Herr Bellut, herzlichen Glückwunsch zum Directorate Award 2021 der International Academy of Television Arts & Sciences für Ihre Verdienste um das ZDF und die Verdienste des ZDF im wiedervereinigten Deutschland. Welche Botschaft verbinden Sie mit der Auszeichnung? 

Bei den Emmys wird zuerst die Qualität von Inhalten betrachtet. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie viele unterschiedliche Stilformen es weltweit auf höchstem Niveau gibt. Telenovelas in Südamerika zum Beispiel oder Gesellschaftsdramen in Südkorea. Meine Botschaft hier in New York vor Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt basiert auf der Erfahrung der deutschen Demokratie und der Wiedervereinigung, die ohne Zweifel das Highlight meines Berufslebens als Journalist war. Ich habe das Privileg genossen, fast 40 Jahre als freier Journalist zu arbeiten - das können weltweit immer weniger Kolleginnen und Kollegen von sich sagen, denn die Pressefreiheit gerät unter Druck. Ich möchte deshalb den Directorate Award all den Journalistinnen und Journalisten widmen, die nicht diese Freiheiten haben, wie wir in Deutschland.

Nehmen wir diesen Umstand zu oft als selbstverständlich hin? 

Die Pressefreiheit gerät in immer mehr Ländern unter Druck, das sehe ich auch in Europa. In Deutschland wissen fast alle, dass unsere Pressefreiheit ein wertvolles Gut ist, das man auch verteidigen muss. 

Die Öffentlich-Rechtlichen erreichen im Osten allerdings nicht die gleiche Akzeptanz wie in anderen Landesteilen. Ist die Herausforderung der Wiedervereinigung noch immer nicht erledigt?

Nein, sie ist noch nicht ganz erledigt. Aber man sollte auch daran erinnern, dass die Öffentlich-Rechtlichen damals ein Bild des freien Westens transportiert haben und dieses Bild eine Voraussetzung dafür war, dass es die friedliche Revolution gegeben hat. Es gab in der Bevölkerung der DDR irgendwann den Wunsch, weniger eingesperrt zu werden, sei es in Gedanken oder auch körperlich. Eine freie Mediengesellschaft war eine der Sehnsüchte damals.

Wie sehen Sie die Situation heute? 

Die Frage, wie man das Publikum im Osten adäquat erreicht, hat mich über die Jahre hinweg beschäftigt. Wir haben uns, wie das ganze Land, schwergetan, die Meinungen des Ostens angemessen darzustellen. Das ist mittlerweile deutlich besser geworden und ich führe das auch als Hauptgrund dafür an, dass das ZDF für die Menschen im Osten kein Westsender mehr ist. In Sachsen, Thüringen, Brandenburg und in Berlin sind wir genau so stark wie im Westen, darüber bin ich sehr froh. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt müssen wir noch besser werden, das gilt aber auch für den Norden, Hamburg zum Beispiel. Das Ost/West-Gefälle ist geringer geworden. 

Auf den nationalen Kraftakt einerseits folgte ein inzwischen zunehmend internationaler medialer Wettbewerb großer Konzerne. Besorgt Sie das oder stärkt das letztlich die Notwendigkeit von Public Service Broadcasting?

Man muss schon anerkennen, dass die Plattformen als Auftraggeber etwa von hochklassiger Fiktion eine wichtige Rolle spielen. Das hat das Geschäft schon verändert. Die International Emmys zeigen Jahr für Jahr eine große globale Vielfalt, bei der deutsche Produktionen früher stärker vertreten waren - meist mit Event-Programmen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder „Bad Banks“. Mit solchen Produktionen spielt man international mit. Unsere primäre Aufgabe ist es aber, das ganze Publikum in Deutschland zu erreichen. Das tun wir, indem wir z.B. Mittel in Serien und Produktionen verlagert haben, die in der Netz-Generation ankommen. Da sind wir dann aber in der Preis-Ernte noch nicht so stark, wie wir es früher waren. Die Herausforderung besteht darin, einerseits etwa über die Mediathek allen etwas zu bieten. Andererseits stemmen wir weiterhin große Gemeinschaftserlebnisse, die dann auch international Anerkennung erhalten. Daran glaube ich weiterhin, „Wetten, dass..?“ hat gerade erst dieses Bedürfnis beim Publikum bewiesen. Wir sind vielschichtiger geworden und damit ist es schwieriger, weltweit mit einem Programm durchzudringen. 

