Der Drang der Serienprofis, sich endlich wieder persönlich zu treffen, war spürbar. Über 2.000 Produzenten, Kreative, Ein- und Verkäufer bevölkerten in den letzten Tagen das Series Mania Forum, den Branchenteil von Europas größtem Serienfestival im nordfranzösischen Lille. Zum Vergleich: Bei der letzten regulären Ausgabe vor der Pandemie im Frühjahr 2019 waren 2.700 Fachbesucher vor Ort gewesen. Was sich in der Zwischenzeit verändert hat: Noch mehr Streaming-Plattformen investieren in noch mehr Serien und lassen dem lokalen linearen Fernsehen immer weniger Raum.

So war es kein Zufall, dass nahezu alle Europa-Chefs der globalen Anbieter die Series-Mania-Bühne nutzten, um sich ins rechte Licht zu rücken. HBO Max kündigte seinen Launch in Skandinavien und Spanien für diesen Herbst an, in Osteuropa und Portugal für 2022. Disney+ stellte in Aussicht, dass der bisherige Plan von 50 europäischen Originals bis 2024 übertroffen werde und stattdessen mit über 60 zu rechnen sei. Platzhirsch Netflix wiederum betonte mehr denn je, man wolle europäischen Kreativen größtmögliche Freiheit geben und ihnen keinen 'American Way' überstülpen.

Die Abgrenzung vom dominanten US-Markt ist für die Hollywood-Studios keine einfache Frage. Dass es lokale Inhalte braucht, um Erfolg zu haben, und natürlich auch, um den Mindestvorgaben der EU-Regulierung gerecht zu werden, wissen alle. Wie viele und welche genau – das scheint jeder etwas anders zu bewerten. Priya Dogra, Präsidentin von WarnerMedia EMEA, und Christina Sulebakk, General Manager HBO Max EMEA, beschrieben ihre europäische Version von HBO Max als Kollektion der besten US-Inhalte von HBO, Warner Bros., DC oder Cartoon Network plus "komplementäre lokale Geschichten". Zugekauft werden freilich auch weitere US-Titel wie "The Handmaid's Tale" oder "Vikings", die im Heimatmarkt bei der Konkurrenz laufen. Lokal produzieren wolle man "etwas für jeden in der Familie" und damit "deutlich breiter als das bisherige HBO Europe" werden, so Dogra, "vom 'guilty pleasure' Reality-TV über die ernsthafte politische Doku bis zum klassischen Crime-Thriller". Ein deutsches HBO Max kann wegen des laufenden Output-Deals mit Sky nicht vor 2025 an den Markt gehen.

Disney-EMEA-Chef Jan Koeppen bemühte sich derweil, die amerikanisch-europäische Distanz kleinzureden. Europäische Stories wie "Aschenputtel" oder "Schneewittchen" habe Disney schon immer erzählt – nur lasse man das jetzt eben verstärkt die Europäer selbst auf europäischem Boden tun. Als neues Original für Disney+ kündigte er die französische Serie "Kaiser Karl" über die mitunter ebenfalls märchenhafte Karriere von Karl Lagerfeld an, die von Gaumont produziert wird und auf der gleichnamigen Biografie von Raphaëlle Bacqué beruht. Koeppen hob auch die bevorstehenden deutschen Produktionen "Sam – Ein Sachse" von Big Window Productions und "Sultan City" von Two Moons Pictures hervor. "Wir halten es für wichtig, dass die Menschen sich in unseren Geschichten wiederfinden", so der Disney-Manager. "Aus meiner Sicht gab es nie zuvor eine bessere, aufregendere Zeit im europäischen Produktionsgeschäft als heute."

Tatsächlich zeigen die Marktdaten, dass das Wachstum auch unter Corona-Bedingungen ungebremst weiterlief. 121 fiktionale Serien wurden in Deutschland laut Ampere Analysis zwischen August 2020 und Juli 2021 beauftragt. Damit ist Deutschland die Nummer zwei in Europa hinter Großbritannien mit 180 und vor Frankreich mit 101 Beauftragungen. Im selben Zeitraum gab Disney weltweit 206 Serien in Auftrag, Netflix 188, ViacomCBS 121, Comcast 108 und Amazon 99. Bei den europäischen Anbietern führt die BBC mit 85 vorm ZDF mit 54 und der ARD mit 48 Serien. Rein quantitativ haben hiesige Produzenten also viel zu tun.

Dennoch wachsen auch ihre Sorgen über die zunehmende Marktdominanz der US-Konzerne, die ihre Geschäftsbedingungen schon heute weitgehend diktieren können – allen EU-Quotenregeln zum Trotz. Etliche Branchenvertreter machten sich in Lille für mehr und gezieltere Regulierung stark. So trat etwa Stéphane Courbit, Chairman und Hauptgesellschafter der Banijay Group, dafür ein, dass die IP-Rechte in der Produktionsfirma bleiben müssten, die einen Stoff entwickelt habe. "Wir wollen keine 'Producer for hire' nach amerikanischem Modell sein", so Courbit. "Der Kunde sollte uns die Rechte abkaufen, die er benötigt. Der Rest bleibt bei uns. Das ist eine Frage der Fairness und – gerade für kleinere Produzenten – eine Frage der Existenz."

Ins selbe Horn stieß Gaumont-Deutschlandchefin Sabine de Mardt: "Da die 30-Prozent-EU-Quote auch UK-Produktionen einschließt, verfehlt sie ihre eigentliche Intention. Über die englischen Produktionen wird die Hälfte der Verpflichtung quasi automatisch erbracht", so die "Barbaren"-Macherin auf einem Panel des französischen Produzentenverbands. "Zusätzlich zur EU-Richtlinie sollte auf nationaler Ebene eine Quote zur Investment-Verpflichtung gegenüber deutschen Produzenten eingeführt werden. Hier ist man in Frankreich schon weiter. Ein weiteres Ziel wäre es, dass die Produzenten auch bei 'Originals' einen Teil der Rechte behalten, um so auch nach der Erstauswertung die Chance auf weitere Erlöse zu haben." Produzentenallianz und Produzentenverband hatten einen entsprechenden Forderungskatalog im Juli veröffentlicht (DWDL.de berichtete).

Series Mania 2021: Weltpremiere © Series Mania/Jonathan Lelong Premiere für "Furia": Die Koproduktion von Monster Scripted und X Filme lief im Wettbewerb der Series Mania

Gefeiert wurde auf dem Festival natürlich auch, etwa die Weltpremiere der französisch-deutschen Koproduktion "Nona und ihre Töchter" für Arte und SWR, bei der Sabine de Mardt zusammen mit ihren Pariser Gaumont-Kollegen auf der Bühne stand. Valérie Donzelli erzählt in ihrem Seriendebüt als Autorin und Regisseurin die Geschichte von drei Frauen und deren 70-jähriger Mutter, die das Leben genießt und plötzlich schwanger ist. Neben Donzelli ist mit Miou-Miou und Virginie Ledoyen geballte französische Starpower in den Hauptrollen zu sehen. Auch die norwegisch-deutsche Koproduktion "Furia" für Viaplay und ZDF feierte in Lille ihre Weltpremiere mit Creator Gjermund Stenberg Eriksen, X-Filme-Produzent Michael Polle und ZDF-Redaktionsleiterin Simone Emmelius. Für den packenden Politthriller über rechtsterroristische Gewalt in Europa konnte der Weltvertrieb Keshet International gleichzeitig seinen ersten Verkauf vermelden, nämlich an die öffentlich-rechtliche Sendergruppe SBS in Australien.