Vorigen Samstag ist Micky Beisenherz fremd gegangen. Die bekannte „Stern-Stimme“ von Gruner+Jahr ließ sich auf ein Joint-Venture mit einer großen Zeitung in München ein, um per Gastbeitrag einen Journalistenkollegen aus dem Fernsehen hochleben zu lassen. Das Bemerkenswerte an dieser ultimativen Lobhudelei über „Deutschlands schönste Grillzange“, also Markus Lanz, ist nicht, dass nun auch Down Under des Weißwurstäquators die „ziemlich guten“ Qualitäten eines „nicht zwingend beliebten“ Moderators erkannt wurden (das haben zuvor schon andere getan), sondern wer da gelobhudelt hat. Sympathischerweise zeigt der Gastautor in einer Textklammer Transparenz: Alle zwei Wochen teile er sich für seine eigene Sendung „#timeline“ auf ntv nicht nur den Produzenten mit Lanz, schreibt Beisenherz, sondern hocke dann auch in dessen Garderobe, wo viele dieser „ungeheuerlichen Stiefeletten“ herumstünden.

Man könnte jetzt natürlich die Leier über Nähe und Distanz zupfen. Ob der Betrachtende sich angesichts der beruflichen wie freundschaftlichen Verbindungen genügend unbefangen an das Objekt seiner Betrachtung heranmachen kann. Aber widmen wir uns doch den spannenderen Fragen: Was ist so ungeheuerlich an Lanz' Schuhen? Würden sie auch Micky Beisenherz passen? Und: Wie viel Spaltungspotenzial steckt eigentlich in ihm selbst?

Micky Beisenherz © Ronja Hartmann
Um das zu besprechen, braucht Micky Beisenherz eine Tasse Kaffee, was sonst. Prost zurück ins Wohnzimmer in Hamburg, wo der Koffeinjunkie ganz privat ist und sorry, auf dem Sofa lümmelt. Die Hälfte des Tages ist rum, die aktuelle Folge seines Podcasts „Apokalypse und Filterkaffee“, von Fans als „ApoFika“ liebkost, längst raus. Denn das gehört seit ziemlich exakt einem Jahr auch zu seinen diversen publizistischen Aktivitäten: fast täglich ein Frühstücksomelett aus Schlagzeilen des Tages anrichten unter Zuhilfenahme wechselnder Gäste. Ist grad kein passender Souschef zu kriegen, springt seine Lebensgefährtin Nikki Hassan-Nia ein, eigentlich von Beruf Flugbegleiterin, der Umstände halber aber zurzeit daheim „geerdet“. An diesem Morgen hatte aber Jan Fleischhauer Zeit.

Beisenherz und Fleischhauer könnten, politisch gesehen, nicht weiter auseinanderliegen. Auf der einen Seite der bekennende Linke, der wirklich nur ganz kurz mit einer Kanzlerschaft des „Christian Grey der Ministerpräsidentenkonferenz“ aka Söder liebäugelte, auf der anderen der konservative Knochen vom „Focus“. Das reibt sich und ist gerade deshalb ein Hörvergnügen. Statt die Luke der Echokammer fest zu verschließen, stößt Beisenherz sie mal seicht plaudernd, mal scharfzüngelnd auf. Das Konzept „zwei Stühle, eine Meinung“ ist nicht seins. Dafür wird er, je nach Blasenpräferenz, geliebt oder gehasst. Und das findet der Podstar Beisenherz im Prinzip auch gut so.

„Austausch entsteht nicht, wenn jeder in seiner Blase verhaftet bleibt, sondern wenn Menschen mit verschiedenen Erfahrungshistorien und Perspektiven zusammenkommen“, doziert er. Es dürfe nicht sein, „dass man sich im eigenen Lager die Schellen abholt, nur weil man es gewagt hat, eine Person einzuladen, deren Lebenswirklichkeit und Blick auf die Gesellschaft gänzlich anders ist“. Schreiben ihm Hörerinnen und Hörer: Ich habe 30 Minuten Jan Fleischhauer oder Stephan Anpalagan gehört und im Strahl gekotzt, aber ich bin dankbar, dass der hier zu Wort kommt – dann ist Beisenherz zufrieden. „Dann habe ich mein Ziel erreicht.“

Nun ist es aber auch so, dass das wohlabwägende Wesen des Micky Beisenherz Ausflüchte sucht. Nicht umsonst hat der Ausdauersportler in Toleranz den Beinamen „Bissig Micky“ weg. Im Netz, in den Kolumnen und auch hier im Gespräch lässt er lustvoll die verbalen Muckis spielen: Laschet („wie viele Sommerreifen: zu wenig Profil“), Söder („ein wirklich sehr talentierter Kompetenzverkäufer und Authentizitätsdarsteller, dessen Gebrauchtwagenhändlervibes man nicht auf den Leim gehen sollte“), Gottschalk („die Taube, die auf ihr eigenes Denkmal scheißt“), Jan Josef Liefers & Co. („#allesdichtmachen-Scheiße der Aufmerksamkeitsuntersättigung“) – feste druff. Applaus!

