Manchmal sind es winzig kleine Momente, die blühendes Leben in tief-graue Tristesse verwandeln. Augenblicke, die die Sonne untergehen und ein Sturmtief aufziehen lassen. Entscheidungen, die aus Gutem Schlechtes machen. Ein solcher Moment bringt auch die Geschichte der neuen Showtime-Serie "Your Honor" ins Rollen. Jene Serie, in der alle Hauptdarsteller beim Casting wohl durch tiefstes Stirnrunzeln und entsetztes Gucken überzeugen mussten. Weil sein Asthma-Spray in den Fußinnenraum des Autos gefallen ist, lässt sich der junge Adam (Hunter Doohan, "Truth be Told") auf seiner Fahrt durch die erstaunlich leeren Straßen New Orleans ablenken und fährt mit einem riesigen Wumms einen anderen Jungen nieder. Der zuckt noch ein bisschen, spuckt Blut und ist dann tot. Nun ist es in "Your Honor" nicht so, dass Adam vorher das blühende Leben war. Er ist krank, seine Mutter ist tot. Die Familie Desiato hatte es schon vor diesem Verkehrsunfall nicht leicht. Vielleicht gehen auch deshalb die tiefen Sorgenfalten in den Gesichtern der Figuren nicht mehr weg.


Adams Papa ist angesehener Richter, jeden Tag urteilt er darüber, was rechtens ist und was nicht. Für Michael Desiato ist daher klar, als der vollkommen aufgelöste Adam ihm alles gesteht: Ab zur Polizei. Doch wie es der Zufall so will – und Zufälle bietet die Serie direkt zu Beginn in erstaunlichem Ausmaße – wird auf dem Revier gerade die Familie des totgefahrenen Jungen über den schrecklichen Vorfall informiert. Und Michael stellt zu seinem Entsetzen fest, dass es sich dabei nicht um irgendeine Familie handelt, sondern um die des stadtbekannten Gangsterbosses Jimmy Baxter (Michael Stuhlbarg). Der schwört schnell Rache und so ermittelt in der Sache nicht nur die Polizei, sondern auch die Baxter-Gang.

Your Honor © Showtime Networks Inc. All rights reserved / Sky Adam (links) muss sich der Tatsache stellen, auf dieser Kreuzung gerade einen Jungen überfahren zu haben.

Ein Vater, der für seine Familie durch die Hölle geht, unverschuldet in einen Strudel schlimmer Ereignisse verwickelt wird – das am Montagabend in Deutschland bei Sky Atlantic startende "Your Honor" folgt da den Pfaden von "Breaking Bad" und hat sich deshalb auch Walter-White-Darsteller Bryan Cranston als Richter Desiato ausgesucht. Das birgt zwar einerseits die Gefahr, dass die Presse auf die nicht zu übersehenden Parallelen hinweist, aber eben auch den Vorteil, mit Cranstons Kopf für ordentlich Aufmerksamkeit zu sorgen. Verzweifelte, nachdenkliche Blicke ins Leere; die musste Cranston zwischen 2008 und 2013 auch schon als begnadeter, aber krebskranker Meth-Koch zum Besten geben.

Zweifelsfrei: Die Parallelen lassen nichts anderes zu, als "Your Honor", das auf der israelischen Serie "Kvodo" basiert, in gewisser Weise mit "Breaking Bad" abzugleichen. Es ist für die von Showtime als Limited Event angekündigte Serie freilich ein Duell mit einem der besten fiktionalen Werke dieses noch jungen Jahrtausends. Regisseur Edward Berger, geboren in Wolfsburg und unter anderem schon für "Deutschland 83" oder "Patrick Melrose" tätig, spielt in der Pilotfolge mit der Leere. Vieles ist grau, die Straßen sind ungewöhnlich verwaist. Eine Leere, die nicht nur die Stadt betrifft, sondern insbesondere die Familie Desiato. Serienschöpfer Peter Moffat ("The Night Of") hat der Inszenierung wenig Platz für Freude gelassen.

Die erste Episode lässt aber eigentlich keinen Zweifel daran, dass es selbst dem angesehenen Richter kaum gelingen wird, komplett zu vertuschen, was nicht auffliegen darf. Zu blöd hatte sich Adam unmittelbar nach dem Unfall angestellt und zu viele seltsame Umstände spuckten Michael in die Suppe – etwa der Hund der Familie, der vollkommen unbemerkt einen blutverschmierten Putzlumpen wegträgt. Ohne diesen "seltsamen Zufällen" wäre die Serie wohl noch packender, weil irgendwie logischer. Nichtsdestotrotz will man als Zuschauer gerne auf diese triste und vermutlich von immer neuen Rückschlägen geprägte Reise mit Richter Desiato gehen, auch weil er in einigen Punkten so sehr an Walter White erinnert.

