Normalerweise ist der Twitter-Kanal des österreichischen Nachrichtenmagazin "News" ein unauffälliger. Interaktion mit Followern gibt es quasi nicht, man nutzt Twitter vorrangig als Distributionskanal für die eigenen Artikel. In der vergangenen Woche hat "News" jedoch mit einem einzelnen Tweet eine Lawine losgetreten. "Im vergangenen Heft setzte sich News kritisch mit der Rolle der türkisen Führung innerhalb der ÖVP auseinander. Das gefiel nicht allen. Man teilte uns mit, dass das Finanzministerium in News und in allen anderen Titeln der VGN Medien Holding nichts mehr schalten würde", informierte die Redaktion. 

Tatsächlich drehte sich in der vorherigen "News"-Titelgeschichte alles um die sogenannte "Message Control" der regierenden ÖVP von Bundeskanzler Kurz. Damit ist gemeinhin die Kommunikationsarbeit gemeint, mit der die Partei ihre Außendarstellung versucht, möglichst genau zu steuern. Diese kritische Berichterstattung hat der ÖVP offenbar nicht gefallen. Der Werbestopp des (ÖVP-geführten) Finanzministeriums betraf laut "News" aber nicht nur das Nachrichtenmagazin, sondern alle Titel der VGN Medien Holding, also beispielsweise auch die Programmzeitschrift "TV Media" oder das Wirtschaftsmagazin "Trend". 

Verlagsgruppe News, Horst Pirker © VGN/Rudi Froese Horst Pirker
Das Finanzministerium meldete sich kurze Zeit später zu Wort und sprach von "falschen Vorwürfen". Keine Inserate bei der VGN seien storniert worden. "Ganz im Gegenteil wurde Ende März 2021 ein Gesamtpaket bei der VGN für Q2 2021 verhandelt, beauftragt und abgearbeitet." Alle Vereinbarungen seien eingehalten worden, keine Inserate storniert, so das Ministerium. VGN-Chef Horst Pirker sprach daraufhin von "alternative Facts", mit denen das Finanzministerium arbeite. Von Inseratenstornos sei nie die Rede gewesen und das zweite Quartal sei ohnehin schon zu Ende. Es gehe um künftige Buchungen, die ersatzlos gestrichen worden seien. Gegenüber der Nachrichtenagentur APA berichtete Pirker von entsprechenden Absichtserklärungen. 

Gefahr für die österreichische Demokratie? 

Nun muss man mit rund 200.000 Euro wenige pro Jahr rechnen. So hoch ist das Inseratenvolumen des Finanzministeriums bei dem Magazin-Verlag gewesen. "Die VGN Medien Holding war schon vor diesem Ereignis - gemessen an ihrer Marktbedeutung - krass benachteiligt. Sie wird es bleiben", so der VGN-Chef, der aber noch ein Stück weiter geht und gegenüber "Falter" und "Standard" von einer "Spielart der Orbanisierung" spricht. Es werde versucht, Medien unter Kontrolle zu bringen. Das passiere nicht so dreist und radikal wie beispielsweise in Ungarn, sondern subtil wie etwa durch den Entzug der Inseratenbudgets. Um die VGN Medien Holding müsse man sich keine Sorgen machen, sehr wohl aber um das "demokratische Gefüge der Republik Österreich", so Pirker. 

Werbeinserate der öffentlichen Hand sind schon seit vielen Jahren Grund für viel Kritik und Diskussionen in Österreich. Gemessen an der Größe des Landes gibt die Politik deutlich mehr Geld für Werbung in Medien aus als in anderen Ländern. Laut der Medienbehörde KommAustria schaltete die Bundesregierung im vergangenen Jahr Inserate um 47 Millionen Euro. Alleine aus dem Bundeskanzleramt kamen 21 Millionen Euro. Das sind ziemlich genaue Zahlen, werden öffentliche Stellen durch das Medientransparenzgesetz doch dazu verpflichtet, entsprechende Ausgaben ab 5.000 Euro pro Quartal und Medium anzumelden. 

