Ich will es gleich vorweg sagen: Ich habe großen Respekt für das, was Florian Silbereisen und das Team von Jürgens TV in den vergangenen Jahren mit den in die Jahre gekommenen Schlagershows im Ersten gemacht haben. Mit den flott inszenierten Shows, sei es der "Schlagerbooom" oder die anderen Events, die stets lustige Namen, aber meist noch viel bessere Untertitel ("Schlagerbooom: Alles funkelt! Alles glitzert!") haben, spricht der Sänger ein Millionenpublikum an - und inzwischen eben auch viele aus der jüngeren Generation. Und auch wenn ich mich das manchmal gar nicht traue öffentlich zu sagen (okay, gelogen): Die Musik gefällt mir auch ganz gut.

Nun habe ich in den vergangenen Jahren viele Silbereisen-Shows gesehen. Ich habe mit viel Spaß gesehen, wie Andy Borg in einer der Shows zum Stampfbeat der Draufgänger einen sehr speziellen Tanzmove präsentierte, ich habe gehört, wie Ross Antony einen Song aus der Vergangenheit gecovert und ihn damit unhörbar gemacht hat und ich habe die unmöglichsten Kamerafahrten gesehen, bei denen immer genau die Gäste im Bild zu sehen waren, die die Texte der Songs genau nicht mitsingen konnten - das dafür aber mit großer Inbrunst taten. 

Kurzum: Wenn RTL tatsächlich Familienunterhaltung machen will, war es wohl die weitaus bessere Idee, Florian Silbereisen zu verpflichten als Lukas Podolski. Aber das ist ein anderes Thema. Der Erfolg von Silbereisen und seinen Schlagershows ist mittlerweile so groß, dass das Ganze sehr institutionalisiert ist. Neben seinen Fernsehshows gibt es auch eine Schlager-Tour - natürlich nur, wenn gerade keine globale Pandemie alles auf Eis legt. Und auch im Fernsehen setzen die Verantwortlichen immer öfter auf das, was schon in der Vergangenheit erfolgreich war. 

Täglich grüßt das Murmeltier (und Roland Kaiser)

Das fängt schon ganz zu Beginn einer jeden Show an, wenn die Halle bzw. das Studio noch ins Dunkle gehüllt ist und irgendwann ein weißer Lichtkegel den Moderator des Abends offenbart. Der schmettert dann sogleich den Song, den er immer zu Beginn schmettert: "Pure Lust am Leben" von Geier Sturzflug. Wenn Florian Silbereisen ganz motiviert ist, kommt er auch auf einem Motorrad in die Halle gefahren. Immer dabei hat er jedenfalls eine Menge Pyro. Und ja: Auch am Motorrad. Da am Samstag der "Schlagerbooom" nach einjähriger Pause zurückkehrt, lautet meine ganz bescheidene Prognose: Motorrad-Alarm! Mindestens aber Pyro-Alarm 3000!

Sie können sich auch die Uhr in Sachen Gäste stellen: Roland Kaiser, Howard Carpendale, Michelle, Matthias Reim, die Tochter von Matthias Reim und Michelle, der Sohn von Matthias Reim, Ben Zucker, die Schwester von Ben Zucker, Thomas Anders, Kerstin Ott und die Kelly Family gehören quasi zum Standard-Repertoire einer jeden Silbereisen-Show. Die Schweiz wird in aller Regel durch Beatrice Egli vertreten und jemand aus Österreich muss auch immer mit dabei sein. Angesichts mangelnder Alternativen ist das in den meisten Fällen Andreas Gabalier - oder eben die Draufgänger. Und selbst Andy Borg bekommt Freigang aus seinem SWR-Gefängnis, wenn Silbereisen im Ersten eine Show veranstaltet. 

Ohne Auftritt bei Silbereisen geht nichts

Für die Sängerinnen und Sänger ist ein Auftritt bei Silbereisen ziemlich lukrativ, bedeutet er doch eine große Reichweite. Ergo viel Aufmerksamkeit, um am Tag danach viele Platten zu verkaufen - oder Tickets. Manche in der Schlagerwelt stöhnen schon über die Dominanz, die Silbereisen mittlerweile hat. Und durch die es offenbar auch schwer ist, neue Künstlerinnen und Künstler nach vorne zu bringen. Ohne einen Auftritt bei Silbereisen werde ein Durchbruch schwierig, erklärte der Songwriter Tobias Reitz vor einigen Monaten in der "FAZ". Und weiter: "Die Major-Labels nehmen zudem kaum noch Künst­ler unter Vertrag, wenn seitens der Silberei­sen-Redak­ti­on nicht das klare Commit­ment besteht, dass sie möglichst mehr­fach in den Shows auftre­ten." 

Den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern dürfte es egal sein, dass Silbereisen ihnen ständig die gleichen Nasen präsentiert. Haben sie es dadurch doch leichter, in der Halle oder auf dem Sofa die Songtexte mitzugrölen. Das ist aber zumindest vor Ort in der Halle gar keine so große Herausforderung, werden sie doch meist gut sichtbar irgendwo angezeigt. Klatschpappen dazu und fertig ist die gute Stimmung. Und wenn ein Song vorbei ist, wird der Refrain einfach nochmal wiederholt. Wer denkt, das könnte nach dem drölften Mal ziemlich ausgelutscht sein, hat noch nicht in die zufriedenen Gesichter des Publikums einer jeden Silbereisen-Show geschaut. 

Zu feiern gibt's bei Silbereisen immer etwas

Dass die Menschen beim "Schlagerbooom" und anderen Schlagershows chronisch gut gelaunt sind, mag Feingeister verwirren. Schließlich hört man sich kein "MTV Unplugged" an, sondern kann Schlagerstars dabei beobachten, wie sie mitunter ziemlich schlechtes Playback abliefern. Aber wenn ich mir am Sofa einen Eierlikör öffne, ist mir das auch egal. Hauptsache irgendwann kommt Andy Borg und tanzt zu den Draufgängern! Zu feiern gibt’s bei Silbereisen ohnehin immer irgendetwas: Ein Comeback, ein Jubiläum, eine Premiere, ein Abschied oder eine Goldene Schallplatte. Da der "Schlagerbooom" am Samstag nach einer Corona-Pause zurückkehrt, sollte das schon Grund genug für gute Stimmung sein. 

Trotz der spürbaren Partystimmung geht’s mitunter auch emotional zu. Etwa, als Helene Fischer Silbereisen (nach der Trennung!) in einer seiner Shows überraschte. Da war der Moderator plötzlich so überrascht, wie manchmal seine Gäste tun, wenn sie vom Moderator eine Goldene Schallplatte oder eine andere Auszeichnung überreicht bekommen. Auch das ist inzwischen so etwas wie ein Running Gag. Eine Überraschung dürfte das tatsächlich nie sein - ganz im Gegensatz zum Auftritt von Helene Fischer. Und beim nächsten Mal geht dann alles von vorne los. Schwarzer Bildschirm, James Bond, Pyro, Eins kann ihm keiner, Roland Kaiser und Kerstin Ott, Klatschpappen im Publikum - Eierlikör! 

Und falls Sie nun immer noch nicht überzeugt sind, will ich Ihnen den ultimativen Grund geben, heute Abend vielleicht doch mal in den "Schlagerbooom" reinzuzappen: