Frau Jaenner, Ihr Start Up hat zuletzt über 200 Episoden einer via Instagram und TikTok verbreiteten Soap produziert, die auf den Namen "Hashtag Daily" hört. Gehen Sie mit, wenn ich sage, zuerst war "GZSZ", dann "Berlin – Tag & Nacht" und nun ist der nächste Schritt mit "Hashtag Daily" gefolgt?

Anna Juliana Jaenner: Ich würde vorher ansetzen. Zuerst Fotolovestory, dann "GZSZ", dann "Berlin – Tag & Nacht" und jetzt wir. Die Geschichten, die Menschen inspirieren und in den Wohnzimmern bewegen, sind eigentlich immer recht ähnlich. Zuletzt hat sich vor allem die Plattform, über die konsumiert wird, geändert. "Hashtag Daily" ist also in der Tat eine logische Weiterentwicklung. Genau aus diesem Grund sind wir das Projekt vor rund zwei Jahren angegangen.



Sie sind unter anderem als Schauspielerin bekannt, etwa bei "GZSZ", wo Sie 2015 einige Monate lang durchgehend mitspielten. Wie kam die Idee zu "Hashtag Daily" zustande?

Anna Juliana Jaenner: Alles begann mit einem Panel, das ich moderiert habe. Ich wollte in meiner Rolle eher zwischen Filmemacher:innen und Content-Kreator:innen vermitteln. Dieses Panel fand unter anderem vor Filmstudierenden statt und schnell kam die Frage auf, welche Möglichkeiten es denn abseits von klassischen Kurzfilmen gibt. Wir haben damals natürlich für Online-Content gesprochen und versucht klarzumachen, dass man seine Audience überall finden kann, sofern man schöne Geschichten erzählt. So entstand die Idee, eine Soap für Publikum in sozialen Netzwerken zu erzählen.

Sie sind auf Instagram gestartet und waren später auch auf TikTok präsent.
Jaenner: Das stimmt. Auf Instagram lief es allerdings etwas schleppend an. Den richtig großen Erfolg hatten wir dann erst auf TikTok.

Unsere Gesprächspartnerinnen

  • Lisa Hochhausen

    Hochhausen arbeitet seit fünf Jahren für UFA Serial Drama. Sie war zunächst in Köln für "Alles was zählt" und "Unter uns" tätig und ist seit Ende 2019 als Senior Managerin Digital für neue TV-Formate und neue digitale Geschäftsfelder verantwortlich.

  • Anna Juliana Jaenner

    Zuerst stand Anna Juliana Jaenner vor der Kamera, unter anderem als Olivia Christen in "GZSZ". 2019 gründete sie ihr Start-Up. Mit diesem entstand die erste Instagram/TikTok-Soap Deutschlands. In dieser war sie teils auch vor der Kamera zu sehen.



Es war also für Sie ein Sprung ins kalte Wasser – kreativ und für Sie als Unternehmerin?

Jaenner: Es gibt ja die Aussage: Wenn du etwas Anderes sein kannst als Unternehmer:in, dann sei etwas Anderes! Unternehmer:in zu sein ist anstrengend und oft sehr schwierig. Wer für seine Idee nicht vollkommen brennt, der sollte kein Start-up gründen. Schwierig wird es irgendwann immer. Ich würde lügen, wenn ich bestreiten würde, dass ich auf dem Weg bis hierhin nicht auch hätte hinschmeißen wollen, aber nach Downs folgen ja bekanntlich immer Ups. 

Lassen Sie uns mal über die Ups sprechen. Sie sind 2020 mit dem NEXT Preis der Filmfestspiele Cannes ausgezeichnet worden.

Jaenner: Als ich die Mail mit dieser Info bekam, saß mir meine Freundin Nadine Menz gegenüber und ich war mir absolut sicher, dass wir gerade bei "Verstehen Sie Spaß?" sind. Ich schwöre es! Ich hätte also niemals damit gerechnet, dass unser Projekt in Cannes nominiert wird. Ich wusste nicht einmal, dass es in Cannes eine solche Kategorie gibt.

Statt Start-Up ist es nun (die Arbeit für) ein Label der Produktionsfirma UFA Serial Drama, die seit Jahren serielle Formate umsetzt, etwa die täglichen Serien "GZSZ" und "Unter uns". Geleitet wird dieses Label nun von Ihnen, Frau Jaenner, aber auch von Ihnen, Frau Hochhausen. Sie haben Standorte u.a. in München und Köln und kennen sich von "GZSZ"?

