Wer Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger gelegentlich auf Kinosesseln saß oder in den Achtzigern und Neunzigern häufiger vorm Fernseher, kam um sie kaum herum: „Die Lümmel von der ersten Bank“. Ein Klassenzimmer zeitgenössisch (also sachte) renitenter Gymnasiasten macht dem autoritären Lehrkörper darin das Schulleben schwer und umgekehrt. Am Katheder stehen dabei noch Studienräte vordemokratischer Prägung wie Dr. Knörz oder Direktor Taft, die mit Latein und Tadeln um sich werfen – beide schon damals Relikte einer reaktionären Pädagogik im sozialdemokratischen Umfeld, die längst am Aussterben war.

Das allerdings ist bekanntlich kein Grund, sie im deutschen Lustspiel nicht am Leben zu erhalten. Und so begegnen wir, fast 50 Jahre nach dem letzten der sieben kommerziell erfolgreichen Paukerfilme, einer Figur, die beim ZDF als, tja – was eigentlich empfunden wird: geistreich, heiter, nostalgisch? Schwer zu sagen, aber wenn Dieter Hallervorden den pensionierten Lehrer Hintz spielt, der seiner ungebildeten Mieterin – Achtung, Wortspiel: Kuntze die Genitive korrigiert und wie die Kollegen Taft oder Knörz altsprachliche Weisheiten verfeuert, wirkt sogar Didis dauerndes Grimassieren moderner.

Nüchtern betrachtet gäbe es also kaum gute Gründe, anno 2021 eine Paukerfilm-Klamotte zu drehen, die eher an „Feuerzangenbowle“ als „Fuck ju Göhte“ erinnert. Beim Zweiten jedoch hatten zwei Jahre zuvor alle Verantwortlichen drei Flaschen Kellergeister intus, als sie die Resonanz der Kiezkomödie „Mein Freund, das Ekel“ feierten und zur Tat schritten. Fast acht Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer sahen die Geschichte des grantigen Rollstuhlfahrers Olaf, der nach einem Schlaganfall Haushaltshilfe braucht und von der alleinerziehenden Analphabetin Trixie erhält, die mit drei Gören einzieht.

Gut 25 Prozent Einschaltquote – im öffentlich-rechtlichen Denksystem sind die gleichbedeutend mit Fortsetzung. Und deshalb beobachten wir am Donnerstag zur besten Sendezeit, wie Hintz & Kuntze noch immer zusammenleben. „Aus uns ist ‘ne janz normale, anständige Familje jeworden“, diktiert die bildungsferne Trixie ihrer bildungsaffinen Tochter Afia auf die Dankeskarte für sechs Monate Drei-Generationen-WG der ungewöhnlich Art. Girlanden, Torte, Ballons: das Weddinger Prekariat fühlt sich spürbar geborgen im Charlottenburger Altbau und möchte gern weiter dort bleiben.

Kein Wunder: Trixie kriegt Schreibunterricht und sogar eine Lehrstelle als Konditorin. Ihre Kinder sind aus dem Gröbsten raus und keine Schulverweigerer mehr. Selbst Olaf wandelt sich vom misanthropischen Motzki zum umgänglichen Onkel. Alles in guter Butter also – stünde nicht plötzlich das Unglück in Gestalt von Schwester Elfie (Ursula Monn) und ihrem Freund (Horst Günther Marx) vor der Tür. Waldemar hat nämlich nicht nur einen superdrolligen Vornamen aus der Ära, als daumendicke Brillengläser noch die Essenz deutscher Unterhaltungskultur waren. Er ist auch noch ein Hippie aus dem bürgerlichen Randgruppenhandbuch der Paukerfilm-Epoche.

Mein Freund, das Ekel © ZDF/Conny Klein Die gute Laune von Trixie Kuntze (Alwara Höfels, r.) und ihren Kindern Murat (Julius Gabriel Göze, l.), Afia (Latisha Kohrs, 2.v.l.) und Sean (Lior Kudrjawizki, 2.v.r.) ist für Olaf Hintz (Dieter Hallervorden, M.) nicht wirklich ansteckend.

Von hier an feuert Regisseur Wolfang Groos nach Drehbüchern aus Daniel Scotti-Rosins Writersroom zunächst mal drei Folgen lang Esoterik-Klischees auf greise Lachmuskeln, dass sich die Räucherstäbchen biegen, während Didis Kuntze mit Fliege und Pepitahut aus vollen Rohren holzschnittartiger Vorstellungen vom Bildungsbürgertum alter Schule zurückschießt. Es ist eine Zumutung, mehr noch: eine Beleidigung kultivierter Entertainmentansprüche, wie plakativ das ZDF hier aus Vorurteilen Schenkelklopfer macht.

Wäre da nicht der einzige, umso heller strahlende Lichtblick einer Serie, die in den letzten drei Teilen (Regie: Oelsner) gelegentlich sogar Anflüge von Tiefgang entwickeln. Trixie Kuntze wird nämlich von der wundervollen Alwara Höfels verkörpert, der man die aufrichtig aufstiegsorientierte Unterschichtenkämpferin von der ersten bis zur letzten Sekunde abkauft. Als ihre Serienfigur mit drei Kindern (die offenkundig nur ihren drei Vätern ähnlichsehen) zurück in den Plattenbau muss und von dort die Flucht aus dem Ghetto organisiert, ist die hessische Schauspielerin mit Wohnsitz Berlin spürbar in ihrem Element.

Wenn sie „Jacqui is meene beste Freundin, mit der ha’ik wirklich mal’n Pferd gestohlen“ sagt, raschelt anders als bei allen anderen kein Drehbuchpapier. Wenn Trixie Hochhausmeister Nowak (Thorsten Merten) mit prolligem Eifer den Blockwart austreibt, fühlt sich der kaputte Fahrstuhl zum 17. Stock auf wahrhaftige Art real an. Wenn sie Distanz und Nähe zur alkoholkranken Oma (Franziska Troegner) ausbalanciert, wird das marktliberale Märchen von der Chancengleichheit entlarvt. Wenn ihre eskapistische Zuversicht gegen mächtige Mauern der Klassengesellschaft anrennt, möchte man dieses Prachtexemplar prekärer Existenzen daher glatt in Markus Lanz‘ bundesdeutsche Therapiesitzung delegieren.

Nur: es nützt alles nichts. So glaubhaft Höfels gegen Drehbuch, Regie und Hallervorden anspielt – die Ulknudelmomente behalten bis zum bescheuerten Jeder-ist-glücklich-und-die-Welt-ein-besserer-Ort-Heitidei-Happyend die Oberhand über Sequenzen echter Tiefe, die ja durchaus vorkommen. Oder um es mit einer typischen Ekel-Pointe auszudrücken: „Wissen Sie überhaupt, was ein Apostroph ist?“, fragt Hintze den Verkäufer von „Maik’s 1-€-Shop“ nach einem Monolog über falsche Satzzeichen. „Ich glaube, wir hatten mal welche im Angebot…“, antwortet der Belehrte.

Auweia.

"Mein Freund, das Ekel", donnerstags um 20:15 Uhr, ZDF