Man kann wohl sagen: Eine Ära endet. In Lautstärke pro Prozent Marktanteil gemessen, hatte kein Senderchef im vergangenen Jahrzehnt ein so ausgeprägtes Sendungsbewusstsein wie Kai Blasberg. Seit 2008 führte er die Geschäfte bei Tele 5 und das letztlich profitabel genug, dass der langjährige Inhaber Herbert Kloiber ihn mit allen Experimenten und Eskapaden gewähren ließ, egal ob im Programm oder seinen Interviews, in denen wechselweise die Öffentlich-Rechtlichen oder private Fernsehkonzerne ihr Fett weg bekamen. Jetzt hat ein solcher Konzern Tele 5 übernommen und Kai Blasberg geht von Bord.

Discovery Deutschland hat die am 3. Juli angekündigte Übernahme des Senders von Leonine abgeschlossen, was bisher noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der zuständigen Behörden stand, welche zum 31. August vollständig erfolgte. Im Zuge dessen wurde jetzt Alberto Horta, stellvertretender Geschäftsführer bei Discovery Deutschland, als Geschäftsführer der TM-TV GmbH berufen. Kai Blasberg scheidet aus der Geschäftsführung aus und verlässt den Sender. "Tele 5 war ein Geschenk für mich. In 15 Jahren haben wir ein wunderbares Unternehmen geschaffen, das immer ein bisschen Kummer, vor allem aber ganz viel Freude bereitet hat. Ich bin sicher, das wird auch mit Alberto und seinem Team so sein", sagt Blasberg selbst.

2005 kam er zunächst als Leiter Verkauf und Marketing zu dem kleinen Privatsender, dessen von außen schmuckloser Firmensitz auf dem Firmengelände der Bavaria Film stets ein großer Kontrast war zum schrillen Auftreten des Senders, bei dem "anders ist besser" das Mantra der letzten Jahre war. Als einer der letzten Solitäre im deutschen Fernsehmarkt feierte der Geschäftsführer gerne seine Underdog-Rolle. Bei aller Lautstärke war dem scheidenden Geschäftsführer die Größe des seit zehn Jahren nie maßgeblich gewachsenen Spartensenders allerdings stets bewusst ("Ich kann ja noch so toll sein, ich bin halt Tele 5").

Der selbsternannte "Impresario von Grünwald" verdiente sein Geld mit Werbeinseln zwischen den Vorabendserien oder Primetime-Spielfilmen. Das Brot-und-Butter-Geschäft war aber selten der Rede wert. Aufmerksamkeit generierten viel mehr die Eigenproduktionen, wovon es seit 2012 einige gab. Beispielsweise "Walulis sieht fern", wofür es dann auch den ersten Grimme-Preis für Tele 5 gab. Manch andere Idee schaffte es in den Folgejahren immerhin bis zur Nominierung: "Nichtgedanken mit Oliver Kalkofe", "Playlist - Soundtrack of my life", die Live-Talkshow "Der Klügere kippt nach", die Imagekampagne "Festival der Liebe" und der von ZDFneo geerbte Polittalk "Stuckrad-Barre" gehörten dazu.

Zum prominentesten Aushängeschild neben Sender-Muse Friedrich Liechtenstein wurde die Idee, die schlechtesten Filme aller Zeiten mit Live-Kommentierung von Oliver Kalkofe - dessen "Mattscheibe" Blasberg ebenso wieberbelebte - und Peter Rütten zu adeln. "SchleFaZ" wurde zum Kult im Programm, in dem zuletzt sogar der scheidende Geschäftsführer on air auftrat. Die Eigenproduktionen bei Tele 5 waren Chefsache des Zirkusdirektors, der sich zum Wohl oder Leid gerne überall einmischte. Ein sehr spezieller Führungsstil, der Alberto Horta vor Herausforderungen stellen wird: Ein Unternehmen, ganz ausgerichtet auf einen Geschäftsführer und seine Impulse, soll in die Senderfamilie und Strukturen von Discovery eingegliedert werden.

