Die Couch ist das Zentralmassiv herkömmlicher Sitcoms. Ob Schwarz („Prince von Bel-Air“) oder Schwarzweiß („I Love Lucy“), brav („Friends“) oder bös („Eine schrecklich nette Familie), misogyn („Two and a Half Men“) oder feministisch („Mom“): im tiefen Polster bürgerlicher Kernmöbelstücke materialisieren sich die Abgründe unserer Zivilisation. Drei Sitzplätze pro Sofa, vier Sparwitze pro Szene – fertig ist das erfolgreichste Fernsehformat seit Erfindung des Hintergrundgelächters vom Band.

Auch Allison Devine-McRoberts hat solch ein Exemplar amerikanischen Biedermeiers im übermöblierten Wohnzimmer stehen. Mittig längst durchgesessen, steht es scheußlich geblümt zwischen Fernseher und Treppe hoch ins Schlafzimmer, wo ihr Göttergatte traditionell den ehelichen Sex verweigert – schon weil er ein Stockwerk darunter dauernd damit beschäftigt ist, sich über alles, vor allem aber seine Frau, lustig zu machen. Auf dem Humorlevel gedeihen diese Punchline-Komödien so prächtig, dass der US-Sender AMC mit "Kevin Can F**k Himself" nun neue Tonbandlachsalven aufs Publikum schießt. Pausenlos.

So scheint es zumindest.

Denn während der Wiedergänger des ähnlich unansehnlichen Sesselfurzers Al Bundy sogar mit einer Prise Pastewka am 10. Hochzeitstag pausenlos Pointen abfeuert, leuchten die Kulissen zwar so kunterbunt, als wäre das Leben ein Kindergarten. Doch sobald der schmerbäuchige Titelheld seine ungleich attraktivere Frau mit ihrer Sehnsucht nach was Besseren alleine lässt, verschwinden alle Farben vom Bildschirm. Buchstäblich. Ohne ihn verfliegt nämlich sofort alle Heiterkeit. Das Licht wird trübe, der Ton gedimmt, die Lacher verstummen, es wirkt, als sähe man zwei Serien in einer.

Die mit Kevin (Eric Petersen) und seiner Entourage erwachsener Kindsköpfe aus Papa Peter (Brian Howe), Nachbar Neil (Alex Bonifer) plus einer wechselnden Schar Footballfans. Und jene mit Allison (Anny Murphy), die statt Freunden bloß ihre zynische Leidensgefährtin Patty (Mary Hollis Inboden) im Haus nebenan hat und statt Freude nur Illusionen vom Häuschen im Grünen fernab ihrer Vorstadthölle. Als sie sich mit dem zugehörigen Hochglanzprospekt zu Beginn der ersten von acht Folgen eine Kakerlake vom Schuh kratzt, schmeißt Allison allerdings frühzeitig alle Illusionen in den Mülleimer.

Die Mittdreißigerin, das erfahren wir ab heute auf Amazon Prime Video zwischen dem Gekicher der Kerle ringsum, ist nicht nur desperate, sondern auch pleite, weshalb alles, wirklich alles rasch ganz anders kommt als die drolligen Sitcom-Sequenzen regelmäßig andeuten. Worin genau die Umschwünge im Leben dieser Desperate Housewife mit Nebenjob im Schnapsladen und veritablem Alkoholproblem bestehen, würde zu weit spoilern. Nur so viel: Rachegelüste spielen eine Rolle, Jugendlieben, vor allem aber Wein und Opioide, ein vornehmlich republikanisch gemixter Drogencocktail, der ganze US-Landstriche wie Allisons abgewirtschaftetes Ostküstennest Worcester/Vermont zu entvölkern droht.

Alles ganz schön real hier, alles ganz schön bitter, alles also gar nicht so wahnsinnig witzig – hätte Showrunnerin Valerie Armstrong nicht den sensationellen Twist ersonnen, ihr Familiendrama so ausdauernd mit einer Familiencomedy (und umgekehrt) zu konterkarieren, dass beides gleichermaßen tragikomisch wird und dabei etwas Besonderes schafft: Durch Sitcom Relevanz zu erzeugen. Anders als das Serientitel-Vorbild Kevin James, der zunächst in "King of Queens" später dann als "Kevin Can Wait" Alter Egos von liebenswerter Rückständigkeit verkörpern durfte, liefert uns dieser Kevin ein Paradebeispiel toxischer Männlichkeit, das nahezu jede Form weiblicher Gegenwehr rechtfertigt.

Wenn Allison einmal wie so oft von einer schneeweißen Küche im Landhausstil tagträumt, wo sie ihrem wohlgeformten, gutgekleideten, irgendwie entzückenden Ehemann fröhlich Bier eingießt, zerdeppert ihr Fünfzigerjahre-Double zurück im Grau(en) der Wirklichkeit das Glas und rammt es in Kevins Hals. Auch das entpuppt sich natürlich als Tagtraum, der aber nicht nur Allison und Patty ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, sondern auch dem Publikum. Denn solche Kevins, die gibt es ja wirklich. Nur sind sie in aller Regel nicht lustig, sondern wählen Donald Trump, fahren 400-PS-Pickups, kübeln das Internet mit Hassbotschaften voll und wähnen sich als Krone einer Schöpfung, die sie bedenkenlos an die Wand fahren.

"Kevin Can F**k Himself" ist demnach nicht nur ein furioser Selbstbefreiungstrip für die weibliche Hauptfigur. Auch uns, den Zuschauerinnen (und womöglich sogar ein paar Zuschauern), eröffnet sich dabei die Möglichkeit, aus der Distanz harmlose Vergeltung an einer Sorte Mann zu üben, die leider nicht nur am Bildschirm existiert. Vor allem aber ist der Achtteiler durch seine Dichotomie mit das Überraschendste, was die Flut an Serien seit geraumer Zeit aufs Zentralmassiv unserer eigenen Wohnzimmer spült.

Alle 8 Folgen sind ab sofort bei Prime Video zum Streamen verfügbar.