Eine zweite Chance im Leben bekommt man bekanntlich nicht immer. Und wenn, dann sollte man es anders, optimalerweise besser machen. Die Schöpfer der Showtime-Serie "Dexter" haben eine zweite Chance auf ein besseres Ende ihrer Kult-Showtime-Serie nun mit "Dexter: New Blood" erhalten. Sie scheinen aber nicht zur Kategorie derer zu gehören, die einen solchen neuen Aufbruch auch wirklich mit neuem Mut und neuem Leben füllen. Die (nun wirklich?) finale Staffel eines der vielleicht größten Showtime-Titel krankt an einigen wesentlichen Stellen und wiederholt auch Fehler, die schon in den Staffeln sieben und acht benannt wurden.

Die erste "Dexter"-Ära endete im September 2013 mit einer Staffel, die als Showdown zwischen den Geschwistern Dexter (immer brillant gespielt von Michael C. Hall) und Debra (auf ihre Weise stets herrlich beherrscht und unterkühlt dargestellt von Jennifer Carpenter) bezeichnet werden kann. Nach vielen Jahren und Staffeln ist die Vorzeigepolizistin Debra nämlich Dexters Geheimnis auf die Schliche gekommen. Sie weiß, dass er die Bösen, die nicht verurteilt werden, außer Gefecht setzt, auf einen Tisch legt, sie in Plastik einhüllt, um die Ecke bringt und mit ihnen auf's Meer hinausfährt, um sie in Plastiksäcken zu versenken. Nein, bis 2013 gab es bezüglich der offensichtlichen Umweltverschmutzung keinen Aufschrei.

Die achte Staffel fokussierte sich so sehr auf "Dextra", das andere wichtige und langjährige Figuren im Hintergrund stehend mit läppischen Storylines verabschiedet wurden. Im so viel kritisierten Serienfinale wurde Debra angeschossen, kämpfte im Krankenhaus um's Überleben, um schließlich durch Hirnversagen das Zeitliche zu segnen. Ein unwürdiger Abschied einer Figur so voller Power. Dexter derweil wusste seinen Sohn Harrison bei Freundin Hannah in Sicherheit, sodass er noch Debras Tod rächen kann, um schließlich mit ihrer Leiche im Schlepptau erneut im Boot auf's Meer hinauszufahren, rein in einen gewaltigen Sturm, der aufzog… Doch anstelle des eigenen Todes, von dem im Sunshine-Staat alle ausgingen, fand Serienmörder Dexter ein neues Leben als Holzhacker in Oregon.

Konsequent und schade

Rund zehn Jahre später, in der nun gewährten neunten Staffel, hat er diesen Ort verlassen, lebt mittlerweile in Iron Lake im Staat New York, ebenfalls in einer Hütte am Waldrand, tief im Schnee. Die Autorinnen und Autoren um Schöpfer Clyde Phillips  setzen hier also einen deutlichen Kontrastpunkt; Eis und weiß statt Sonne und blauem Meer, und dürften daher bewusst die schon vielfach gezogenen Vergleiche zum Kritikerliebling "Fargo" in Kauf genommen haben. Gleiches gilt auch für den Austausch des nahezu kompletten Casts. Weder Angel Batista (David Zayas spielte die Rolle in bisher jeder Folge der Serie), noch Joey Quinn (Desmond Harrington), Maria Laguerta (Luna Lauren Velez) oder Vince Masuka (C.S. Lee) finden Platz in der neuen Erzählung. Das ist so konsequent wie schade zugleich. Selbst Harry Morgan, der Dexter immer als mahnende Erscheinung präsent war, ist nicht mehr vorhanden. Den Part von James Remar hat gewissermaßen Debra nun übernommen.

Sie ist nun die warnende Stimme, die moralische Obrigkeit in Dexters Kopf. Das ist die erste Fehlentscheidung. Sicher: Es hat seinen Reiz, die Beziehung der ungleichen Geschwister weiterzuspinnen. Genauso ist es aber nach ihrem schon unwürdigen Tod in der 96. Folge der Serie eine Schande, sie nun zum Hirngespinst zu degradieren. Richtiger, weil konsequenter, wäre es da schon gewesen, ganz auf eine Rückkehr zu verzichten oder aber es bei einer kurzen Special Appearence zu belassen.