Österreichische Regierung wirbt massiv im Boulevard

Für sich genommen sind die 47 Millionen Euro nur eine Zahl. Erst beim Vergleich mit Deutschland zeigt sich, wie exorbitant hoch die Werbeausgaben der Regierung sind. Hierzulande gab die Bundesregierung im vergangenen Jahr schätzungsweise 150 Millionen Euro für Werbung in verschiedenen Medien aus. Diese Zahl basiert auf einer Auswertung des Marktforschers Nielsen, dabei handelt es sich aber um Brutto-Werte. Die Zahlen aus Österreich sind Netto-Zahlen. Bedenkt man nun, dass Deutschland ungefähr zehnmal so groß ist wie Österreich, wird das Missverhältnis sehr deutlich. Insgesamt hat die öffentliche Hand in Österreich 2020 Buchungen von 222,5 Millionen Euro getätigt und damit so viel wie nie zuvor. 2019 waren es noch 178 Millionen. 

"Mit Geben und Entziehen von aus Steuergeld finanzierten Inseraten werden Medienunternehmen belohnt, sediert oder bestraft."
VGN-Chef Horst Pirker (derStandard.at)

Auch wohin ein Großteil des Gelds geht, ist seit Jahren bekannt: An die drei großen Boulevard-Player "Kronen Zeitung", "Heute" und "Österreich" (oe24). Allein 2020 bekam die "Kronen Zeitung", und damit die mit Abstand größte Kaufzeitung des Landes, 8,4 Millionen Euro von der Bundesregierung. Die Mediengruppe Österreich und "Heute" lagen bei je rund 5,5 Millionen Euro. Eine genaue Auflistung der gemeldeten Werbeausgaben der öffentlichen Hand in Österreich hat "Der Standard" aufgestellt

"Mit Geben und Entziehen von aus Steuergeld finanzierten Inseraten werden Medienunternehmen belohnt, sediert oder bestraft", sagt VGN-Chef Horst Pirker gegenüber dem "Standard". Nun ist das allerdings nicht gänzlich neu, schon der damalige SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann stand wegen seiner Inseratenpolitik immer wieder in der Kritik, weil er den großen Boulevard noch größer machte. Unter Sebastian Kurz habe diese Strategie aber noch einmal "eine neue Dimension erreicht", sagt Pirker. 

Regierung macht Journalisten abhängig

Dass die Taktik, sich mit Inseraten positive Berichterstattung zu erkaufen und Medien gefügig zu machen, nicht neu ist, zeigen auch die Aussagen von Thomas Schrems. Er war lange Leiter des mächtigen Chronik-Ressorts bei der "Kronen Zeitung" und hat vor einigen Tagen seinem Ärger über Bundeskanzler Kurz und der ÖVP in einem Facebook-Posting öffentlich Luft gemacht. Später legte er in einem Interview mit dem "Falter" nach. Schrems berichtete davon, wie Personen aus dem Regierungsumfeld Zeitungen Exklusivgeschichten liefern würden, die massentauglich seien. Sehr bald würden sie dafür dann aber Gefallen einfordern. Schrems erklärte auch, dass es durchaus üblich gewesen sei, dass man in der Berichterstattung zurückgepfiffen worden sei, weil bestimmte Institutionen Werbung geschaltet hätten. Zu diesem Ping-Pong gehören natürlich immer zwei Seiten: Unternehmen oder Parteien, die sich mit Geld gefällige Berichterstattung erkaufen - und Medienunternehmen, die das zulassen. 

Für VGN-Chef Horst Pirker sind die Alarmzeichen inzwischen so groß, dass er davon spricht, Kurz und die ÖVP würden den Versuch einer "totalen Machtübernahme" unternehmen. "Das ist frei von Polemik. Wenn man versucht, das kritisch zu würdigen, muss man leider zu diesem Befund kommen. Und das sage ich als einer, der sich der ÖVP einmal durchaus nahe gefühlt hat", so Pirker im "Standard"-Interview. Neben dem Angriff auf die Presse bzw. dem Versuch des Gefügigmachens, fährt die Partei des Bundeskanzlers schon seit einigen Wochen heftige Attacken auf die unabhängige Justiz. Hintergrund sind Ermittlungen, die diese Justiz gegen Spitzenfunktionäre der ÖVP aufgenommen hat - und anderem auch gegen Kurz selbst. 