"Niemand hat es gerne laut"

Die gelegentlichen Buhs nimmt Micky Beisenherz dabei gerne in Kauf. Und warum? „Geltungsdrang“, kommt es wie aus der Pistole geschossen – na, endlich sagt’s mal einer so deutlich! Schon als Kind fing er damit an, etwas gelten zu wollen. Vor dem Vater imitierte er Helmut Kohl. Mit sieben, acht Jahren betrieb er, Jahrgang 1977, im heimischen Recklinghausen mit seinen beiden Cousins einen „Verlag“. Sie texteten und illustrierten Heftchen. Sie nahmen Hitparaden auf Kassette auf und moderierten zwischen den Liedern. Ein Frühberufener quasi, der seine publizistische Tätigkeit 35 Jahre später nur deutlich besser monetarisieren kann.

Wer Kolumnen schreibt, wer spitz formuliert, wer mit seiner Meinung scharf an die Öffentlichkeit geht – da versteht es sich von selbst, „dass das nicht nur auf positive Resonanz stößt, gerade jetzt in diesen Zeiten, in denen ein extrem hohes Maß an Aggression, an Nervosität und an Stammesdünkel herrscht“, sinniert Beisenherz. „Ich würde mir nur wünschen, dass der Widerspruch in zivilem Ton vorgetragen wird.“ Schließlich werde niemand gerne angebrüllt. „Niemand hat es gerne laut.“ Er selbst natürlich auch nicht. Trotzdem erkenne er an, „dass es manchmal nicht anders geht, um ein Bewusstsein zu schaffen und gesellschaftliche Ziele umzusetzen.“

Man muss gar nicht bis in die studentenbewegten 68er zurückgehen, die „ja auch nicht geräuschlos vonstattengingen“, wie Beisenherz erinnert. Rückblick in den Januar 2021 reicht. Plötzlich war er von einem „Sturm aus Scheiße“ umtost nach einem Auftritt im WDR-Talk „Die letzte Instanz“. Er war da nicht Gastgeber, sondern nur Gast. Diskutiert wurde unter anderem die Frage: „Das Ende der Zigeunersoße: Ist das ein notwendiger Schritt?“

Micky Beisenherz © Ronja Hartmann
Ach Gott, seufzt Beisenherz, wie oft er über diese „Scheißsauce“ reden müsse. Und schon stecken wir knietief in diesem unglaublichen Minenfeld Identitätspolitik, das Sahra Wagenknecht gerade auf ihre analytische Art betrachtet hat. Ein Hauch von Angst des Torwarts beim Elfmeter macht sich plötzlich beim Minentreter und Verbaldribbler Beisenherz bemerkbar, als man ihn noch einmal durch diese Sauce ziehen möchte. Vorsichtig wägt er jedes Wort ab: Der Name der Z-Sauce sei ihm schon vor dieser inkriminierten Sendung nicht über die Lippen gegangen, weil er ihn als „abwertend empfand“. Erst im Nachhinein sei ihm „die ganze historische Aufladung des Begriffes“ klar geworden. „Das geht ganz klar auf meine Kappe.“ Andererseits sei es ja weniger so, dass er selbst etwas Problematisches gesagt habe. „Aber ich habe halt zu wenig dagegen gesagt, als problematische Dinge gesagt wurden. Das kreide ich mir an. Das muss ich mir als Kritik gefallen lassen.“ Zu seiner Verteidigung führt er an, dass der Besuch in einer Unterhaltungssendung „tendenziell bräsiger macht“. Steht drüber „journalistische Talkrunde“, „dann bist du als Gast im Geist schärfer und präziser“.

