Herr Boyd, als Autor mehrerer Spionage-Bestseller hätten Sie einfach einen Ihrer Romane adaptieren können. Warum haben Sie sich für "Spy City" einen völlig neuen Stoff ausgedacht?

Als mich die Produzenten vor ein paar Jahren kontaktierten, wollten sie eine Spionagethriller-Serie haben, die in Berlin kurz vor dem Mauerbau spielen sollte. Das war alles an Vorgaben. Sie waren wohl auf mich gekommen, weil ich schon eine ganze Menge über Berlin und drei Spionageromane geschrieben hatte. Ehrlich gesagt, mag ich eine solche Bestellung von etwas Neuem viel lieber. Ich habe bisher 20 Drehbücher geschrieben, davon waren 14 Romanadaptionen. Dabei finde ich Adaptionen immer leicht unbefriedigend, weil man so viel Material rauswerfen muss. Erfahrungsgemäß schaffen es nicht mal 50 Prozent eines Buchs auf den Bildschirm. Dagegen passt ein Originaldrehbuch von vornherein perfekt zum Medium, für das es bestimmt ist.

Moderne High-End-Serien werden ja gern mit Romanen verglichen. Sehen Sie mehr Gemeinsamkeiten oder mehr Unterschiede zwischen Ihren Tätigkeiten als Schriftsteller und als Drehbuchautor?

Viele Leute denken, Filme oder Serien seien etwas Ähnliches wie Bücher, aber das stimmt nicht. Film ist ein Bildmedium, bei dem die Kamera stets den vorrangigen Blickwinkel bestimmt. Anders als im Roman ist es im Film viel schwieriger, subjektiv zu erzählen und in den Kopf einer Figur hineinzuschauen. Der Filmemacher hat dafür nur recht grobe Werkzeuge, beispielsweise das Voice-over. Den Nuancen eines Buchs kommt man damit nicht ansatzweise nah. Insofern ist es doch besser, gleich ein Drehbuch zu schreiben, das die filmischen Stärken ausnutzt. Speziell für Serien kommt noch hinzu, dass man etliche Storylines braucht, damit es nicht langweilig wird. Wenn man sechs Folgen schreibt, braucht man mindestens sechs Storylines, zwischen denen man hin- und herschneiden kann, um das Erzähltempo zu halten. Das sind also ganz andere Gesetzmäßigkeiten als beim Roman. Wenn ich mir Serien von Kollegen anschaue, dann merke ich sofort, wo ihnen die Ideen ausgegangen sind. Da lässt man dann eine Autofahrt der beiden Hauptdarsteller einfach mal ein paar Minuten länger dauern. (lacht)

In der Serienlandschaft wimmelt es nur so von Adaptionen. Vermutlich könnten all die Streamer und Sender ihren Programmbedarf sonst gar nicht decken.

Ich würde mal schätzen, dass der jährliche Film- und Serienoutput zu drei Vierteln aus anderen literarischen Quellen stammt. Das ist ein bisschen wie bei den Kannibalen, die das Gehirn eines Feindes essen, um selbst stärker zu werden. Ich frage mich wirklich, warum Studios und Produzenten nicht viel mehr Originalstoffe entwickeln, warum sie so wenig Zutrauen in die eigene gestalterische Kraft ihrer Kunstform haben. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus dem immensen Bedarf an Content und der Angst vor Flops. Dabei ist der Glaube trügerisch, dass das, was in einem Medium funktioniert hat, automatisch auch in einem anderen funktioniert.

Mit dem Mauerbau und den Auswirkungen der Mauer auf die Menschen in Ost und West haben sich schon etliche Fiction-Produktionen beschäftigt, meist aus deutsch-deutscher Perspektive. So international, wie Sie Berlin 1961 erzählen, haben wir es noch nie zu sehen bekommen. Hilft da der britische Blick?

