Herr Wagner, war die Vermarktung der Treiber für die Fokussierung auf Joyn als digitaler Plattform? 

Joyn ist bereits jetzt als hochwertige Bewegtbildmarke bei der Werbeindustrie platziert. Dafür spricht die hohe Nachfrage, zuletzt konnten wir die Buchungen um ein Drittel steigern. Künftig wird die Joyn-App Primus für alle digitalen Inhalte, egal, ob Stream, Catch-up oder Live-TV, einfach das zentrale Element im Bereich Content und Vermarktung. Mit nur noch einer App nehmen wir Komplexität bei unseren Angeboten heraus und erhöhen dadurch gleichzeitig die Reichweite von Joyn deutlich. Natürlich richten wir auch unsere Vermarktungsangebote an dieser Premium-Aufstellung aus. 

Wie groß ist also die Rolle der Werbungtreibenden bei der strategischen Entscheidung, alles auf Joyn zu setzen?

Der Markt will hohe Reichweiten und einfache Buchungswege. Das erreichen wir durch Bündeln der Angebote.  Mit dem Fokus auf Joyn setzen wir darauf, zusätzliche vermarktbare Reichweiten in der digitalen Welt zu erzielen und dabei der Werbewirtschaft weiterhin eine hohe Media-Qualität und Brand Safety zu garantieren. Unsere Plattform gilt als Garant für saubere Werbeumfelder – ein immer wichtigeres Kriterium für Werbungtreibende. Joyn erreicht die gefragte jüngere Zielgruppe, Menschen, die jenseits von festen Ausstrahlungszeitpunkten oder fixen Gewohnheiten Inhalte nutzen.

Wird Streaming-Werbung jetzt endlich auch professioneller?

Wie der gesamte Markt, befindet sich auch unser Haus in einem andauernden Lernprozess. Kreative Kampagnen standen bei uns schon immer im Fokus, bei inhaltlichen Fragen tauschen wir uns mit den Werbungtreibenden aus. Mit der Seven.One AdFactory und zuletzt mit der Gründung des Bereichs Creative House haben wir uns auf die individuelle Beratung unserer Kunden eingestellt. Der Streaming-Bereich wird nicht nur bei uns, sondern auch bei den Werbekunden immer kreativer, hochwertiger und individueller. Das Ergebnis: Kundenkampagnen, die deutlich über das schlichte Übernehmen des 30-Sekunden-TV-Spots für die Digitalausspielung hinausgehen. 

Zum Beispiel?

Auch Pre- und Mid-Rolls bieten kreative Ansätze, wenn etwa direkt auf Links zu Homepages und Angeboten der Werbungtreibenden hingewiesen wird. Dieser Verknüpfung kommt vor allem beim Ausspielen auf mobilen Geräten eine große Rolle zu, weil die Werbebotschaft den User dort erreicht, wo er ohnehin schon den Finger über das Display bewegt und vielleicht weiter eintaucht. Daher ist auch bei der Kreation von Pre-Roll-Ads und Mid-Roll-Ads, der Scharnier- und Unterbrecherwerbung des Streamings, viel in Bewegung. Wie es nun einmal so ist bei neuen Produkten: Es entwickelt sich, wir sind bei hohem Qualitätsanspruch schon recht weit und stecken in Erwachsenenschuhen (lacht).

Sie haben mit Sonderwerbeformen bereits experimentiert. Was sehen wir wieder?

Nehmen wir das Branded-Entertainment-Format „Ready? Fresh? Date!“, die Mini-Serie rund um die Marke Wrigley’s bei Joyn, die wir im Dezember gestartet haben. Dabei handelt es sich um einen gemeinsamen Case zwischen Joyn, Seven.One Media, Studio71 und Mediacom als Agenturpartner. Als Entertainment-Gruppe können wir hier viele Expertisen aus einer Hand anbieten, darin steckt eine große Zukunft. Ein eigenes Team bei uns in der Vermarktung hat Sonderwerbeformen bei Joyn wie Product Placements oder Branded Entertainment fest im Blick – immer in engem Austausch mit Joyn. Das nächste kreative Placement mit dem Kunden Motorola starten wir mit der Comedy-Serie „Camps für Future“ am 17. März. Schon heute macht die Marke einen erheblichen Teil der digitalen Erlöse aus, die Inhalte von Joyn werden bereits zu 50 Prozent über den großen Bildschirm abgerufen. Für uns daher künftig ganz zentral: die Adressierbarkeit. Das kennt der Markt bisher als Addressable TV für lineare Sender, wo wir nach dem Online-Vorbild Werbung nach Zielgruppen aussteuern. Bereits seit letztem Jahr ist das auch innerhalb der Joyn-App möglich: Wir spielen innerhalb des Livestreams auch dort Werbespots je nach gewünschter Zielgruppe aus − oder nach Regionen, was uns rechtlich seit Ende 2021 erlaubt ist. 

Gibt es denn auch entsprechende Nachfrage?