Wie viel Eigenständigkeit bleibt erhalten?

Mit der abgeschlossenen Übernahme rückt Discovery Deutschland in der vermarktbaren Reichweite näher an die bisherige Nr. 3 im deutschen TV-Werbemarkt, den RTLzwei-Vermarkter El Cartel Media. Das wird einer der strategischen Gründe für den Einkauf sein. Wie jedoch ein Sender mit weitgehend fiktionalen Programmen in einen ansonsten rein non-fiktionalen TV-Konzern passt - womit keinerlei Synergie-Effekte oder Programmübernahmen möglich sind - wird Discovery in den nächsten Monaten noch beantworten müssen. Immerhin wurde mit Verkäufer Leonine im Zuge der Übernahme eine langfristige "Content-Vereinbarung" getroffen.

Alberto Horta © Discovery Der neue Tele 5-Chef Alberto Horta

Heute sagt der neue Senderchef Alberto Horta zu seiner zusätzlichen Aufgabe nur so viel: "Tele 5 ist eine starke und klar positionierte Marke im deutschen Free TV. Mit seinen Filmen und Serien erweitert Tele 5 unser bisheriges Sender-Portfolio um eine neue fiktionale Komponente. Im Verbund mit unseren nun insgesamt fünf frei empfangbaren Sendern haben wir jetzt noch weitreichendere und bessere Möglichkeiten, unser Vermarktungspotenzial auszuschöpfen."

Er freue sich auf die neuen Kolleginnen und Kollegen und die gemeinsame Zukunft. Wie viel aber kann bleiben, was muss sich ändern? Und wie viel Eigenständigkeit kann sich der Sender mit dem unangepassten Image dabei erhalten? Einmal bezogen auf ein kreatives Umfeld für Köpfe wie Oliver Kalkofe und Peter Rütten, aber auch bezogen auf den Firmensitz. Noch sitzt Tele 5 auf dem Bavaria-Gelände während Discovery alle anderen Geschäfte in der Münchener Innenstadt gebündelt hat. Letztlich bleibt auch zu klären, ob Tele 5 auf Dauer in der eigenen TM-TV GmbH beheimatet bleibt.

Es ist aber nicht Discovery geschuldet, dass sich Einiges ändern wird. Es liegt eher darin begründet, dass bei Tele 5 bisher vieles anders lief als üblich. Dank verlässlicher Gewinne hatte Geschäftsführer Blasberg über Jahre hinweg umfassende Rückendeckung durch Herbert Kloiber und führte den Sender weitgehend wie sein eigenes Unternehmen. Er nutzte die Reichweite von Tele 5 auch für politische Statements, darunter neben weniger provokanten Aktionen auch meinungsstarke Aussagen: 2016 etwa forderte Blasberg, der kürzlich in die SPD eingetreten ist, im Zusammenhang mit Böhmermanns Erdogan-Gedicht über die Tele-5-Kanäle den Rücktritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

So viel Freiheiten werde er nie wieder bekommen, erklärte Blasberg häufiger. Mit markigen Sprüchen sammelte er gleichermaßen Sympathien wie Antipathien in der Branche. 2015 verkündete er in einem DWDL.de-Interview: "Niemals werde ich woanders im TV arbeiten als hier. Niemals. Es reizt mich null. Das war mal. Ich wollte mal Sat.1-Chef werden. Da war ich bei Guillaume de Posch und dass er mich nicht ausgelacht hat, war alles. Und heute unter diesen Rahmenbedingungen bei einem der großen TV-Konzerne zu arbeiten, entspräche nicht meiner Lebensplanung." Dieser Haltung bleibt Blasberg treu und räumt das Feld für Discovery, wo Tele 5 jetzt die Free-TV-Familie neben DMAX, TLC, Eurosport und Home & Garden TV ergänzt.