Hochhausen:  Ja genau, wir arbeiten komplett digital von mehreren Standorten aus. Anna und ich kannten uns vorher noch nicht, aber haben direkt beim ersten Kennenlern-Termin gemerkt, dass wir eine gemeinsame Vision haben und sehr gut als Team matchen.

Jaenner: Eigentlich steckt dahinter eine faszinierende Geschichte. Joachim Kosack, neben Markus Brunnemann einer der Geschäftsführer der UFA Serial Drama, sagt seitdem immer: "Man weiß nie, wie das Leben weitergeht, weil morgen könnte der 2. November" sein.

Der schlimmste Rückschlag

Und dieser Spruch kommt woher?

Jaenner: Am 2. November haben Joachim und ich uns zufällig kennengelernt. Ich hatte zwar zuvor in vielen Produktionen von ihm schon gespielt, aber so richtig zueinandergefunden haben wir am 2. November 2020. Das war kurz nach dem schlimmsten Rückschlag, den ich je hatte. Last Minute sind Investoren abgesprungen – und über eine Woche lang dachte ich, dass wirklich alles vorbei ist. Ich habe mich dann an meine Accelerators gewandt, unter anderem dem Potsdam Media Hub, weil ich jemanden brauchte, der mit mir einen Finanzplan macht. So kam ich zu Benjamin Heese, der damals sein Büro im UFA-Komplex hatte. Heese war dann mit Joachim Kosack Mittagessen und erzählte ihm davon, gerade einen Finanzplan für eine Social-Media-Soap zu machen, weil beide einige Tage zuvor nach einem solchen Projekt gesucht hatten. Eine Woche später war ich bei Joachim in Potsdam.

Hochhausen: Es war sozusagen Schicksal. Ich hatte zuvor angestoßen, dass wir als UFA etwas in dieser Richtung machen sollten und dort ein enormes Marktpotential liegt, habe das Projekt quasi initiiert. Es ist kein Geheimnis, dass die junge Zielgruppe vor dem TV verschwindet. Wir haben also seit Juli überlegt, welche Serien wir machen können. Und natürlich war uns damals auch schon „Hashtag Daily“ bekannt. Nachdem Anna Juliana mit Joachim ihr erstes Gespräch hatte, wurde ich zum Projekt dazu geholt und habe sie zunächst strategisch sowie analytisch unterstützt.

"Hashtag Daily", von dem im August die letzte Folge lief, hat bei TikTok nun etwas mehr als 50.000 Abonnenten. Für die, die es nicht kennen: Worum geht's?

Jaenner: Die Serie spielt in der Münchner High Society. Es geht dort allen gut, alles ist super shiny. So lange, bis Scarlet, die Hauptrolle, die Vergangenheit aufrollt. Seit sie wieder zurück ist, können die Geheimnisse nicht mehr verschwiegen werden. Die Geschichte darüber haben wir in 206 Folgen erzählt.

"Als Social-Media-Serie kann man aber viel mehr austesten und hat direktes Feedback dank der Community und den Analyse Tools." Lisa Hochhausen

Aber Hand auf's Herz: Eine solche Geschichte wurde doch schon zigfach in internationalen Young-Adult-Dramen erzählt.

Hochhausen: Als Social-Media-Serie kann man aber viel mehr austesten und hat direktes Feedback dank der Community und den Analyse Tools. Wir schauen also ganz genau, wann die Zuschauer:innen abspringen. Springen sie nach drei oder nach fünf Sekunden raus und was muss ich tun, damit sie 20 Sekunden bleiben? Es ist eigentlich wie ein großer Spielplatz, auf dem man ausprobieren kann, was funktioniert und was nicht.

Jaenner: Es gibt so viel zu lernen. Anfangs hatten wir in den ersten Sekunden den "Hashtag Daily"-Flash, was Quatsch war. Wir haben schnell gelernt, dass wir mit einer Szene starten müssen, die mittendrin ist. Kein großer Establisher.