Spy City © Odeon Fiction/Dusan Martincek Nächster Verräter: Dominic Cooper und Romane Portail in William Boyds Sechsteiler "Spy City"
Mit vier verschiedenen Armeen und vier verschiedenen Geheimdiensten war das besetzte Berlin ein äußerst spannender Ort. Als ich im Zuge meiner umfangreichen Recherchen sah, wie sehr die drei westlichen Besatzungsmächte und ihre jeweiligen Geheimdienste damals gezwungen waren, zusammenzuarbeiten und einander zu vertrauen, um ihre Interessen gegenüber der Sowjetunion zu verteidigen – da wurde es für mich automatisch ein sehr internationaler Stoff. Und gleichzeitig auch der perfekte Ausgangspunkt für einen packenden Spionagethriller, weil man nie weiß, ob der nächste Verräter bei der CIA, dem MI6 oder dem französischen Geheimdienst sitzt. Die Mauer wurde ja zum Symbol des Kalten Krieges und Berlin stand im Zentrum, weil dort Freund und Feind auf engstem Raum zusammenkamen. Als Autor bin ich vom Kalten Krieg fasziniert, weil er eine einzigartige Arena für konfliktreiches Storytelling bietet – mit historischen wie auch mit heutigen Facetten.

Das müssen Sie bitte genauer erklären.

Die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt war zum Greifen nah. Berlin in den 1960er Jahren ist der perfekte Ort und die perfekte Zeit, um diese Spannungen und den Ost-West-Antagonismus wie unterm Brennglas zu betrachten. Deshalb entwickle ich auch schon eine zweite Staffel von "Spy City", die dann ein paar Jahre später spielen soll, wenn die Mauer bereits steht. Außerdem lässt sich im Setting des Kalten Krieges wunderbar das klassische, altmodische Agentenhandwerk erzählen. Es gab noch kein Internet und keine automatisierte Massenüberwachung von Telefon- und Datenverkehr. Ein zeitgenössischer Spionagethriller sähe völlig anders aus, weil heutzutage das meiste Spionieren vom Computer erledigt wird. Was sich ebenfalls verändert hat: Für uns im Westen war über Jahrzehnte klar definiert, wer die "bad guys" im Kalten Krieg waren. Das ist heute viel schwerer zu sagen, nicht zuletzt nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft. Die geopolitische Lage hat sich stark gewandelt. Heute ist eher China die antagonistische Großmacht, die Russland für uns in den 60er Jahren war.

"Ein zeitgenössischer Spionagethriller sähe völlig anders aus, weil heutzutage das meiste Spionieren vom Computer erledigt wird"
William Boyd 

Auch die Produktion von "Spy City" selbst hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Erstmals wurde das Projekt schon 2014 angekündigt, damals noch in anderer Konstellation.

Anfangs hatte das Projekt noch eine stärkere französische Komponente. Angesprochen wurde ich ursprünglich von der französischen Produktionsfirma Gaumont, auf deutscher Seite war Odeon Film, die das Projekt initiiert hatten, von Anfang an dabei. Mit Pascal Chaumeil war auch ein französischer Regisseur an Bord, der dann traurigerweise 2015 starb. Nach seinem Tod und dem Ausstieg von Gaumont wurde die deutsche Komponente noch stärker, "Spy City" wurde zur deutsch-amerikanischen Koproduktion von Odeon Fiction und Miramax Television. Eine prima Konstellation, wie ich finde. Für mich war es erfrischend, so international arbeiten zu können und nicht immer nur unter Briten zu sein.

Deutsche Regisseure sind es gewohnt, das Sagen zu haben, während im angloamerikanischen Raum traditionell alle Autorität vom Autor ausgeht. Gab's da keine Konflikte?

Nein, überhaupt nicht. Die kreative Zusammenarbeit mit Regisseur Miguel Alexandre sowie den Produzenten Britta Meyermann und Mischa Hofmann lief fantastisch. Glauben Sie mir, ich habe im Laufe der Jahre gelernt, mir die richtigen Partner auszusuchen, mit denen ich wirklich gern zusammenarbeiten möchte – und die mit mir. Meinen Input zu Casting-Fragen oder zu den täglichen Mustern musste ich niemandem aufdrängen, der Dialog war immer erwünscht. Mit Miguel hatte ich einen sehr engen, vertrauensvollen Austausch, wir sind darüber Freunde geworden. 

Herr Boyd, herzlichen Dank für das Gespräch.

"Spy City", ab sofort bei Magenta TV

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