Herr Popp, Sie haben vor zehn Jahren gesagt, dass die Deutschen keine US-Serien mehr sehen wollen. Sehen Sie sich heute bestätigt?

Ich will nicht behaupten, dass ich so weitsichtig bin. Aber tatsächlich befinden sich die lokalen Produktionen seit einiger Zeit im Aufwind, während die Zahl der US-Serien im deutschen Fernsehen spürbar zurückgegangen ist.

Gleichzeitig ist jedoch die Zahl der Sendeplätze für deutsche Serien im Privatfernsehen zurückgegangen. Das dürfte Ihnen kaum gefallen. 

Es ist immer ein Kampf um Sendeplätze – ein Kampf, den Streamer so nicht führen müssen. Im Free-TV sind Serien darauf angewiesen, auf festen Sendeplätzen stattzufinden. Verliert man diese, dann wird es deutlich schwerer, neue Sendezeiten zu bekommen – und insbesondere Privatsender müssten einen viel höheren Aufwand betreiben, um neue Produktionen bekannt zu machen. Noch schlechter sieht die Lage bei den Fernsehfilmen aus, für die es im Privatfernsehen sogar überhaupt keinen festen Sendeplatz mehr gibt. Für uns als Fiction-Produzenten ist das keine schöne Entwicklung.

Sie selbst produzieren mit "Wir sind jetzt" eine Serie, deren zweite Staffel erst bei TVNow startet und später auch bei RTLzwei laufen wird. Wird es nicht komplizierter, wenn eine Serie so angelegt sein muss, damit sie auf zwei Ausspielwegen funktionieren kann? 

Bei "Wir sind jetzt" haben wir von Beginn an auf ein transmediales Konzept gesetzt, das auch Social Media umfasst. Das war sicher ein Grund, weshalb RTLzwei eingestiegen ist. Dennoch war für uns klar, dass wir mit der Serie auf einen Stunden-Sendeplatz gehen werden, was für uns eine große Herausforderung war, weil wir ja ein sehr junges Publikum ansprechen. Aber es gibt auch in der jungen Zielgruppe noch Menschen, die bereit dazu sind, sich 45 Minuten lang eine Serie anzuschauen, in der ihre Altersgruppe etwas durchlebt, das sie offensichtlich in ihrer Seele berührt. Das war für mich eine schöne Überraschung. 

Wieso erstaunt Sie das?

Wir haben uns bewusst dazu entschieden, sehr nah an der Hauptfigur Laura zu erzählen. Das führt allerdings dazu, dass wir in einer Folge oft nur 15 oder 18 Szenen haben. Einzelne Szenen dauern ganze acht Minuten, was gemessen an heutigen Maßstäben eine Ewigkeit ist. Darauf muss man sich erst mal einlassen wollen. Letztlich fördern aber gerade diese langen Sequenzen, die Christian Klandt inszeniert hat, das Involvement des Publikums. 

Wir sind jetzt © RTLzwei "Wir sind jetzt": Zoé (Soma Pysall), Laura (Lisa Marie Koroll) und Julia (Gina Stiebitz)

Hilft es Ihrer Serie eigentlich, dass sie in ihrem Segment quasi konkurrenzlos ist? 

Das ist sehr schade. In Deutschland gibt es fast keine Serie mehr, die sich explizit an die Teenager-Zielgruppe richtet. Da stellt RTLzwei mit seinem "Young Fiction"-Label eine echte Ausnahme dar. Sicher, es gibt noch "Druck" und auch TNT Serie hat ein neues Projekt angekündigt – aber das war es dann auch schon. Netflix hat das Potenzial viel früher erkannt und bedient diese Zielgruppe seit Jahren sehr konsequent.

Durch den Fokus auf die junge Zielgruppe können Sie sehr spitz erzählen. Andererseits ist das für einen großen Sender auch ein Risiko. Hat die Förderung letztlich geholfen, dass "Wir sind jetzt" überhaupt entstehen konnte? 

Der Schritt, in ein solches Format zu investieren, ist für RTLzwei ein sehr großer gewesen, weil sie von vornherein wissen, dass es schwierig ist, damit im linearen Programm Geld zu verdienen. Umso mehr sind sie darauf angewiesen, dass es auch auf anderen Plattformen erfolgreich läuft. Dass in unserem Fall die Fördermittel entscheidend gewesen sind, ist kein Geheimnis. Geholfen hat uns die Verknüpfung des linearen Fernsehens mit dem Digitalen, also die Frage, wie man serielles Erzählen mit einem anderen Geschäftsmodell, aber auch veränderten Sehgewohnheiten zusammenzubringen kann. Diesen Ansatz fand Helge Jürgens vom Medienboard Berlin-Brandenburg glücklicherweise spannend.

"Wenn junge Zielgruppen gar nicht mehr bedient werden, wird das Free-TV sie auf absehbare Zeit ganz verlieren."

Erstaunlicherweise haben Sie schon grünes Licht für die dritte Staffel bekommen, noch bevor die zweite überhaupt ausgestrahlt wurde. Das ist in Zeiten wie diesen vermutlich ein Glücksfall, oder?

Ich bin sehr glücklich darüber, dass sich die Verantwortlichen von RTLzwei nicht so sehr von der Quote abhängig gemacht haben, sondern an ein Serienkonzept glauben, das sie ganz gezielt aus der Perspektive einer bestimmten Zielgruppe betrachten, die für sie wichtig ist. Als ich noch tägliche Serien gemacht habe, haben wir immer davon gesprochen, die jüngere Generation an das Format zu binden. Wenn man die einmal verloren hat, kann man sie nämlich fast nicht mehr zurückgewinnen. Daher halte ich es für strategisch schlau von RTLzwei, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Mag sein, dass die junge Zielgruppe gemessen an der reinen Zahl in der Minderheit ist. Aber wenn sie gar nicht mehr bedient wird, wird das Free-TV sie auf absehbare Zeit ganz verlieren. 

Weil Sie gerade die täglichen Serien ansprachen: Da kam in den letzten Jahren wenig Erfolgreiches nach. Sehen Sie derzeit die Chance, dass sich das ändern wird?

Im Free-TV halte ich die Chance, in absehbarer Zeit eine neue langlaufende Serie zu etablieren, für ziemlich gering. Bei den Streamern ist das womöglich anders, weil es ihnen darum gehen muss, das Publikum über einen längeren Zeitraum zu halten. Da ist es auch vor dem Hintergrund wachsender Konkurrenz vielleicht förderlich, Serien in höherer Stückzahl zu produzieren. 

Die Corona-Pandemie hat auch die TV-Branche verändert. Wie geht es für Sie weiter?

Producers at Work hat das Jahr mit einem blauen Auge durchgestanden, weil wir zumindest einen Teil unserer Produktionen realisieren konnten. Ich befürchte jedoch, dass uns Coronakosten bei den Sendern und die Verschiebungen ins nächste oder übernächste Jahr zu schaffen machen werden. Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht seriös absehen.

Herr Popp, vielen Dank für das Gespräch.

Die zweite Staffel von "Wir sind jetzt" steht ab Samstag bei TVNow zum Abruf bereit. Die TV-Ausstrahlung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.