So schnell kann es im Fernsehen gehen: Gerade noch verkörpert Felix Klare den Stuttgarter "Tatort"-Ermittler Sebastian Bootz und schon im nächsten Moment ist er als flüchtiger Sexualstraftäter zu sehen. In "Schneller als die Angst", einer sechsteiligen Miniserie, mit der die ARD ins Jahr startet, legt Klare eine beeindruckende Leistung an den Tag und verkörpert den Vergewaltiger und Frauenmörder Haffner so vielschichtig und abgeklärt, dass man es auf dem Sofa selbst mit der Angst zu tun bekommen kann.

Nein, für schwache Nerven ist die Produktion von Degeto und Rowboat ganz sicher nichts, zu packend hat Florian Baxmeyer, der zuletzt schon bei der Netflix-Serie "Tribes of Europa" Regie führte, zusammen mit dem Kameramann Marcus Kanter den Stoff nach den Drehbüchern von Klaus Arriens und Thomas Wilke inszeniert. Und der hat es wahrlich in sich, wird hier doch in bestechender Weise eine Geschichte auf zwei Ebenen erzählt.

Es geht eben nicht nur um die Jagd auf Haffner, sondern auch um die aufstrebende Magdeburger Zielfahnderin Sunny Becker (Friederike Becht), die all ihre Wut auf den Täter überträgt, weil sie kurz zuvor selbst Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. An das Verbrechen kann sich Sunny nur vage erinnern, weil sie von dem maskierten Täter ein Betäubungsmittel verabreicht bekam. Als sie nach mehrwöchiger Krankschreibung in den Dienst zurückkehrt, nimmt sie sich zwar vor, dort weiterzumachen, wo sie vor der Tat aufgehört hat, doch schnell wird klar, dass das schlicht nicht machbar ist.

Schneller als die Angst © ARD Degeto/MDR/Stephan Rabold wischen Sunny (Friederike Becht) und ihrem Kollegen Markus (Christoph Letkowski) gibt es Rivalitäten.

Zwar möchte die Ermittlerin nach außen Stärke zeigen, doch in Wirklichkeit ist sie tief verletzt und leidet unter Angststörungen und Panikattacken. Ihr Vorgesetzter und Mentor Ralf Keller (Thomas Loibl) ahnt, dass es ihr nicht gut geht, doch weder ihm noch der Psychologin Bellin (Sarah Bauerett) möchte sie sich zunächst anvertrauen. Dass erstmal ihr Kollege Thomas Fechner (Christoph Letkowski) die Ermittlungen im Fall Haffner leitet, gefällt Sunny nicht, wohl aber ihrem ebenfalls bei der Polizei arbeitenden Freund Kuba (Oleg Tikhomirov), der überfordert ist mit der Situation und sich darum sorgt, dass die Beziehung auseinanderbricht.

Doch mit ihren Kolleginnen und Kollegen ist das so eine Sache. Wem kann sie eigentlich trauen? Fechner verfolgt die falsche Spur und mit der Zeit findet Sunny auch noch heraus, dass der Vergewaltiger aus den eigenen Reihen stammen sein muss. Und dann sind da auch noch ihre Kollegin Johanna Delling (Lisa Hrdina), die ominöse Gefängnispsychologin Tina Kullmann (Hannah Ehrlichmann) und der aus Potsdam zur Verstärkung geholte Torsten Wächter, der den flüchtigen Frauenmörder kennt. Ohnehin wird schnell deutlich, dass in dieser Geschichte ganz viele Figuren eigene Interessen verfolgen. Entsprechend undurchsichtig bleiben die Verbindungen über einen langen Zeitraum hinweg. 

Glücklicherweise schaffen es die Verantwortlichen hinter der Kamera, all die Handlungsfäden so zu spinnen, dass die Spannung durchweg aufrechterhalten bleiben kann. Angesichts dieser Vielschichtigkeit macht es sich in besonderem Maße bezahlt, dass nicht nur die Hauptrollen stimmig besetzt sind. Und so überzeugt bei "Schneller als die Angst" letztlich das gesamte Ensemble - von Felix Klare und Friederike Becht, die beide mit Facettenreichtum begeistern, bis hin zu vermeintlichen Nebenfiguren. Ein mitreißender Psychothriller in allen Belangen, der nur eine Frage offen lässt: Kann 2022 noch spannender werden?

"Schneller als die Angst" ab 30. Dezember in der ARD-Mediathek sowie am 1., 2. und 8. Januar um 21:45 Uhr im Ersten.