Ganz am Ende hat Jörg Draeger noch eine Bitte an seine Kandidatin. "Hab ihn lieb, dreimal täglich füttern und nie in fremde Hände geben", sagt er - und meint damit natürlich den Zonk, den die junge Frau gerade "gewonnen" hat. Das rot-schwarze Vieh gab es schon vor mehr als 20 Jahren als Trostpreis, wenn die Kandidatinnen und Kandidaten im Zocker-Spiel mit Draeger mal wieder, wie so oft, leer ausgegangen waren. Klar, dass der Zonk nun auch bei der Neuauflage der kultigen Gameshow nicht fehlen darf.

Dass auch Draeger noch einmal vor der Kamera steht, hat dagegen auch ihn selbst überrascht - immerhin ist der gute Mann inzwischen 76 und damit in einem Alter, in dem er eigentlich gemütlich in seinem Häuschen sitzen und das Leben genießen könnte. Doch "Geh aufs Ganze" und Jörg Draeger gehören einfach unweigerlich zusammen, wie man spätestens seit Ende der 90er weiß, als vorübergehend Elmar Hörig mit dem Publikum um Umschläge und Tore spielte. 

Dass es Draeger noch kann, wurde spätestens im Sommer klar, als er im Zuge seiner Teilnahme bei "Promi Big Brother" noch einmal kurz aufblitzen ließ, wie das mit dem Zocken geht. Weil das auch bei den Fans gut ankam, steht er jetzt also noch einmal auf der großen "Geh aufs Ganze"-Bühne, fragt die mitunter bunt verkleideten Damen und Herren, die neben ihm stehen, mit seiner sonoren Stimme, ob es Tor 1, 2 oder 3 sein soll - oder doch lieber ein Bündel Geldscheine, um im Idealfall dem Zonk zu entgehen.

Wenn man sich all das an diesem Freitagabend so anschaut, dann hat man für einen kurzen Moment das Gefühl, die 90er Jahre sind zurück. Jene Zeit, in der gefühlt von morgens bis abends immer irgendwo im Fernsehen Menschen zu sehen waren, die mit simplen Spielen Knete, Autos oder Ramsch gewinnen konnten. Das mag zwar wenig zu tun haben mit anspruchsvoller Unterhaltung, war aber stets nett anzusehen - was wiederum die Frage aufwirft, warum all diese schönen Shows mit der Zeit vom Bildschirm verschwunden sind.

Falscher Jugendwahn in der Daytime

Rückblickend betrachtet war das Aus beliebter Gameshows möglicherweise ein Fehler. Zur Erinnerung: "Jeopardy" wurde einst eingestellt, weil die Sendung bei RTL um 17 Uhr unter die Marke von drei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern gefallen war - ein Wert, von dem sämtliche Privatsender heute selbst in der Primetime fast nur noch träumen können. Und auch das "Familienduell" erwies sich bis zum Schluss mit rund einer Million Fans am späten Vormittag als echter Hit. Das Problem: Mit Shows dieser Art erreichten die Sender ein vorwiegend älteres Publikum und Wiederholungen zu senden, war schlicht günstiger.

Doch möglicherweise haben die Privaten in ihrem Jugendwahn übersehen, dass das Publikum, für das sie tagsüber Programm machen, zu diesem Zeitpunkt kaum noch vor dem Fernseher sitzt. Ein Beispiel: Um in dieser Woche donnerstags um 15 Uhr einen Marktanteil von zehn Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen zu erreichen, genügte es schon, 200.000 Menschen zu unterhalten. Doch die große Masse blieb damit außen vor, denn insgesamt hatten zu diesem Zeitpunkt über zehn Millionen Menschen, überwiegend jenseits der 60, den Fernseher laufen, von denen sich ein Großteil für die Öffentlich-Rechtlichen entschied.

In Amerika ist das anders: Da bedienen die großen Networks mit Gameshows, Talks oder Gerichtsshows tagsüber viel mehr den Geschmack des älteren Publikums - was dann auch erklärt, wieso dort noch immer beliebte Klassiker wie "Jeopardy", "Wheel of Fortune" oder "The Price is right" zu sehen sind. Wenn dagegen hierzulande Neuauflagen gemacht wurden, dann waren diese leider oft aus Spargründen lieblos umgesetzt - wie etwa das "Glücksrad", das in der RTLplus-Version wie ein Schatten vergangener Tage wirkte. Oder aber es fehlte der Mut, eine gelungene Version wie "Der Preis ist heiß" einmal im Hauptprogramm auszuprobieren. Was, bitteschön, hätte passieren sollen? Schlechter als die Quoten, die RTL jetzt am Vor- und Nachmittag erzielt, wäre es wohl kaum gelaufen.

Womit wir wieder bei "Geh aufs Ganze" wären: In diesem Fall hat UFA Show & Factual innerhalb weniger Wochen eine schöne, bisweilen nostalgische 2020er-Version des 90er-Hits auf die Beine gestellt - mit einem souverän unterstützenden Daniel Boschmann und einem noch immer gut aufgelegten Jörg Draeger, auch wenn ihm, wie er in der Premiere scherzte, das Aufstehen nach dem Bücken inzwischen ein wenig schwerer fällt. Fraglich bleibt allenfalls, ob der eigentliche Vorabend-Halbstünder auf Dauer als aufgeblasene Primetime-Version trägt. Trotzdem schön, dass Sat.1 mit dem Zonk noch einmal aufs Ganze geht.

"Geh aufs Ganze", freitags um 20:15 Uhr, Sat.1

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