Jürgen Vogel ist die große Bekannte des deutschen Films. Thriller für Thriller, Lustspiel für Lustspiel, Drama für Drama spiegelt sich dieselbe Handlung im gleichen Gesicht identischer Charaktere: Jürgen Vogel, der haltungsstarke Kindskopf. Jürgen Vogel, der leutselige Loser, Jürgen Vogel, der rechtschaffende Nonkonformist. Falls also jemand sagt, Jürgen Vogel soll springen, springt er garantiert erst, wenn ihm das Springen wieder verboten wird. Da scheint es unvermeidbar, was Jürgen Vogel macht, wenn ihm der Einsatzleiter seiner neuen Krimireihenfigur Rober Heffler „kein Zugriff“ ins Ohr funkt. Na?

Er greift zu!

Schließlich befindet sich zu Beginn der Pilotfolge nicht nur ein Dutzend Schülerinnen in der Gewalt eines brutalen Entführers, sondern auch noch die eigene Tochter. Also Zugriff, also Befreiung, also Zwischenfall, also Trauma, also Neustart, also Rückkehr, also herzlich Willkommen in der Welt des haltungsstark kindsköpfigen, leutselig losenden, rechtschaffen nonkonformistischen Fernsehstars Vogel. Der nämlich spielt einen Berliner Bullen, den das emotionale Beben der Eröffnungssequenz vom Köpenicker Kiez ins Büro treibt, wo er drei Jahre später ein Polizeileben in risikofreier Langeweile verbringt.

Nun wäre Vogel kein Vogel, würde ihn das Schicksal in Gestalt seiner einstigen Partnerin und heutigen Chefin (Elisabeth Baulitz) nicht zurück auf die Straße beordern, wo er hingehört. Robert, fleht sie beim Besuch in Hefflers Garten, wo er grad Kohlrabi erntet, „Kampf gegen rechts, Kampf gegen links, Kampf gegen Clans, Elternzeit, es ist keiner mehr da“. Außer dem traumatisierten Hobbygärtner, der nur mal eben schnell einen Leichenfund aufklären soll und dann zurück zum Innendienst darf, soweit die Ankündigung.

Da das ZDF jedoch bereits vier Episoden fertig hat, die freitags um 20.15 Uhr laufen, also auf dem Sendeplatz für Ermittler mit Pensionsgarantie, wird der avisierte Ausnahmefall selbstredend zur Gewohnheit. Womit wir beim Kernproblem wären. „Jenseits der Spree“ mag nämlich ein neues Duo (Jürgen Vogel & Seynab Saleh) mit flexibler Dienstrechtsauffassung (Hausfriedensbruch & Polizeigewalt) am Kohleofen der Krimilandschaft (Treptow-Köpenick) zubereiten – Buch und Regie (Felix Bennesch & Marcus Ulbricht) machen daraus dramaturgische Hausmannskost, die Bulette mit Kartoffelsalat zum Sternemenü adelt.

Die Reihe ist schließlich so heillos überfrachtet mit billigen Klischees und öliger Publikumsanbiederung, dass schwer zu sagen ist, wo man mit der langen Aufzählung inszenatorischer Peinlichkeiten bloß beginnen soll. Bei der Rem-Koolhaas-Villa im Grünen, die sich Robert Heffler vom Disponenten-Gehalt leistet? Bei den drei Töchtern (Lea Zoë Voss, Luna Jordan, Bella Bading), die er darin alleinerzieht? Bei seiner süßen Kollegin Kay (Saleh), die eher Castings als Polizeischule durchlaufen hat? Oder bei Mario Lauers Musik, die Spannung ausnahmslos mit Brummen unterlegt und Gefühl durchgängig mit Geklimper?

Nein, beginnen wir bei der Setzkastenstory, die der Schweizer „Tatort“-Autor Benesch mit so blutleerer Teilnahmslosigkeit gewürfelt zu haben scheint, dass man den Täter spoilern sollte (kleiner Tipp: es ist der einzig echte Star im Episoden-Cast). Also: ein Mann, der zuvor noch gefesselt im Kofferraum kauert, wird erschlagen am Köpenicker Spreeufer aufgefunden. Nach kurzer Tatanalyse, errechnet Heffler im typischen Vogel-Style (Cargohose, Wollmütze, Bomberjacke) den Tatort (bei 5,4 Metern Fließtempo pro Minute wurde das Opfer „2268 Meter von hier ins Wasser geworfen“) und trifft dort garstige Ganoven, die das Duo in 55 Minuten zur Lösung eines Falls von Erbstreit führen, der mit Eifersucht, Habgier, Kunstraub und irgendwas Es ist Exotischem aus Afrika zu tun hat.

Riefe dazu nachts noch das Käuzchen – der Freitagabend fiele endgültig aufs Niveau schwarzweißer Wallace-Filme zurück. Vielleicht wird dieses Käuzchen aber auch nur vom Rascheln des Drehbuchpapiers übertönt, was ZDF-Zuschauer, die Wallace-Filme einst mehrheitlich im Kino verfolgt haben, schon deshalb egal sein dürfte, weil Männer hier auch ohne Gattin echte Haudegen sind, während Frauen wie anno 1963 gern Kindchen-Schemata bedienen. So erinnert „Jenseits der Spree“ also weniger an durchdachte Krimis als „Aktenzeichen XY“ mit additiver Ermittlungsarbeit und – gewiss rein zufälliger – Autoschleichwerbung am laufenden Band.

Entführungsopfer, die Angst haben, sagen daher laut „ich hab‘ Angst“. Verliebte, die unglücklich verliebt sind, schauen dauernd unglücklich verliebt auf Fotos der unglücklich Geliebten. Leicht irre Mörder, die überführt sind, lachen leicht irre. Wenn Kay wenige Minuten nach der ersten Begegnung ihr Familienleben vor Robert ausbreitet, wechselt der unablässige Thrillerbass kurz auf Melodramengitarre. Und nein, in den nächsten zwei Teilen wird all dies nicht wesentlich besser.

Wäre der Hauptdarsteller nun ein Superstar, der aus Freundschaft zum Kameramann, Spielschulden beim Producer oder pandemiebedingter Geldnot in dieses Standardwerk deutscher TV-Mediokratie gerutscht ist, könnte man vielleicht behaupten: er spielt gegen das Mittelmaß an. Dummerweise ist es Jürgen Vogel, Dauergast drolliger Samstagabendshows mit Kai Pflaume und auch sonst für jedes Boulevardtheater (Blochin! Winnetou!! The Team!!!) zu haben. „Jenseits der Spree“ hat demnach Vogel-Niveau und umgekehrt. Für gute Quoten reicht das dicke, für gutes Fernsehen leider nicht.

"Jenseits der Spree" läuft ab 24.9. freitags um 20:15 Uhr im ZDF. Die erste Folge steht bereits in der ZDF-Mediathek.