Wenn die Münchner Schickeria rund um Fashion-Influencerin Vanessa ins Wintersport-Eldorado Kitzbühel einfällt, dann trifft das ins Herz eines wichtigen Fiction-Trends des auslaufenden Jahres. Im Zuge der überfälligen Branchendebatte um mehr Diversität und Inklusion wurde eine Dimension lange vernachlässigt: soziale Klassenunterschiede oder schlicht die Vielfalt der Schattierungen zwischen Arm und Reich. Vom soapig-oberflächlichen "Gossip Girl"-Reboot bei HBO Max über die schmerzhaft-tiefgründige Netflix-Verfilmung der Mutter-und-Putzfrau-Memoiren "Maid" bis hin zum satirisch überhöhten Klassismus-im-Luxusresort-Drama "The White Lotus" von HBO legten Serienmacher 2021 diesbezüglich nun kräftig nach.

Da das Thema im deutschen TV-Markt erst recht zu kurz kommt, lässt "Kitz" definitiv aufhorchen. Ähnlich wie die fiktive Sommerdestination "White Lotus" auf Hawaii ist Kitzbühel, das "Aspen der Alpen", ein perfekter Schauplatz der Konfrontation zwischen jenen, die für kurze Zeit anreisen, um vor Ort jeden erdenklichen Luxus zu buchen, und den einheimischen Servicekräften, die vom Urlaub der Superreichen leben, ihn sich selbst aber niemals leisten könnten. Zwischen Privilegien, Hassliebe und Abhängigkeit lassen sich hier relevante Geschichten aus der soziokulturellen Kampfzone erzählen.

Um keine falsche Hoffnung zu erzeugen: "Kitz" ist vom Niveau der Erzählkunst eher "Élite" oder "Gossip Girl" als "The White Lotus", aber das muss ja nicht schlecht sein für eine selbsterklärte Young-Adult-Mystery-Serie. Die beiden Showrunner Nikolaus Schulz-Dornburg und Vitus Reinbold führen den österreichischen Nobel-Skiort durch die Augen der jungen Kellnerin Lisi (Sofie Eifertinger) ein, die auf der dekadenten Silvesterparty von Model und Instagram-Star Vanessa (Valerie Huber) arbeitet. Wie sich schnell herausstellt, geht es um mehr als nur den Job. Genau vor einem Jahr fuhr Lisis Bruder nachts in den Bergen mit dem Auto in den Tod, mutmaßlich nachdem Vanessa ihn nach einer heimlichen Affäre sitzengelassen hatte. Mit der Hilfe ihres besten Freundes Hans (Ben Felipe) will Lisi die Münchner Clique infiltrieren und sich an Vanessa rächen.

Das alles sieht verdammt gut aus – nicht unwesentlich für das Setting, das die "Kitz"-Macher etablieren wollen. Von liebevoll ausstaffierten Champagner-Orgien im Chalet bis zum aufwendigen Modeshooting im Schnee reiht die Serie Schauwert an Schauwert und verführt allein schon dadurch zum Dranbleiben. Die eingebaute Thriller-Handlung hat teils gelungen spannende, teils arg vorhersehbare Phasen; das Schauspielvermögen des jungen Ensembles variiert zwischen authentisch und hölzern. 

Was "Kitz" aber richtig überzeugend hinkriegt, ist die Zeichnung seiner Figuren im Hinblick auf die zentralen Konflikte: Wo stehe ich im Leben, was sind meine Ziele, was hält mich davon ab? Was halte ich für selbstverständlich, wofür muss ich kämpfen? Diese essenziellen Fragen stellen sich für jede der Hauptfiguren etwas anders, je weiter der Clash zwischen High Society und Locals voranschreitet. Sie machen eine echte innere Entwicklung durch, die von der Konfrontation mit der jeweils anderen Welt getrieben wird. Lisi entdeckt ihre eigene Verführbarkeit, während die hedonistische Fassade der Rich Kids nach und nach bröckelt.

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Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Vanessas Freund Dominik (Bless Amada), der unter dem ungefilterten Druck seiner getrennt lebenden Eltern leidet, sowie Hotelerbe Kosh (Zoran Pingel), der nicht in der Lage ist, seine Gefühle für "Bauernburschi" Hans zuzulassen. Dass die Serie unangestrengte Diversität beweist, indem sie verschiedene Hautfarben ihrer Figuren nicht problematisiert sowie Homo- und Hetero-Sex und -Liebe dramaturgisch gleichberechtigt darstellt, macht sie zur zeitgemäßen Streaming-Erzählung für eine internationale Jugendzielgruppe.

Schade ist nur, dass dabei viel Lokalkolorit auf der Strecke bleibt. Die einzige Österreicherin im Hauptcast spielt eine Münchnerin, die Kitzbüheler werden von Deutschen gespielt – fast alle sprechen so, als kämen sie eher aus Hannover als aus den Alpen. Etwas mehr eigene Färbung hätte dieser besondere Serienschauplatz schon verdient. Dem internationalen Appeal hätte es sicher nicht geschadet.

"Kitz", sechs Folgen bei Netflix