Fast könnte man meinen, die Pandemie habe gar nicht stattgefunden, wenn man auf die Produktionspläne von Network Movie schaut. Von Widrigkeiten weitgehend unbeeindruckt, hat die ZDF-Enterprises-Tochter ihren Wachstumskurs über die vergangenen zwei Jahre fortgesetzt. Wurden im Vor-Corona-Jahr 2019 noch fünf Serien und 20 Filme gedreht, so stieg der Output 2020 auf zehn Serien und 22 Filme. Im laufenden Jahr wird der vorläufige Höchststand von 13 Serien und 24 Filmen erreicht. Bemerkenswert ist die rasche Steigerung des seriellen Volumens auf mehr als das Zweieinhalbfache. Abnehmer von 36 der 37 diesjährigen Produktionen ist das ZDF.

"Network Movie hat aus Sicht unseres Gesellschafters natürlich die strategische Aufgabe, die steigenden Bedürfnisse des ZDF-Verbunds zu erfüllen", sagt Network-Movie-Geschäftsführer Wolfgang Cimera im Gespräch mit DWDL.de. "Trotzdem müssen wir genauso mit Qualität und guten Ideen überzeugen wie andere Produzenten auch. Es ist nicht an uns, zu entscheiden, was genug oder zu viel ist."

Andere Produzenten sehen das durchaus anders. Seit Gründung der öffentlich-rechtlichen Fiction-Tochter im Jahr 1998 gab es wiederholt Wellen des Protests aus dem freien Produktionsmarkt. Es ist kein Zufall, dass die Welle gerade wieder anschwillt. Network Movie will weiter wachsen, macht keinen Hehl daraus und bietet damit Angriffsfläche. Innen- und Außenwahrnehmung der Produktionsfirma klaffen teils extrem auseinander. Die interne Logik geht in etwa so, dass Wachstum notwendig sei, um auch künftig das gewünschte Level an Profitabilität halten zu können. Bei 89,43 Millionen Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2019, dem jüngsten veröffentlichten, notierte Network Movie einen Vorsteuergewinn von 6,97 Millionen Euro sowie eine Kapitalrücklage von 6,71 Millionen Euro, aus der die Gesellschafterin ZDF Enterprises wiederum 5,71 Millionen Euro entnahm.

Andi Wecker © Network Movie Andi Wecker
Expansions- und Wachstumsprojekte finden sich im Unternehmen folglich an vielen Stellen. Eines davon ist der Anfang 2020 in Köln eingerichtete Comedy Writers' Room mit vier fest angestellten Drehbuchautoren, deren erstes Projekt am 2. November auf ZDFneo und in der ZDF-Mediathek anläuft: die gemeinsam mit der btf produzierte achtteilige Serie "Start the fck up" (DWDL.de berichtete). Dass die Autoren Tali Barde, Marian Grönwoldt, Helena Lucas und Laura Rabea Tanneberger einen festen 'Nine-to-Five'-Job in der Firma haben, ist für Network Movie Experiment und Investment zugleich. Eines, das sich lohne, sagt Producer Andi Wecker, der den Writers' Room zusammen mit seiner Kollegin Catrin Kauffmann leitet. "Die Vorteile eines fest angestellten Writers' Rooms überwiegen den finanziellen Mehraufwand. Wir investieren in die Zukunft", so Wecker. "Das ist eine Abteilung, mit der wir den kreativen Spirit fest im Haus verankert haben. Ich genieße es, dass ich mit neuen Ideen jetzt nicht mehr immer gleich rausgehen muss. Viele gute freie Autoren sind auf Jahre hinaus ausgebucht."

Das Entwicklungstempo für neue Serien scheint sich so spürbar beschleunigen zu lassen. In diesen Tagen beginnen in Köln und Umgebung die Dreharbeiten für die nächste vom Writers' Room geschriebene ZDFneo-Serie: "Das F-Wort" handelt vom Chaos einer modernen Wahlfamilie, die dadurch entsteht, dass vier Freunde mit Anfang 30 beschließen, ein gemeinsames Haus zu beziehen und ihren Familienanhang mitzubringen. Derweil sitzt der Writers' Room schon an der zweiten Staffel von "Start the fck up" – ZDFneo hat vor Ausstrahlung der ersten einen Entwicklungsauftrag für acht weitere Episoden erteilt. Zudem hofft man bei Network Movie darauf, mit der jungen Truppe seinen Kundenradius erweitern zu können. "Es ist unser klares Ziel, breit im Markt anzubieten – auch außerhalb des ZDF", so Wecker. "Wir entwickeln momentan zwei neue Serienprojekte für externe Auftraggeber. Der Bedarf an fiktionaler Comedy ist riesig."