Für Bryan Cranston ist es der erste ganz große Serienaufschlag – sieben Jahre nach dem Ende von "Breaking Bad". In dieser Zeit stand der Mann, der die Vaterrolle auch schon in "Malcom Mittendrin" verkörperte (dort freilich deutlich weniger schicksalsgebeutelt und allenfalls im besten Sinne mit dem Rücken zur Wand), in etlichen Kinoproduktionen vor der Kamera, lieh seine Stimme Titanium Rex in "SuperManison" und Bert in "Family Guy" und hatte eine durchgehende Rolle in der Amazon-Serie "Sneaky Pete".

Grau in grau

Nichts von dem ist vergleichbar mit seiner Rückkehr in "Your Honor". Auf den riesigen Showtime-Plakaten – gehalten natürlich in grau – blickt Cranston grimmig und düster in die Kamera. Cranston und Showtime, das passt auch deshalb, weil beide in ähnlicher Situation sind. Cranston hatte in den vergangenen sieben Jahren keinen prägenden Serienhit. Es brauchte vermutlich auch den zeitlichen  Abstand zur Ausnahmeserie "Breaking Bad". Zu sagen, dass auch Showtime in den vergangenen sieben Jahren keinen Serienhit hatte, wäre zwar etwas vermessen. Auch der zu CBS gehörende Pay-TV-Kanal lebt ein Stück weit noch immer von seinen einstigen Erfolgen. Doch sowohl "Dexter" (das nun für eine weitere Staffel wiederbelebt wird), als auch "Californication", "Ray Donovan", "Homeland", "Shameless", all diese Serien starteten noch in einer anderen Fernseh-Zeit und sind mittlerweile Geschichte oder befinden sich ganz kurz vor dem Finale.

Your Honor © 2020 Showtime Networls Inc. All rights reserved / Sky Bryan Cranston in "Your Honor"

Es war eine Fernsehwelt, in der Figuren wie Michael Desiato und komplexes Erzählen wie in "Breaking Bad" eben den klassischen Pay-TV-Sendern wie HBO, Starz, AMC oder Showtime vorbehalten waren. Mittlerweile haben die Streamingdienste, Netflix oder Hulu, diesen Platz beansprucht. Showtime scheint auf diesem Feld inzwischen etwas verloren zu sein; auch innerhalb der CBS-Familie, die sich zuletzt vermehrt auf den OTT-Dienst CBS All Access konzentrierte (Showtime ist dort integriert) und diesen nun sogar weltweit als Paramount Plus ausrollen will.

Mit Blick auf die herausragenden Erfolge bei Serien, die Showtime in den zurückliegenden sieben Jahren an den Start brachte, herrscht ähnliche Leere wie auf den Straßen New Orleans in "Your Honor". Die Trump-Comedy "Our Cartoon President" sorgte in den USA für Beachtung, war aber außerhalb schwer zu vermarkten und stieß nur auf geringes Interesse, "The Good Lord Bird" soll selbst in Amerika mit Blick auf die Reichweiten ein Flop gewesen sein, sodass allenfalls noch "Billions" auf der Liste der Hits übrigbleibt und vielleicht noch "The Comey Rule", das jüngst einen ansehnlichen Start hinlegte.

"Your Honor" bescherte Showtime im Dezember 2020 eigenen Angaben zufolge in den Vereinigten Staaten den besten Start einer Limited-Series beim Sender; 770.000 Zuschauer sollen es bei der Premiere gewesen sein, die sich, verteilt auf verschiedene Ausspielwege, für das Cranston-Format direkt am ersten Tag entschieden, binnen einer Woche sei die Reichweite auf mehr als zwei Millionen gewachsen. Ein Plan also, der aufging. Gut, dass die Macher also nicht so besorgt dreinschauen müssen wie ihre Figuren.

Sky Atlantic zeigt "Your Honor" ab Montag, 18. Januar 2021, wöchentlich um 20:15 Uhr. Die Episoden stehen nach Ausstrahlung auch flexibel zum Abruf über SkyQ und für Kunden von Sky Ticket zur Verfügung.