amerikanische System ist bipolar, du bist entweder für den einen oder den anderen. Das zieht sich auch durch die Wirtschaft. Deshalb kann man sich dort, wenn man Medien macht, sehr gut auf die eine oder andere Seite schlagen und trotzdem Geld verdienen. In Deutschland, also in einer auf Konsens und Koalition ausgerichteten Gesellschaft, die zurzeit eine Regierung aus drei Parteien hat, wäre das ein wirtschaftliches Wagnis. Publizistisch mag es die Marktlücke der "politisch Heimatlosen" geben. Sie sind aber auch eine gefährliche Zielgruppe, weil sie nach meiner Erfahrung immer mehr Zuspitzung und Abgrenzung erwartet, immer steilere Thesen, immer tabulosere Schlagzeilen, kurz: immer extremere Positionen. Wer das liefern muss, wird es auch mit den Werbekunden nicht leicht haben.

Wenn wir noch einmal den Vergleich mit amerikanischen Nachrichtensendern heranziehen, dann fällt auf, dass die dortigen Shows sehr viel personalisierter sind. Inwiefern ist das für Bild ein Weg?

Wir setzen auf Reporter, auf Kolleginnen und Kollegen, deren Journalistenherz man bei jeder Silbe, die sie sprechen, und bei jeder Szene, die sie drehen, laut pochen hört. Paul Ronzheimer ist ein Reporter-Genie, der Peter Scholl-Latour des Digitalzeitalters. Peter Hell, Filipp Piatov, Til Biermann und Peter Tiede berichten zurzeit ebenfalls herausragend aus der Krisenregion. Peter Wilke und Clara-Marie Becker sind nah dran an den Menschen in den Grenzregionen und geben ihnen Gesicht und Stimme. Unsere Anchor Thomas Kausch und Sandra Kuhn Kai Weise und Patricia Platiel stehen für die "Bild"-DNA im TV. Nena Schink ist auf bestem Wege, mit ihren Meinungsbeiträgen zu einer unüberhörbaren Stimme im bürgerlich-konservativen Spektrum Deutschlands zu werden. Und mit Antonia Yamin kommt ab Mai unsere neue Chefreporterin vom israelischen Sender KAN hinzu. Ja – wir setzen auch auf die Personality und das Profil unserer Journalisten. Das machen Anne Will, Maischberger, Illner und Lanz nicht anders, deren Namen inzwischen größer sind als die ihrer Sender. 

Wäre da nicht ein größerer Einsatz von Ihnen persönlich denkbar?

Ich kommentiere mehrfach pro Woche, bringe mich mit meiner Meinung regelmäßig bei "Viertel nach Acht" ein und habe deshalb nicht das Gefühl, zu wenig vorzukommen. Mein Hauptaugenmerk gilt derzeit aber der Gesamtprogrammgestaltung. 

Bleibt die abschließende Frage nach dem nahen und dem fernen Quoten-Ziel.

Wir wollen so schnell wie möglich dauerhaft einen Marktanteil von 0,5 erreichen und darauf weiter aufbauen. Dass wir das können, haben wir zuletzt mehrfach gezeigt.

Herr Strunz, vielen Dank für das Gespräch.