Wolfgang Cimera © Network Movie Wolfgang Cimera
Mehr noch als die Inhouse-Autoren dürfte freilich die Ausweitung der Standorte über die beiden langjährigen Firmensitze Köln und Hamburg hinaus zum Wachstum beitragen. Im Frühjahr 2020 eröffnete in Berlin die neue Unit "Studio Zentral" unter Leitung des früheren Bantry-Bay-Produzenten Lasse Scharpen, der neben Cimera und Jutta Lieck-Klenke zum weiteren Geschäftsführer von Network Movie berufen wurde (DWDL.de berichtete). Obwohl alle drei gleichberechtigte Geschäftsführer des Gesamtunternehmens sind, entsteht nach außen oftmals der Eindruck von örtlich getrennten Reichen. Das soll sich ändern, sagt Cimera: "In der äußeren Wahrnehmung werden Network Movie Hamburg und Network Movie Köln mitunter wie zwei eigenständige Unternehmen gesehen. Künftig möchten wir stärker als eine Einheit wahrgenommen werden. Wir werden offensiver standortübergreifend arbeiten und die entsprechenden Synergien nutzen. Wenn etwa Studio Zentral eine Sitcom in Köln dreht, dann übernimmt Network Movie Köln die Durchführung." Mit dem im April 2022 anstehenden Wechsel in der Geschäftsführung von Lieck-Klenke zu Bernadette Schugg (DWDL.de berichtete) gehe die Mission einher, dass die in Hamburg produzierten Reihen "erhalten bleiben und gepflegt werden". Daran habe das ZDF "ein valides Interesse".

 

"Unabhängig vom Image verfolgen wir über alle Standorte eine klare Wachstumsstrategie"
Wolfgang Cimera, Geschäftsführer, Network Movie

 

Das scheint erst recht für Studio Zentral in Berlin zu gelten, das einen echten Schnellstart hingelegt hat. Zum Output der Firma steuert die Einheit dieses Jahr bereits fünf Serien und zwei Filme bei, darunter kleinere ZDFneo-Formate ebenso wie den ZDF-Freitagskrimi "Jenseits der Spree". "Mit Studio Zentral wollten wir ganz gezielt gerade in Berlin eine Marke schaffen, die als jünger wahrgenommen wird", so Cimera. "Aber unabhängig vom Image verfolgen wir über alle Standorte eine klare Wachstumsstrategie, dafür reicht jung und hip allein nicht aus."

Erwin M. Schmidt © Produzentenverband Erwin M. Schmidt
Die Strategie, die Cimera beschreibt, ist senderunabhängigen Produktionsfirmen ein Dorn im Auge. Einige von ihnen klagen gegenüber DWDL.de in jüngster Zeit vermehrt darüber, dass Network Movie bei bestimmten Auftragsvergaben bevorzugt werde und dass sie von ZDF-Redaktionen die Auskunft erhielten, man sei von der Geschäftsleitung gehalten, für den in Frage kommenden Sendeplatz Network Movie bevorzugt zu beauftragen. Das hat nicht nur, aber auch mit dem schnellen Aufbau von Studio Zentral zu tun. "Bisher konnte kein Produktionsunternehmen – egal wie gut – so kurz nach Markteintritt schon so viele Serien entwickeln, platzieren und produzieren wie Studio Zentral", sagt Erwin M. Schmidt, Geschäftsführer des Produzentenverbands, der 123 unabhängige Produktionshäuser vertritt. "Das ist nach unserem Ermessen nur möglich, wenn es entsprechende Verabredungen gab und gibt. Eine solche Form der Wettbewerbsverzerrung halten wir – bei aller Anerkennung des qualitativen Outputs der ZDF-Tochterfirmen – für mindestens fragwürdig."

In der Tat wirft etwa das Timing der Ausschreibung für den neuen Freitagskrimi Fragen auf. Beim ZDF-Produzententag Ende August 2019 hatte der Sender die anwesenden Programmlieferanten dazu aufgerufen, bis Oktober Nachfolgeformate für die auslaufende Serie "Der Kriminalist" einzureichen, und enstprechende Details zu Budget und Sendeplatzprofil vorgegeben. Obwohl es Studio Zentral zu diesem Zeitpunkt offiziell noch gar nicht gab, landete der Auftrag für "Jenseits der Spree" später genau dort. Mehrere andere Produzenten, die Zeit und Geld in die Ausschreibung investiert hatten, sagen heute, sie fühlten sich verschaukelt.