Hochhausen: Es ist eine vollkommen andere Erzählweise und daher mit TV-Soaps oder -Dramen nicht vergleichbar. Wir gehen mitten rein in die Szene und starten auch nicht mit dem ersten Satz, sondern vielleicht sogar mit dem letzten, als Teaser zu Beginn der Folgen. Das ist viel spannender für die Zuschauer:innen und erweckt mehr Aufmerksamkeit. Und wir haben viel weniger Vorlauf als bei den TV-Soaps. Wenn wir heute wissen, dass X sehr gut funktioniert, können wir das ab übermorgen so übernehmen und passen den Content an.

Jaenner: Wir arbeiten mit YouTuber:innen oder Quereinsteiger:innen – alles Onliner:innen, die aus der Content-Creation kommen. Sie bringen uns einen anderen Input.

Eine technische Schwierigkeit war für Sie zu Beginn auch das vertikale Drehen.

Jaenner: Da lachen wir jetzt drüber, aber vor zwei Jahren gab es einfach niemanden, der das gemacht hat. Dadurch ergaben sich aber auch große Vorteile: Wir haben in München herumtelefoniert wegen Drehgenehmigungen, aber schnell gemerkt, dass wir durch alle Raster fallen. Wir brauchen gar keine. Es gibt keine Fernseh- oder Festivalauswertung. Wir müssen auch keine Wasserflaschen überkleben.

Auch unter dem UFA Serial Drama-Dach sollen Sie als kleines Team möglichst autark arbeiten. Wo kann Ihr Team UFA Serial Drama helfen?

Hochhausen: In dem wir Dinge und Strukturen hinterfragen und Prozesse beschleunigen. Wir arbeiten auch sehr schnell, weil wir wenig Zeit haben. Content-Creation ist spontan und schnelllebig. Es geht nicht, dass wir in einem Jahr drehen und erst im folgenden Jahr ausstrahlen. Bei den Dailys im TV ist der Vorlauf etwa drei Monate, bei “Hashtag Daily“ sind es zirka drei Wochen vom Dreh bis zur Folge. Vom Buch bis zur Folge sind es etwa fünf Wochen.

"Im Endeffekt ist das wie bei Influencer:innen, nur dass wir sagen, dass eine Serie als Brand viel stabiler für unsere Kund:innen ist als einzelne Influencer:innen." Anna Juliana Jaenner über Monetarisierungsmöglichkeiten von Web-Soaps


Und "Hashtag Daily" ließ sich ausreichend monetarisieren?

Jaenner: Schon, ja (lacht). Das ist aber mit viel Arbeit verbunden. Wir haben mit Luca Infeld einen eigenen Mann an unserer Seite für Sales und Operations, der immer wieder Kooperationen für unsere Drehs an Land zieht. Im Endeffekt ist das wie bei Influencer:innen, nur dass wir sagen, dass eine Serie als Brand viel stabiler für unsere Kund:innen ist als einzelne Influencer:innen.

Sie haben "Hashtag Daily" nach rund 200 Episoden beendet, auch um Platz zu schaffen für Neues. Wie schwer fiel das? Speziell aus dem linearen Fernsehen ist bekannt, dass das Etablieren von neuen Formaten schier unmöglich ist.

Hochhausen: Die Fernsehzielgruppe ist eine andere als die, die wir ansprechen. Wir fokussieren uns auf junge Menschen, die gerne und viel am Handy sind. Die Online-Welt ist so bunt, es wird jeden Tag sehr viel Content produziert, daher müssen wir gerade hier permanent unique sein. Die 3000. Serie zum gleichen Thema setzt sich online nicht durch. Ich folge online Menschen, die Besonderes machen, mich inspirieren, entertainen oder das gleiche Wertesystem vertreten. Genauso ist das auch bei einer Online-Serie.

Jaenner: Als Joachim und ich uns kennenlernten, hat er einen schönen Vergleich gezogen. Für uns ist es jetzt 1992 und wir fangen gerade erst an, so wie damals "GZSZ" begonnen hat. Etwas chaotisch, etwas wild, aber mit großer Zukunft voraus. Ich freue mich auch über jegliche Konkurrenz, denn Konkurrenz bedeutet nichts anderes, als dass der Markt und die Sehgewohnheit der Leute nun ready ist.

„Afterglow – Alles nur Show?“ ist Ihr erstes Projekt. Die Serie wird hinter den Kulissen einer Reality-Show spielen. Zehn rund zehnminütige Folgen sollen ab dem 15. Dezember bei Amazon Prime Video, Only Fans und Patreon angeboten werden. Was können Sie uns zum Inhalt der Serie schon verraten?