Die neue Staffel setzt den schon in den 10er-Jahren begonnenen Weg fort und stellt die Figur Dexter so sehr wie nie zuvor in den Mittelpunkt. Auch hier sind die Gründe der Verantwortlichen zwar nachvollziehbar, ist es doch schließlich seine Geschichte, die in den neuen Folgen ordentlicher zu Ende gebracht werden soll, die frühere Stärke der Serie lag aber auch im Ensemble, das nun nicht mehr vorhanden ist. In Iron Lake hat Dexter inzwischen (warum auch immer) wieder Kontakte zur örtlichen Polizei aufgebaut und mit Polizeichefin Angela Bishop (eher blass: Julia Jones) angebandelt. Bei Dexter läuft es gut. Seit zehn Jahren hat er niemanden mehr umgebracht, aber es kitzelt ihn. Man sieht den Serienmörder bei seinen Streifzügen durch die verschneiten Wälder, einen weißen Hirschen im Visier habend.

Die rührigste Szene stellt zugleich einen Wendepunkt dar. Seinen inneren Dämonen erneut die Stirn bietend, nähert sich Dexter dem Hirsch ganz nah an, geht auf Tuchfühlung, streichelt ihn, blickt tief in dessen Augen. Doch so weiß und rein bleibt das Tier nicht, denn ein Schuss peitscht durch die Luft und mehr als ein Zucken der Beine bleibt nicht übrig. Geschossen hatte Investmentbanker Matt Caldwell aus New York, dessen Blut sich nur Momente später mit dem des erlegten Hirschen vermischt. Genau damit kommt die Geschichte ins Rollen, denn dessen Vater Kurt (Clancy Brown, der in Showtimes "Billions" überzeugte), ein Geschäftsmann, der auch als inoffizieller Bürgermeister der Kleinstadt umschrieben wird, lässt in Folge das komplette Gebiet nach dem toten Matt absuchen, nicht wissend, dass er in Plastiksäcke verpackt direkt unter der Feuerstelle vor Dexters Hütte liegt…

Dexter - New Blood © Sky / Showtime In Staffel neun braucht Dexter einen neuen Platz für seine Plastiksäcke. Das Meer ist mittlerweile weit entfernt.

Nicht nur dieser Umstand bringt das inzwischen ruhige Leben von Dexter wieder aus dem Gleichgewicht, sondern auch die überraschende Ankunft seines inzwischen zum Teenager gewordenen Sohnes Harrison (Jack Alcott). Off-Screen haben die Kreativen die bei Fans so populäre Figur Hannah krankheitsbedingt sterben lassen (der nächste unwürdige Tod einer starken Frauenfigur), weshalb der junge Mann die Suche nach seinem Vater aufnahm und erfolgreich beendete. Was er genau über die dunkle Vergangenheit seines Erzeugers weiß und ob ähnliche Dämonen in ihm schlummern, damit spielen die Verantwortlichen in Staffel neun gekonnt. Die emotionalen Momente der beiden werden aber vor allem die Fans verstehen, die insbesondere die Staffeln vier und fünf gesehen haben, als Harrisons Mutter Rita brutal abgeschlachtet wurde und er als Baby quasi in ihrem Blut spielte.

Worauf die Geschichte der neunten Staffel hinausläuft, verbirgt sich zumindest nach den bisher drei vorliegenden Folgen mehr im Schneegestöber von Iron Lake als in den Miami-Staffeln. Dexter und seine Co-Pilotin im Kopf werden, so viel ist vorab durchgesickert, Kurt Caldwell als Gegner haben und Harrison vermutlich unter Kontrolle halten müssen. Neben den erzählerischen Problemen hat die Staffel, die übrigens Neueinsteiger kalt wie Schnee lassen dürfte, ein organisches.

Eine Zwickmühle

Es ist eine Zwickmühle, die als solche kaum aufzulösen ist. Die oberste Prämisse von Season neun war schließlich das Ausbügeln des inzwischen wohl nicht nur aus Fansicht missglückten Finals der achten Runde. Das heißt vermutlich zugleich aber auch, dass es Dexter in welcher Form auch immer an den Kragen gehen muss. Eine weitere Flucht in noch entlegenere Gegenden dürfte nicht erzählbar sein. Somit unterliegt die komplette Staffel quasi einem erzählerischen Zwang, einer Erwartungshaltung, der Pflicht, die zweite Chance wie auch immer zu nutzen. Wer schon sagt, es wäre besser gewesen, "Dexter" nach fünf, statt nach acht Staffeln zum Ende kommen zu lassen, der kann mit dieser Neuauflage nicht warm werden. Gut, dass bei HBO bis jetzt keiner auf die Idee gekommen ist, "Game of Thrones" fortzusetzen oder AMC mit dem Gedanken spielt, Walter White als Zombie wieder Meth kochen zu lassen.

Sky Atlantic zeigt "Dexter: New Blood" ab Montag, 22. November um 21:15 Uhr.