Von steigendem Informationsbedürfnis der Bevölkerung ist seit dem Beginn der Coronapandemie immer wieder die Rede. Unabhängige, gut gemachte Nachrichten sind heute gefragter als noch vor einem Jahrzehnt. Darüber sind sich viele einig. Doch wie geht es eigentlich denen, die sie machen – und wie wird es ihnen in 20 Jahren gehen? Öfter als früher werden Reporterinnen und Reporter angegriffen, in Teilen dieser Welt sogar verfolgt und weggesperrt. Dass der Beruf Journalist an Attraktivität verloren haben mag, verrät auch ein Blick an die großen Journalistenschulen dieses Landes.

 

Leonhard Ottinger © RTL Leonhard Ottinger
Leonhard Ottinger ist Chef der RTL Journalistenschule und verrät im Gespräch mit DWDL.de: "Unser Auswahlverfahren findet alle zwei Jahre statt. Und seit 2012 haben wir eigentlich festgestellt, dass zu jedem Auswahlverfahren etwa 40 bis 50 Bewerbungen weniger vorlagen." Im Jahr 2020 habe sich das gedreht, mit etwa 50 Bewerbungen lag die RTL Journalistenschule dann wieder im Plus. Etwa 300 Menschen hatten sich nach Angaben von Ottinger beworben, um einen der Plätze der RTL Journalistenschule zu erhalten. Das heißt auch: Nur jeder Zehnte wurde genommen. Trotz des zwischenzeitlichen Rückgangs: Die Qualität derer, die letztlich ausgewählt wurden, habe nicht gelitten. Die freien Plätze seien, so Ottinger, über all die Jahre immer hochkarätig besetzt gewesen.

Gefordert wird von den angehenden Reporterinnen und Reportern freilich viel. Martina Lenk ist an der ARD.ZDF medienakademie gGmbH Geschäftsbereichsleiterin für Programm und Gestaltung und auch zuständig für die Kommunikation. Sie sagt zu DWDL.de, dass es innerhalb der Ausbildung zunächst darum gehe, dass die jungen Menschen ihre Stärken entdecken. "Der eine wird bemerken, dass er drehen, schneiden, texten und sprechen kann, und die andere wird in der Spezialisierung wirksamer sein."

Doch ist eine solche Spezialisierung überhaupt noch gefragt? "Es gibt natürlich in manchen Management-Köpfen immer noch die Idee, dass jeder Mensch als eierlegende Wollmilchsau agieren könnte. Diese Generalisten gibt es natürlich, aber Außergewöhnliches und Hervorragendes entsteht vor allem durch Spezialisierung", macht Lenk deutlich. Wollen Medienhäuser zu den "First Movern" gehören, dann führe ein Weg dahin über das Wissen und Können von Spezialisten. Auch Leonhard Ottinger sieht in der Spezialisierung eine Chance, allerdings nicht generell.

Breit aufgestellt, aber nicht von Beginn an

Er rät: "Schülerinnen und Schüler, die ihre Ausbildung bei uns abschließen, stehen oft vor der Frage, ob sie sich direkt spezialisieren, oder – auch um ihre Chancen auf dem Stellenmarkt zu erhöhen – anfangs thematisch breiter aufstellen. Diesbezüglich gibt es auch ganz unterschiedliche Empfehlungen. Sicher ist es nicht verkehrt, gerade als junger Journalist oder als junge Journalistin ein breites Themenfeld abzudecken." Zu breit sollte dieses allerdings auch nicht sein, es bestünde dann die Gefahr, als beliebig wahrgenommen zu werden. Ziel eines jeden Absolventen und einer jeden Absolventin sollte es laut Ottinger aber immer sein, "irgendwann durch eine Spezialisierung, etwa in Bereiche wie Promi-Berichterstattung, Regionales oder dergleichen, zu erreichen, dass man in den Redaktionen begehrt ist."

Rein handwerklich aber bleibt es dabei, dass inzwischen der Multimedia-Journalist gefragt ist. Zumindest in Grenzen. "Auch wenn ich in Richtung der Öffentlich-Rechtlichen schaue, sollte ein Redakteur Online, Hörfunk und TV bedienen können. Wir haben auf entsprechende Trends sehr früh reagiert und unter anderem bieten wir daher seit zwei Jahrgängen Seminare rund um das Thema Podcast an. Im Fernsehbereich lernen unsere Schülerinnen und Schüler sowohl das Erstellen und Schneiden von kurzen 1:30-MAZen, aber auch das Bauen von längeren Magazin-Beiträgen. Es gehört auch dazu, noch kurze News schreiben zu können", sagt Ottinger, der von Multimedia-Journalisten allerdings nicht auch noch die große GEO-Reportage einfordern würde. Daran, dass Multimedia gefragt ist, würde sich auch nichts ändern, glaubt der Chef der RTL Journalistenschule.

Martina Lenk © Axel Heise Martina Lenk
Eines dieser Spezialgebiete ist sicherlich Social Media. Content über Instagram, TikTok oder Facebook zu teilen, liegt seit Jahren im Trend. Etliche Reporterinnen und Reporter nutzen diese Medien auch selbst – und müssen mit dem dort Gezeigten und Gesagten behutsam sein. Mitunter können nämlich noch bestehende private Accounts Probleme machen. Martina Lenk legt großen Wert darauf, dass sich an Regeln gehalten wird. "Die Medienhäuser haben inzwischen ausgefeilte Social Media-Etiketten, die den Volos zeitnah mit der Einstellung bekannt gemacht werden. Sie müssen verstehen, dass sie mit dem Beginn der Ausbildung Teil eines Ganzen geworden sind und nicht mehr nur als Privatperson agieren."

