"Ich will, dass es um mich geht", hören wir aus dem Off die von Tom Schilling gespielte Hauptfigur Tristan sagen, kurz bevor mit dem Klingeln des Weckers ein scheinbar normaler Tag beginnt. "Ich will, dass ihr mich seht, dass ihr mit mir mitgeht. Ich will, dass ihr ich seid, dass ihr alles über mich wisst." Dass der leicht psychedelisch anmutende Wunsch weitreichende Folgen hat, ahnen wir wenig später.

Eigentlich ist Tristan ein eher unscheinbarer Typ, doch sobald er auf die Straße tritt, starren ihn die Menschen an, beginnen zu tuscheln oder versuchen ihn heimlich zu fotografieren. Obwohl er kein Taxi gerufen hat, steht eines bereit, und der Fahrer weiß auch schon, dass Tristan ins Büro muss. Den Milchkaffee to go bestellt er auf den Namen "Martin" und bekommt ihn doch wie selbstverständlich "für Tristan" ausgehändigt. Auf den ersten Blick scheint alles wie eine schiefgelaufene Version der "Truman Show", in der sämtliche Nebendarsteller aus der Rolle fallen.

Was wirklich mit Tristan los ist, enthüllt Autor und Regisseur David Schalko durch eine Reihe grotesker Situationen im Lauf der ersten Episode. Das mit dem "alles über mich wissen" ist offenbar eingetreten und wörtlich zu nehmen. Tristan, der als App-Entwickler bei einem hippen Start-up namens 42! arbeitet, scheitert mit einer Präsentation, weil die Kunden schon wissen, dass er selbst nicht an sein Produkt glaubt. Der eigene Wunsch droht Berufs- und Privatleben zu zerstören, macht Tristan zu einer verlorenen Schachfigur inmitten eines eskalierenden kafkaesken Universums. Wie Rettung in letzter Sekunde erscheinen der mysteriöse Taxifahrer (Ramin Yazdani), der Tristan auffordert, seine Wünsche bei ihm zu "deponieren", und seine Ex-Freundin Franziska (Mavie Hörbiger), die ihn ermuntert, durch Wünsche seine Welt zu verändern.

Die Struktur des Sechsteilers ist von ebenjenen Wünschen geprägt. Tristan probiert es immer wieder aufs Neue, wacht immer wieder morgens in seinem Bett auf und wird sodann mit allen unweigerlichen Konsequenzen seines jeweiligen Wunsches konfrontiert, während niemand um ihn herum sich an die vorherigen Varianten des Tages erinnern kann. "Ich hab' irgendwie das Gefühl für Anfang und Ende verloren", beschreibt der tragikomische Antiheld an einer Stelle sein Dilemma. Da grüßt nicht nur täglich das Murmeltier, sondern Schalko zieht mit seiner Hauptfigur auch das Publikum immer tiefer in ein philosophisch aufgeladenes Verwirrspiel rund um Identität und Ego. "Österreichs Antwort auf David Lynch" ("Stuttgarter Zeitung") spricht selbst lieber von einem "Trip in erzählerisches Neuland" oder einem Roadmovie, in dem "die Straße aus Gehirnwindungen besteht und die Verkehrslage sehr unübersichtlich ist".

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In der Tat trifft 'Trip' es recht gut, denn man kann sich nie ganz sicher sein, ob das Gesehene subjektive Wahrnehmung oder objektives Geschehen ist. Schalkos filmische Grammatik der Extreme reicht von einer düsteren Großstadt-Apokalypse infolge von Tristans Wunsch, dass alle sich die Wahrheit sagen, bis zur bonbonbunten Musical-Nummer, mit der ihn Freundin und Kollegen "You Are the Sunshine of My Life" singend empfangen, nachdem er sich gewünscht hat, von allen geliebt zu werden. Man merkt der Serie an, dass es Schalko ein diebisches Vergnügen bereitet, seine Zuseher zu verunsichern – aber nicht als Selbstzweck: Seine surreale Hommage an Bewusstseins- und Erkenntnistheorien von Karl Popper bis "Matrix" hinterfragt, wie das 'Ich' von den 'Anderen' beeinflusst wird und wie man sein Ego in die Gesellschaft einbetten will.

Einmal mehr weiß Schalko dabei etliche der stärksten Schauspieler an seiner Seite. Tom Schilling taumelt wie ein Prototyp der Identifikationsfigur von nebenan durch die selbstgemachten Abgründe. Lars Eidinger setzt als Tristans überkandidelter Chef ebenso gekonnt absurde Noten wie Sophie Rois und Martin Wuttke als seine Eltern, die ständig den großen Penis des Vaters zur Sprache bringen. Mit Wandlungsfähigkeit von Episode zu Episode fallen Katharina Schüttler als Tristans schwangere Freundin Julia und Mavie Hörbiger als Ex-Freundin Franziska auf: Je nach Wunsch und Wahrnehmung legen sie gänzlich andere Facetten ihrer Persönlichkeiten an den Tag.

"Ich und die Anderen", donnerstags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Atlantic. Die komplette Staffel auf Sky Ticket und Sky Q zum Abruf.