Die Nachfrage nach adressierbarer Werbung innerhalb des Livestreams ist so hoch, dass wir zum Jahresstart die vermarktbaren Flächen ausgebaut haben. Ab April werden wir all diese adressierbaren Werbeflächen in TV-Umfeldern unter unserem neuen Addressable-TV-Begriff zusammenfassen. Mit einer einheitlichen Buchungslogik und einheitlichen Targeting-Kriterien. Das ist die größte Neuerung seit sechs Jahren, als wir den SwitchIn eingeführt haben, also Werbung, die beim Umschalten automatisch eingeblendet wird. Im Vordergrund steht dabei, dass wir das Produkt Addressable TV neu positionieren und erweitern. Unter dem Begriff bündeln wir künftig alle digital adressierbaren Werbeformen, egal ob das Umfeld Streaming, Live-TV oder sonstige Big-Screen-Nutzung heißt. 

2019 vereinten YouTube und Facebook zwei Drittel des deutschen AVoD-Werbemarktes auf sich, ProSiebenSat.1 gemeinsam mit RTL gerade einmal 26 Prozent. Wie sieht es heute aus?

2021 ist für uns in diesem Bereich sehr gut gelaufen, die Werbebudgets im Streaming wachsen weiter dynamisch. Um daran bestmöglich zu partizipieren, verfolgen wir zwei strategische Ansätze: Zum einen mit der Neuaufstellung von Joyn als Streaming-Destination für all unsere Inhalte, um mehr digitale Reichweite und passende Nutzung zu garantieren. Zum anderen setzen wir alles daran, die große Gattung TV zu stärken und mit noch mehr Funktionalitäten der Online-Welt auszustatten, um auch digitale Budgets fürs Fernsehen zu gewinnen. Dazu zählen Addressable TV, unser Total-Video-Werbeprodukt, das auf dem Gütesiegel CFlight basiert, oder programmatische Lösungen.

Welche Erwartungen haben Sie an werbefinanziertes Streaming, also AVoD?

Ich bin sehr optimistisch, weil es für die Werbekunden bislang noch zu wenige Möglichkeiten gibt, im Streaming-Umfeld zu werben. Die meisten Plattformen konzentrieren sich auf das Abonnement-Modell. Wir hingegen setzen mit Joyn neben dem Premium-Abo-Bereich stark auf AVoD und sehen großes Potenzial für den Werbemarkt. Die Chancen für werbefinanziertes Streaming stehen sehr gut – das sehen wir auch in anderen Ländern. Denn die Grenzen sind erreicht, was ein Haushalt für Entertainment ausgeben kann – für den Kabelanschluss, den Rundfunkbeitrag, Sportangebote und vielleicht noch zwei bis drei weitere Streaming-Plattformen. Es gibt genügend Menschen, die hochwertigen und kostenlosen Content wollen, der durch Werbung finanziert wird. Das ist ein gelerntes Modell. Ich erwarte, dass die Nachfrage der Werbekunden deutlich steigen wird – abhängig vor allem davon, ob es uns gelingt, die adressierbare Reichweite pro Buchung deutlich zu steigern. Es war in der Vergangenheit zuweilen der Knackpunkt, dass die Nachfrage größer war als das Angebot. Das ändern wir nun, indem wir das Addressable-TV-Angebot – auch durch Joyn – erweitern und ab April deutlich größere Reichweiten bieten können. 

Die Erwartungen für klassische Werbeumfelder fallen bei Mediaagenturen im Verband OMG nicht hoch aus. Fürchten Sie, dass deren Prognose für noch mehr Plus bei Digitalriesen zutreffen wird?

Die Digital Giants haben mit ihren Walled Gardens ganz schön hohe Mauern geschaffen. Doch es ist auch viel Misstrauen entstanden. Es gibt Werbungtreibende mit Selbstbeschränkungen, die in solchen Umfeldern nicht stattfinden möchten. Wenn ich als Werbekunde einer großen Fernsehmarke vertraue, dann folge ich ihr auch digital dorthin, wo es ihr Publikum hinzieht. Es hat Sinn, wenn ich die Marke mit meiner Werbung begleite. 

Die Bewegtbild-Gattungsinitiative Screenforce hat sich fürs Streaming geöffnet, auch die Reichweitenmessung der AGF spiegelt seit 2021 in Teilen beide Welten – TV und Online. Reicht das für die neue Gattung AVoD?

Screenforce ist auch der Hafen für AVoD. Wir sprechen in der Gattungsinitiative seit geraumer Zeit von Total Video, ein Begriff, der alle Formen von Bewegtbild zusammenfasst. Und an einer konvergenten Reichweitenmessung arbeiten alle Beteiligten weiterhin sehr intensiv. CFlight ist schon mal ein guter Vorstoß, um digitales Video im Qualitätsstandard von TV mit garantierter Reichweite zu vermarkten. Damit zahlen Kunden nur für Werbung mit dem Prädikat „voll gesehen in der Zielgruppe“.

Herr Wagner, vielen Dank für das Gespräch.