Half alles nichts gegen die Entrüstungshysterie in diesen Zeiten der Diskurs-Unkultur – trotz Beisenherz‘ öffentlicher Entschuldigung, die damals prompt folgte und er heute nach wie vor als absolut notwendig erachtet. Gerade er könne sich die „ist mir doch egal, lass die anderen mal brabbeln“-Haltung nicht leisten. Denn die anderen 364 Tage im Jahr stehe er, der für den „Stern“ Politik kommentiert und bei ntv (und gelegentlich dem „Kölner Treff“ des WDR) seriös interviewt, für etwas anderes. „Meine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Ich bin ja kein Ballermann-Sänger. Wenn du ,Deutsche Mädchen sind die besten, das kann jeder gerne testen‘ singst, dann steht die Grundhaltung zur Paprikasauce nicht zwingend im Widerspruch zu dem, was man sonst auf Bühnen verhandelt. Bei mir schon.“

"Es war so schrecklich, wie es sich anhört"

Jetzt aber schnell weg von der braunen Sauce. Wie schafft man elegant den Übergang zu Rot wie Blut? Vielleicht über das Wort „TV-Skandal“? Anfang des Jahres luden die zuweilen auch sehr ernsten Spaßmacher Joko und Klaas Micky Beisenherz zum „Duell um die Welt“ bei ProSieben. Der ließ sich zuerst mit Chili, nun ja, scharf stellen und dann nach Lettland ausfliegen, um einer pseudo-kannibalistischen Performance beizuwohnen: Ein Künstler schnitt sich Fleisch aus dem Leib, würzte und grillte es für den Verzehr. Beisenherz‘ Aufgabe: es ihm gleichtun. Bon Appétit!

„Es war so schrecklich, wie es sich anhört“, erinnert er sich und kratzt sogleich all seine rhetorische Schärfe zusammen: „Wenn ich Selbstzerfleischung im Fernsehen sehen will, dann gucke ich mir lieber Armin Laschet bei Lanz an.“ Micky Beisenherz lehnte also dankend ab. Es gebe Grenzen. Dankenswerterweise habe er in jener Sendung die Zeit gehabt, den Zug, der da auf ihn zu rauschte, "wenigstens tuten zu hören“. Fairerweise, will er noch loswerden, genießen sowohl Joko und Klaas als auch die Florida TV „ungebrochen“ sein „absolutes Vertrauen“, „mehr als jede andere Produktionsfirma“ – die von Markus Heidemanns natürlich ausgenommen.

Mit Heidemanns‘ Unterstützung ist Micky Beisenherz auf dem besten Weg, ähnlich wichtig zu werden bei der politischen Intelligenzia wie der Kollege vom ZDF. ntv hat ihn immerhin gerade zum „prägenden Sendergesicht“ erkoren. Vor der Bundestagswahl soll er mit dem Polit-Talk „#timeline“ sogar in wöchentlicher Taktung auf Sendung gehen. Und wie bei „Markus Lanz“ spielt beider Produzent auch bei Beisenherz die Rolle des Angelo Dundee, der im Zweifel ins Ohr flüstert: Champ, aufstehen vom Hocker und noch mal zuhauen.

Wie sich diese Entwicklung im journalistischen Fach mit einem anderen Brotjob verträgt, den Micky Beisenherz seit zwölf Jahren für „das ERTEEL“ ausführt? Mit Jens Oliver Haas textet er alljährlich Sonja Zietlow und Daniel Hartwich Dschungelshow-Lästereien auf die Zunge. „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ist über die Jahre auch dank seiner bissigen Schreibe zu Feuilletons Liebling avanciert. Aber Trash bleibt Trash. Und RTL ist gerade dabei, sein Programm davon zu säubern. Bohlen ist schon weg. Sieht nun auch Beisenherz seine Felle davonschwimmen?

„Solange Oliver Pocher noch bei RTL ist, muss ich mir, keine Sorgen darum machen, dass das Dschungelcamp niveaubereinigt aus dem Programm fliegt“, glaubt er. Wenn er sich das Konkurrenzprogramm ähnlicher Natur anschaue, die Weinproben bei „PuP“ oder „SdS“, da sei „IBES“ im Vergleich mittlerweile „eine Art Jazz-Brunch“ geworden. Den Bohlen-Rausschmiss kommentiert er als „eindeutiges Symbol, dass man sich bei RTL eine friedlichere Gesellschaft wünscht“. Dass RTL, aber auch ProSieben „die Wichtigkeit und Mehrheitsfähigkeit journalistischer Inhalte“ erkannt hätten, findet er fantastisch.

Und was ist jetzt mit Lanz‘ Stiefeletten? Hat Micky Beisenherz sie mal heimlich anprobiert? Hat er nicht. „Ich weiß nicht, welche Schuhgröße Markus Lanz hat“, beteuert er. Warum er sie ungeheuerlich findet? Weil sie immer aussagen wollten: Hey, Leute, schaut mich an, ich bin Großstadt, aber ich könnte auch nachts um drei damit hoch auf den Fünftausender, denn im Herzen bin ich Wanderschuh. „Ich dagegen“, sagt der kleine Lanz aus Hamburg, „schaffe maximal die 100 Meter zum nächsten Café.“