Noch einmal genereller nachgefragt: Sind nationale Broadcaster in der Konkurrenz zu internationalen Anbietern noch konkurrenzfähig?

Deutsche Produktionen sahen sich immer schon einem ungleich größeren Markt englischsprachiger Programme gegenüber. Ich habe mir lange abgewöhnt, über Dinge zu klagen, die sich nicht ändern lassen. Die Konkurrenz der Plattformen ist deshalb in der Wahrnehmung so stark, weil sie nicht wie wir ein breites und vielfältiges Programm anbieten, sondern mit auffälligen Highlights um neue Abonnenten werben. Ob sie die dann auch dauerhaft halten können, ist eine andere Frage. Die Plattformen haben einen Vorteil: Sie produzieren vergleichsweise wenig, zielen damit aber auf große Aufmerksamkeit. Dennoch sehen wir an unseren Erfolgen beim Publikum und wie hier bei den International Emmys eine Wertschätzung für öffentlich-rechtliche Angebote, weil wir nicht nur Fiktion und Unterhaltung liefern, sondern für ein Weltbild und freien Journalismus unabhängig von kommerziellen Interessen stehen. Wo wir aber über den internationalen Fernsehmarkt sprechen, möchte ich anmerken: Das ZDF hat die Vielfalt kreativer Leistungen anderer Länder schon zugänglich gemacht, als es die Streamingdienste noch gar nicht gab.

 

"Das ZDF hat schon lange vor den internationalen Plattformen für den Austausch von Kreativen gesorgt."

 

Sie meinen skandinavische Serien und britische Produktionen ins Programm zu nehmen bzw. als Koproduzent dabei zu sein?

Das ist auch ein Verdienst von ZDF Enterprises, die das Potential von Kooperationen mit Skandinavien früh erkannt und dann auch Produktionen auf den Weg gebracht haben, die vielfach ausgezeichnet wurden. Insgesamt sind wir dadurch viel europäischer geworden und haben den Anteil an Kooperationen weiter ausgebaut. Zuletzt etwa mit der European Alliance. Und für ZDFneo kaufen wir auch schon lange Inhalte aus dem europäischen Raum und zeigen diese mit beachtlichem Erfolg. Da hat das ZDF schon lange vor den internationalen Plattformen für den Austausch von Kreativen gesorgt und Produktionen aus zuvor wenig beachteten Regionen bei uns in Deutschland groß gemacht.

Nicht die Streamingdienste, aber die Social Networks haben den Diskurs zunehmend in Filterblasen verlagert, es gibt immer weniger gemeinschaftlichen Boden im Diskurs. Ist das eine irreversible Entwicklung?

Nein, der ZDF-Programmfamilie gelingt es besser als noch vor zehn Jahren, Menschen zusammenzubringen – über alle Ausspielwege hinweg. Das zeigen die Reichweiten und Marktanteile unserer Angebote. Wir haben das vor der Bundestagswahl gespürt, aber auch während der Coronakrise: Das lineare Fernsehen und seine vertrauenswürdigen Marken leben, übrigens auch weltweit. Auch in dem sehr aufgesplitteten amerikanischen Markt ist das lineare Fernsehen nach wie vor sehr lebendig. Natürlich wird es selbst für ein ganz großes Event immer schwerer.

Was ist denn für Sie heute ein ganz großes Event. Bei wie vielen Zuschauerinnen und Zuschauern beginnt das?

Ein Programm, das sechs Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer oder mehr erreicht. Und es geht ja. Am Abend der “Wetten, dass..?”-Sendung habe ich gesagt, dass ich mit acht Millionen sehr zufrieden wäre. Am nächsten Morgen wäre ich dann beim Rudern fast aus dem Boot gefallen, als ich die Zahlen gehört habe. Aber auch an Sport und anderen Sendungen sieht man, dass noch immer sehr viele Menschen gerne live schauen. Es stimmt aber auch, dass sich die Gesellschaft auseinander bewegt und die Angebote immer reichhaltiger werden. Zu glauben, man könne sich auf die Rezepte der Vergangenheit stützen, ist daher falsch. 