 

"Die auffallend zuverlässige Auftragserteilung an Network Movie bei Ausschreibungen spricht für interne Absprachen zu Ungunsten des freien Produzentenmarkts"
Erwin M. Schmidt, Geschäftsführer, Produzentenverband

 

"Wenn man von außen Anzahl und Art der Beauftragungen von Network Movie durch das ZDF beobachtet, muss man zu dem Schluss kommen, dass Network Movie offenbar fest mit bestimmten Programmkontingenten rechnen kann. Aus eigener Kraft erscheint uns das sonst schwer vorstellbar", so Verbandschef Schmidt. "Die auffallend zuverlässige Auftragserteilung an Network Movie bei Ausschreibungen spricht für interne Absprachen zu Ungunsten des freien Produzentenmarkts. Wir fordern das ZDF auf, auf dem Transparenzportal Auskunft zu seiner Vergabepraxis an Network Movie und die anderen Tochterfirmen zu erteilen." Bislang weist das ZDF dort nur eine Zahl fürs Gesamtprogramm und für alle Tochterfirmen zusammen aus. Demnach kamen 19 Prozent aller Programmbeiträge des Jahres 2020 von abhängigen Unternehmen, an denen ZDF Enterprises oder das ZDF selbst gesellschaftsrechtlich beteiligt sind. 

Von DWDL.de mit konkreten Nachfragen dazu konfrontiert, nimmt eine ZDF-Sprecherin eher allgemein Stellung: "Das ZDF hat als öffentlich-rechtlicher Sender und größter Einzelauftraggeber im deutschsprachigen Markt alle Produzentinnen und Produzenten im Blick und arbeitet sowohl mit konzerngebundenen als auch unabhängigen Produktionsfirmen. Dies sichert die Unabhängigkeit des ZDF in der Programmbeschaffung." Intendant Thomas Bellut habe auf dem diesjährigen Produzententag die Zusage erneuert, dass mindestens zwei Drittel aller Auftrags- und Koproduktionen an vom ZDF unabhängige Produktionsfirmen vergeben würden. Auch für das Geschäftsjahr 2021 sei keine signifikante Änderung zu erwarten.

 

"Für die Auftragsvergabe sind einzig inhaltliche Qualitätskriterien und verlässliche Partnerschaften mit den produzierenden Firmen entscheidend"
ZDF-Stellungnahme

 

"Serienbeauftragungen unterliegen auch aufgrund der künstlerischen Entwicklungszyklen immer einer Volatilität", so die Sprecherin weiter. "Zugleich wollen wir in Zukunft verstärkt jüngere Zuschauergruppen erreichen. Um hier gleiche Chancen zu ermöglichen, haben wir bereits im Jahr 2017 den Innovationsfonds gegründet, der unabhängige kleine Produktionsfirmen im Development unterstützt. Wesentlich für uns ist: Für die Auftragsvergabe sind einzig inhaltliche Qualitätskriterien und verlässliche Partnerschaften mit den produzierenden Firmen entscheidend." Ein Rechtsgutachten im Auftrag des Produzentenverbands hatte voriges Jahr ergeben, dass sich keine gesetzliche Höchstgrenze für öffentlich-rechtliche Beauftragungen eigener Tochterfirmen ableiten lässt.

Network-Movie-Chef Cimera reagiert auf die Kritik von außen gelassen: "Klagen gehört zum Handwerk des Kaufmanns, aber man muss auch wahrnehmen, dass sich die Produktionslandschaft stark verändert hat und damit auch die Rolle der kleineren unabhängigen Produzenten und Produzentinnen. Viele dieser Produktionsfirmen sind in größeren Verbünden und Konzernen aufgegangen und ihre Zahl hat abgenommen." Unterdessen hat Network Movie längst den nächsten Standort ins Auge gefasst und ein Büro in München eröffnet. Mit der Leitung ist Produzentin Susanne Flor betraut, die dort seit Jahren die Krimiserie "Die Chefin" dreht. "Unser neues Büro in München ist erstmal nur eine Repräsentanz, noch keine Betriebsstätte", so Cimera. "Über mögliche weitere Schritte denken wir mittelfristig nach. Jetzt liegt der Fokus zunächst auf dem Übergang in Hamburg und der Etablierung von Studio Zentral."

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