Ein "hochprofessionellen Propaganda-Apparat" - aber nicht immer

Florian Klenk © Manfred Werner (Tsui) / CC BY-SA 4.0 Florian Klenk
Einer, der ebenfalls immer wieder aus der Politik angegriffen wird, meist von konservativer Seite, ist "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk. Im Deutschlandfunk verwies er jüngst auf die Tatsache, dass auch seinem Magazin zu Beginn der Amtszeit von Kurz das gesamte Anzeigen-Etat gestrichen worden sei - dabei handelte es sich nach Angaben von Klenk aber nur um einen niedrigen, fünfstelligen Betrag. "Und da zeigt sich natürlich schon ganz deutlich, dass dort inseriert wird, wo man sich umgekehrt positive Berichterstattung erwartet", so Klenk. Der Journalist spricht von einem "hochprofessionellen Propaganda-Apparat" 

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Manchmal ist die inzwischen berühmt-berüchtigte Message Control aber alles andere als "hochprofessionell". Erst am Montag versuchte ÖVP-Politiker Andreas Hanger die Diskussion um hohe und intransparente Werbeausgaben der Politik von der ÖVP an die SPÖ weiterzureichen. Hanger erklärte, die Ausgaben der SPÖ-geführten Bundeshauptstadt Wien seien viel höher als im Bund. Gleichzeitig attackiert Hanger "Falter"-Chef Klenk, dem auch 10 Prozent der Anteile an der "Falter"-Gesellschaft gehören. "Wir fordern eine klare Aufgabentrennung", so Hanger über Klenks Doppelrolle. Nicht kritisiert hat der ÖVP-Politiker, der auch Fraktionsvorsitzender im Ibiza-Untersuchungsausschuss ist, die Chefredakteure der "Kronen Zeitung" und von "Österreich", die ebenfalls Gesellschafter sind. Hanger ist übrigens auch der Politiker, der ein Dossier mit Infos über die politische Konkurrenz unabsichtlich an eben diese schickte. Die Opposition sprach von "Sudeldossiers", Hanger von einer "Faktensammlung". 

Volksbegehren fordert "Bekämpfung der Inseratenkorruption"

Wie ernst die Lage in Österreich bereits ist, zeigt auch ein Rechtsstaat & Anti-Korruptionsvolksbegehren, das jüngst von einigen namhaften InitatorInnen ins Leben gerufen wurde, darunter Ex-Präsidenten von Rechnungshof und Oberstem Gerichtshof, aber auch Korruptionsforscher und einem ehemaligen Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sie fordern nicht nur "mehr Anstand und Integrität in der Politik" und eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, sondern explizit auch eine "Bekämpfung der Inseratenkorruption". Die Medienförderung und Inseratenvergabe durch öffentliche Stellen soll insbesondere nach Qualitätskriterien objektiviert werden, fordern sie. Zuletzt gab es immer mehr Fürsprecher dieses Volksbegehrens, einer von ihnen ist auch Andreas Hanger. 

Viele Medien, die in Österreich kritisch berichten wollen, laufen Gefahr, Gelder von der öffentlichen Hand gestrichen zu bekommen. Das ist schon lange so, inzwischen ist diese Methode aber sichtbar wie nie. Umso absurder wirkt es, wenn einem wie Sebastian Kurz der "Freiheitspreis der Medien" verliehen wird - wie zuletzt geschehen. Der Preis ist eine Auszeichnung der Weimer Media Group und die Verleihung an Kurz wurde in Österreich überwiegend mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Dass die Auszeichnung so groß besprochen wurde, liegt vielleicht auch in der Unkenntnis über Größe und Bedeutung der Weimer Media Group. Und Verleger Wolfram Weimer kennt sich mit den Verhältnissen in Österreich wohl auch nicht sonderlich gut aus. Einen "Freiheitspreis der Medien" für Sebastian Kurz hätte man eigentlich eher im Weimerschen Satire-Magazin "Pardon" erwartet.