Sie geht sogar so weit, dass sie sagt, dass man sich wieder trennen müsse, wenn sich "dieses Gespür nicht entwickeln lässt bzw. sich auch nach mehreren Gesprächen nicht mit der Arbeitshaltung eines Journalisten vereinbaren lässt." Social Media sei ihrer Ansicht nach ein "Brennglas auf Fragen wie Haltung, Loyalität, Gespür für den öffentlichen Diskurs und Verantwortungsgefühl." Ottinger betont derweil, dass im Programm selbst Meinung und Haltung immer klar gekennzeichnet sei. "Eine klare Definition, wo Meinung und Haltung aufhört und wo Aktivismus beginnt, gibt es vermutlich nicht. Wir setzen hier auf viele Gespräche mit unseren sehr erfahrenen Schaltreportern und darauf, dass jede Journalistin und jeder Journalist mit der Zeit durch die Arbeit in der Praxis ein Gespür dafür entwickelt." Wichtig sei zudem, so Ottinger, dass sich alle im Rahmen des Grundgesetzes und des Pressekodex bewegen.

Auf Shitstorms vorbereiten

Ottinger erlebe, wie er berichtet, bei "Schülerinnen und Schülern oft eine große Versiertheit im Umgang mit Social Media. Einige davon sind dort schon seit Jahren mit eigenen Accounts unterwegs. Wir zeigen ihnen nun, wie man Aktivitäten in diesem Bereich sinnvoll in seinen redaktionellen Kontext einbettet. Wie kann man da flankierend zum TV auch im Web agieren? In jüngerer Vergangenheit ist hier auch TikTok interessanter geworden." Spannend sei zudem, dass ihm kürzlich erst eine 28 Jahre alte Absolventin erzählt habe, dass sie sich schwer tue mit Social Media so umzugehen wie eine 21-Jährige. Es ist die rasante Geschwindigkeit, in der sich dieses Feld entwickelt, die es wohl auch den Journalistenschulen und Medienakademien schwer macht. An die Hand geben wolle man den Lernenden aktuell etwa, wie man als Journalistin und Journalist mit Shitstorms oder der Kommentarspalte umgeht.

 

Lenk bringt noch einen anderen Punkt ins Spiel: Nämlich, dass eine gute Redaktion divers besetzt sein sollte. "Zunächst hat der Journalist, die Journalistin immer die Aufgabe, die bestmögliche neutrale Beschreibung der aktuellen Lage darzubieten, damit das Publikum sich selbst ein Bild machen kann. In Kommentaren können sie dann Stellung beziehen. Damit Redaktionen nicht zu einseitig kommentieren, ist es wertvoll, wenn sie divers besetzt sind", sagt sie. Viele Häuser würden sich darum aktiv bemühen – schon bei der Auswahl von Volos.

 

"Die Bitte einer Geschichte am Wochenende nachzugehen, weil das Thema nur dann zu recherchieren ist, kann schon mal ins Leere laufen, weil die Wochenend-Aktivitäten wichtiger sind als eine spannende Recherche."
Martina Lenk, Geschäftsbereichsleiterin für Programm und Gestaltung an der ARD.ZDF medienakademie gGmbH 

 

Über das Thema Haltung zu sprechen sei, so Lenk, der erste Schritt der Ausbildung und zudem facettenreich. "Es ist nicht mit der richtigen Wortwahl getan, sondern beginnt bei der Themenauswahl, der diversen Interviewpartner in der Recherche und so weiter. Diese Bewusstheit schützt vor versehentlicher Haltung an Stellen, wo sie in der Berichterstattung nichts zu suchen hat." Freilich würde es auch Formate geben, die qua Konzept auf einer klaren Haltung der Journalistin und des Journalisten basieren. "Das ist dann aber Format-getrieben und setzt das vorher Gesagte nicht außer Kraft."

Während also die Anforderungen an Berichterstattende immer größer werden zu scheinen, werden andererseits aber auch die Wünsche und Bedürfnisse der sich Bewerbenden nicht geringer. "Work Live Balance spielt eine größere Rolle als noch vor 20 Jahren. Die Bitte einer Geschichte am Wochenende nachzugehen, weil das Thema nur dann zu recherchieren ist, kann schon mal ins Leere laufen, weil die Wochenend-Aktivitäten wichtiger sind als eine spannende Recherche," berichtet Lenk, ohne verallgemeinern zu wollen. Zugleich erlebt sie ihre Volos heute schon als "selbstbewusster und meinungsfreudiger" – sie brächten so "die Energie für notwendige Veränderungen mit, wenn sie wirksam werden dürfen." Auch Ottinger erlebt, dass Bewerberinnen und Bewerber inzwischen – anders als vor 20 Jahren – oftmals schon Erfahrung im Publizieren haben. "Das kann über private Accounts passieren oder auch über mehr oder weniger professionelle Blogs, etwa zu Themen wie Reise, Food, Beauty und natürlich auch über YouTube. In unseren Reihen sind auch YouTuber. All das gab es vor 20 Jahren eher nicht."