Hochhausen: "Afterglow – Alles nur Show?" startet ab dem Zeitpunkt der letzten Klappe bei einer Reality TV Dating Show. Wir erzählen fiktional das Leben danach und was mit den Teilnehmer:innen passiert. War die Liebe echt? Sind sie wirklich ein Paar? War alles Fake für den Fame oder doch reale Liebe? Für die Szenen der Reality TV Dating Show waren wir auf Mallorca und haben dort diese Show erzählt. Danach wechselt der Look und wir gehen in das reale Leben zurück, welches sich inhaltlich in München bewegt. Look & Feel der Serie ist sehr realistisch, authentisch und nah an den Figuren gehalten.  

Jaenner: Und es ist nicht hochkant. Für uns echt neu.



Es sind auch weitere Projekte, vermutlich für 2022, in Planung. Vielleicht können Sie hier einen ganz kurzen Abriss geben.

Jaenner: Wir bereiten eine Serie für die Plattform OnlyFans vor.

Hochhausen: Abgesehen von "Afterglow – Alles nur Show?", produzieren wir noch die Instagram und TikTok Serie #Limits, die sich mit Grenzerfahrungen und lebensverändernden Entscheidungen von Jugendlichen beschäftigt. Als dritte Serie entwickeln wir gerade eine ErotikCom, in der die Gaming Welt und die Realität mit Erotik verschwimmen werden. Diese Serie ist eben für OnlyFans. Hierzulande dürfte OnlyFans derzeit noch vor allem für erotische Inhalte stehen. In den USA ist man schon weiter weg von diesem Image. Im Grunde genommen geht es bei OnlyFans darum, dass die Kund:innen für den gewünschten Inhalt etwas zahlen. In den USA gibt es Fitness-Influencer:innen, die dort aktiv sind, oder es gibt Kochvideos, für die zwei Dollar gezahlt werden. OnlyFans entwickelt sich weiter und wir wollen dabei sein.

Jaenner: "Erotic Com" wird unterhaltend und sexy.

Hochhausen: Wir sind mitten in der Entwicklung und haben die ersten Influencer:innen an Bord. Wir haben viele Influencer:innen gefunden, die auch OnlyFans total offen gegenüberstehen, etwa Gamer:innen, die über ihr Crossplay ohnehin schon einen OnlyFans-Account haben.

"Im ersten Moment kamen natürlich Einwände meiner Berater:innen, ob man mich dann denn als berufstätige Frau noch ernst nehmen könne und genau diese Frage, finde ich, setzt ein falsches Zeichen." Anna Juliana Jaenner über ihre Überlegungen, ob sie an "Adam sucht Eva" mitwirken solle


Frau Jaenner, Sie ziehen sich für „Adam sucht Eva“ aus. Wieso machen Sie dort mit und würden Sie der Produktion mit dem Wissen und den Erfahrungen, die Sie heute - also nach der Produktion - nun haben, erneut zusagen?

Jaenner: Ich fand Reality TV immer schon spannend, und welches Thema könnte mich als Soap Fan da mehr reizen als die Liebe. Als ich das Angebot bekam bei "Adam sucht Eva" teilzunehmen, hat mich zum einen die Erfahrung gereizt, die wir ja jetzt auch in unserem neuen Serienformat "Afterglow – Alles nur Show?" aufgegriffen haben. Ich glaube, als kreativer Mensch kann man eigentlich kaum neugierig genug sein und Inspiration kommt ja bekanntlich überall her. Zum anderen bin ich der der Meinung, dass das Bild einer im Berufsleben erfolgreichen Frau immer noch viel zu eng gesteckt ist. Im ersten Moment kamen natürlich Einwände meiner Berater:innen, ob man mich dann denn als berufstätige Frau noch ernst nehmen könne und genau diese Frage, finde ich, setzt ein falsches Zeichen. Die Erfahrung teilzunehmen, endet wohl erst im Moment der Ausstrahlung der letzten Folge, aber bis jetzt kann ich die zweite Frage von ganzem Herzen mit einem klaren Ja beantworten. Im Endeffekt weiß niemand von uns, wann und wo ihr oder ihm die große Liebe begegnet, warum also nicht bei einer Dating-Show, bei der man so gut wie möglich gematcht wird.

Danke für das Gespräch.