In New York den Ehrenpreis der International Emmys entgegennehmen - ist das so etwas wie die Auslandsreise der Kanzlerin, wenn's innenpolitisch zermürbend wird? 

Ich will ich mich hier nicht über die ständige Kritik und Legitimationsdebatten beschweren. Wer über Beiträge finanziert wird, der steht nun mal im Scheinwerferlicht und das ist auch okay so. Dass wir als öffentlich-rechtlicher Sender mit einem Informationsanteil von fast 45 Prozent Marktführer sind, ist weltweit nicht so häufig der Fall und lässt uns erhobenen Hauptes in Diskussionen gehen. Ich spüre durchaus eine große Zustimmung für das öffentlich-rechtliche System. In vielen anderen Ländern ist die Debatte sehr viel härter als in Deutschland. 

These: Medienpolitik wird in Deutschland seit Jahren den Empörten überlassen und abseits von Maximalforderungen ist wenig Konstruktives dabei. Wie sehen Sie das?

In der öffentlichen Debatte kann man diesen Eindruck haben. Da sind auch viele Interessen im Spiel. Wer sich aber etwa den vor kurzem verabschiedeten Medienstaatsvertrag ansieht, der erkennt schon, dass unabhängige und fachkundige Beamte in den Ländern einen Fortschritt erreicht - und dabei übrigens auch alle Interessen im Auge behalten haben. Das Getöse nervt, aber es gibt eben auch die Ebene der sachlichen Auseinandersetzung. Die Herausforderung des Föderalismus ist es, Entscheidungen zu organisieren. Die Interessen in den 16 Bundesländern sind unterschiedlich, da geht es oft auch um Standortpolitik. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist eine Titanen-Arbeit. Hinzu kommt, dass Corona und Wahlen die Energien in andere Richtungen haben fließen lassen. So gesehen glaube ich, dass sich die Länder jetzt wieder intensiver der Medienpolitik widmen. 

 

"Wir alle stochern im Nebel über die tatsächliche Nutzung unserer Inhalte im digitalen Raum."

 

Blicken wir zum Schluss in die Zukunft. Was ist für Public Service Broadcaster relevanter. Das Broadcasting als Gattung oder Public Service als Inhalteauftrag?

Es geht ganz klar um den Public Service. Um das, was wir für die Gesellschaft leisten. Es mag wie eine Worthülse klingen, aber ich meine das genau so: Die Gesellschaft zusammenhalten kann man nur, wenn man mit relevanten Inhalten überall präsent ist. Bei den Menschen ankommen ist wichtiger als der einzelne Verbreitungsweg. Ich bin davon überzeugt, dass die lineare Verbreitung in den nächsten zehn Jahre sehr wichtig bleiben wird. Und das ist schon eine kühne Vorhersage, für die Zeit danach kann man das kaum sagen. Unsere Marktanteile sind prima, aber die Gesamtzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer bei der linearen Nutzung sinkt schon seit Jahren. Darauf stellen wir uns ein. 

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Ein großes Problem ist die Erfolgsbewertung, die Messbarkeit. Wir alle stochern im Nebel über die tatsächliche Nutzung unserer Inhalte im digitalen Raum, es gibt da noch keine vergleichbaren Maßstäbe. Natürlich sehen wir, dass Youtube und Netflix weltweit extrem erfolgreich sind. Einer meiner Kollegen sprach mit Blick auf die Streamingplattformen mal von einem behaupteten Erfolg, weil es keine transparenten Daten gibt. Auch DWDL versucht ja nachdrücklich, alle Zahlen zu recherchieren und aufzubereiten. Und an Ihren Aufstellungen kann man ablesen, wie komplex das Thema ist. Da wo wir selbst Veranstalter sind, bei der ZDFmediathek, sind wir natürlich weiter. Aber das ist eben nur ein Ausspielweg neben anderen, die Views und Klicks generieren, aber bisher keinen Vergleich mit der klassischen Messung der Nutzung erlauben.

Herr Bellut, vielen Dank für das Gespräch!