Sollten Sie sich dazu entscheiden, der neuen TVNow-Serie "Keine besonderen Vorkommnisse" eine Chance zu geben, dann vermeiden sie vorsorglich einen Fehler: Einschalten, nebenbei laufen lassen und warten bis etwas passiert - das empfiehlt sich hier nicht, weil nicht viel passiert. Vermarktet wird die Produktion deshalb auch als "langweiligste Serie der Welt" und kokettiert damit ein bisschen zu viel. Wer der Produktion die volle Aufmerksamkeit schenkt, kann ein kleines Juwel für sich entdecken: Zwei Polizisten die vor einer Lagerhalle nichts zu tun haben, weil zwei Gangster in der Lagerhalle nichts tun, aber zwei Kolleginnen in der Leitstelle, die auch nichts zu tun haben, regelmäßig darüber Bericht erstatten, dass sich nichts tut. Herzlich willkommen bei "KBV", dem Tisch-Feuerwerk der grotesken Dialoge.



Die kommen meist von Jürgen Vogel, der hier übrigens so wenig Jürgen Vogel ist wie selten zuvor weil er mit seiner Figur verschmolzen zu sein scheint, und Serkan Kaya, die als Polizeibeamte Gilles und Samuel in ihrem Nichtstun während der weitgehend ereignislosen Observation sonst nur durch einen gewissen Lars von der Hafensicherheit (gespielt von Daniel Zillmann) gestört werden, der herrlich aufgeregt letztlich berichtet, was sich bei ihm nicht tut. In der Leitstelle demonstrieren Annette Frier und Maike Jüttendonk auf einer eigenen Ebene wie man konsequent aneinandervorbei reden kann, während die Gangster der Serie - und von denen gibt es einige - sich die zumindest in ihren Anspielungen tiefsinnigsten wenn auch weiter grotesken Dialoge liefern.

In der ersten Folge sind es Denis Moschitto und Rocko Schamoni, die Tarantino auf das Niveau von Carsten Maschmeyer bringen - oder umgekehrt. Später tauchen auf der Seite der Kriminellen - aber auch auf der Rückbank der Polizeibeamten - noch andere prominente Schauspielkolleginnen und -kollegen auf. Mancher Auftritt kommt unerwartet, daher sei nicht zu viel verraten. Der Humor der Anekdoten, die die Serie tragen, ist mitunter derbe und geht mehr als einmal unter die Gürtellinie, was nicht jedem gefallen wird, aber zum überdreht porträtierten Milieu, noch dazu vermeintlich unbeobachteten Situationen, passt. Will jemand wirklich seine Hand dafür ins Feuer legen, dass sich bei stundenlanger Langeweile wie die der hier gezeigten Protagonisten nicht profaner Quatsch irgendwann seinen Weg suchen wird?

Die Neuentdeckung des Nichts durch eine Entschleunigung von Comedy, die im wahrsten Sinn der Situationskomik den Raum lässt und ihren Witz durch schleichend aufbauende Absurdität, Albernheit oder schmerzhafte Fremdscham erzeugt, ist ein dank "Jerks" (Joyn/ProSieben) etablierter Trend im deutschen Fernsehen, den aber auch die RBB-Serie  "Warten auf'n Bus" auf gewisse Weise kultivierte. Nicht zufällig ist mit Johannes Boss hier ein Autor an Bord, der sonst auch "Jerks" schreibt. Weg vom pointierten Timing rasanter Schlagabtäusche, die gleichermaßen für laute Lacher und den Neid sorgen, im wahren Leben nur einmal ansatzweise so pfiffig zu sein wie manche schlagfertige Comedy. "Keine besonderen Vorkommnisse" ist da, wie auch "Jerks" und "Warten auf'n Bus", anders. Mitunter quälende Gespräche und Humor der physisch weh tut, weil er sich zieht. Sich "Nein, bitte nicht" denken, aber dann trotzdem lachen müssen.

Auch wenn "KBV" über eine allerdings weitgehend egale horizontale Handlung verfügt, sind es die einzelne Sequenzen, die für sich wirken - verbunden mit einer Atmosphäre die maßgeblich durch die beiden Hauptrollen erzeugt wird, die in ihrem Wagen am Hafen so in Szene gesetzt sind als hätten sie einst in den Straßen von San Francisco ermittelt. Hier zeigt sich die Detailverliebtheit mit der WarnerMedia und Eitelsonnenschein unter kreativer Führung von Lutz Heineking Jr. die aus Australien stammende und auch schon in den USA umgesetzten Formatidee "No activity" umgesetzt hat. Das sorgt nicht nur für den stimmigen Look der bereits um eine zweite Staffel verlängerten Serie, sondern beweist wie viel individuelles Handwerk in etwas stecken kann, was zu oft vorschnell als "Adaption" abgewertet wird - ganz so als das per se ein Makel.

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"KBV" zeigt, wie einst auf ganz andere Art "Club der roten Bänder", dass deutsche Adaptionen besser sein können als vorherige Versionen - und in einer Serie, in der nicht viel passiert, ist der Look auch von enormer Bedeutung für die Atmosphäre. Die Handschrift von Lutz Heineking ist dabei unverkennbar, der mit "Andere Eltern" bei TNT Comedy seinen ersten großen TV-Aufschlag gemacht hat und seitdem als Experte für spezielle Comedy bei diversen Projekten an Bord war, darunter bei den Corona-Serien "Drinnen" und "Ausgebremst" für ZDF bzw. die deutschen Fernsehsender von WarnerMedia. Ursprünglich aus der Werbung kommend, spricht Heineking gerne davon mit jeder Serie eine Marke schaffen zu wollen, wobei ein wiedererkennbarer und unverwechselbarer Look eben genauso wichtig ist wie das Storytelling.

Und "Keine besonderen Vorkommnisse" hebt sich wiedererkennbar ab, als schicke Spielfläche für schräge Charaktere und befremdliche Anekdoten, die punktuell zünden. Einen durchgehenden Spannungsbogen gibt es nicht. Erwarten Sie keine Kriminalstory, erwarten Sie kein Tempo. Die Formatvorlage ist schon speziell, "KBV" in der Adaption dann noch etwas spezieller, könnte so auch gut versteckt in den dritten Programmen der ARD laufen, läuft aber - manche unken, ähnlich gut versteckt - beim Streamingdienst von RTL. Der Absender und mancher Gag unter der Gürtellinie, da ist der erste Eindruck der Serie leider schnell gewonnen, bevor die Serie in Gänze gesehen ist. Dabei gibt es so viele Details, tolle Auftritte und Weisheiten wie "Wenn Du im Internet bist, bist du im Internet" zu entdecken.

Mit dem von WarnerMedia und Eitelsonnenschein produzierten "Keine besonderen Vorkommnisse" liefert das bald als RTL+ firmiernde Streamingangebot TVnow nach dem ganz wunderbaren "Unter Freunden stirbt man nicht" von Tresor TV innerhalb von wenigen Wochen ein zweites fiktionales Highlight ab und demonstriert mit den beiden Produktionen auch eine spannende Bandbreite zwischen gefälliger Unterhaltung und sehr speziellem Humor, Mainstream und Nische. Bleibt zu hoffen, dass dieser kleine sperrige Rohdiamond nicht untergeht beim "Streamingdienst, der Euch nackte Menschem beim Daten und datende Menschen beim Nacktsein gebracht hat", wie man im Trailer selber scherzt.

Die erste Staffel von "Keine besonderen Vorkommnisse" ist beim Streamingdienst TVNow abrufbar