"Eigentlich geht doch Kernobst gerade gut", meint Thorsten Krause, muss sich aber schnell eines Besseren belehren lassen. Doch der Filialleiter des Hamburger Discounters Feinkost Kolinski hat gerade ohnehin andere Sorgen als die Frage, ob mehr Kernobst oder wegen des angesagten Strandwetters doch mehr Wassermelonen bestellt werden müssen. Gleich kommt seine Chefin. Die, erzählt Krause, sei im Grunde wie eine Spinne. "Die haben eigentlich mehr Angst vor einem als man vor ihnen."

Wenn Schauspieler Marc Hosemann in seinem tristen Büro sitzt und in die Kameras spricht, fühlt man sich unweigerlich an Stromberg erinnert. Und das liegt keineswegs bloß daran, dass es sich bei der neuen Amazon-Serie ebenfalls um eine Mockumentary handelt. Nein, es sind vielmehr der gesamte Habitus, die Art und Weise, wie Filialleiter Thorsten und seine Belegschaft mit- und übereinander sprechen, die diesen Vergleich unweigerlich nach sich ziehen. Und natürlich sind auch sonst die Parallelen nicht von der Hand zu weisen: Thorsten Krause hält sich offenkundig für einen großen Manager, läuft aber schon bei seinem ersten Online-Date so schnell er kann davon. Klar, dass die Belegschaft den Chef nicht so recht ernst nehmen will.

"Die Discounter" zu sehen, aber ständig "Stromberg" im Kopf zu haben, hätte komplett schiefgehen können. Hätte – denn glücklicherweise bekommt die Serie, deren Episoden meist kaum länger eine Vietelstunde dauern, relativ schnell ein Eigenleben, was nicht zuletzt dem fabelhaften Ensemble zu verdanken ist. Bruno Alexander ("Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"), Ludger Bökelmann ("Dark"), Rapperin Nura Habib Omer, David Ali Rashed ("Tribes of Europa"), Maria Bloching und Klara Lange verkörpern das junge Supermarkt-Team, das meist ganz anderes im Sinn hat als Leergut oder eine korrekt abgezählte Kasse.

Die Discounter © 2021, Amazon.com In zunächst zehn Folgen werden die Geschichten eines Hamburger Discounter-Teams erzählt. Vorne im Bild: Filialleiter Thorsten Krause (Marc Hosemann)

Da wird der Kühlraum regelmäßig zum Hort für Liebschaften umfunktioniert und der Name vom Perso der Kundschaft notiert, um an ein Date zu kommen. Die Halloween-Pause wiederum eskaliert, als es auf dem trostlosen Discounter-Parkplatz ganz plötzlich um die Zukunftsperspektive der Jungspunde abseits der Supermarkt-Welt geht. "Abi ist für Loser", heißt es dann. Und in einer anderen Szene hegt Flora nach ihrem zwischenzeitlichen Rausschmiss ohnehin völlig neue Pläne: "Was soll ich in diesem Scheiß-Supermarkt, Alter", flucht sie, "wenn ich zu dieser Zeit meine Rap-Karriere starten kann?"

Auch sonst geht es durchaus launig zu – etwa, wenn ein verwitweter Mitarbeiter (Wolfgang Michael) seine selbstgemachten Kerzen verkaufen will, der Chef dafür aber allenfalls einen Platz beim Mottenpulver sieht ("Da könnten sie zum Verkaufsschlager werden."). Gelungen auch der Auftritt von Security-Mitarbeiter Jonas (Merlin Sandmeyer), der dem einkaufenden Gaststar Fahri Yardim auf Schritt und Tritt folgt, um ein Selfie mit ihm zu bekommen. Später hält er das Foto stolz in die Kamera und sagt: "Das bin ich und Elyas M'Barek."

All das ist inspiriert von der niederländischen Serie "Vakkenfullers", die Christian Ulmen und Carsten Kelber mit ihrer Produktionsfirma Pyjama Pictures für den deutschen Markt adaptiert haben – zusammen den "Kleinen Brüdern", einer Firma, die aus äußerst talentierten jungen Menschen besteht. Für das Drehbuch zeichnen die Brüder Oskar und Emil Belton sowie Hauptdarsteller Bruno Alexander verantwortlich. Sie übernehmen auch Regie und den Schnitt der Serie. Max Mattis wiederum fungiert als Producer, Ina-Christina Kersten als Buch-Producer.

Vielleicht ist es gerade diese Kombination aus jugendlichem Elan und großer Erfahrenheit, die immer wieder für gute Momente in der Mockumentary sorgt, auch wenn nicht jeder Gag so zündet, wie man das einst von Ralf Husmanns "Stromberg" kannte. Womit wir dann doch wieder beim Vergleich beider Serien wären. Und diesen verliert die neue Amazon-Produktion leider recht deutlich, weil das Vorbild schlicht unerreicht bleibt, auch wenn es gewiss Spaß macht, dem "Discounter"-Personal bei der schwierigen Gratwanderung zwischen Beruf und Privatleben zuzusehen. Sonderlich viel Neues kann die Serie dem Genre aber leider nicht hinzufügen. Das Label "Kult-Comedy" wird sich der Neustart somit erst noch hart erarbeiten müssen.

"Die Discounter", ab sofort bei Prime Video