Mit "I Can See Your Voice" ist RTL ein schöner Show-Neustart gelungen, doch in den sozialen Netzwerken ging es am Dienstagabend während der Premiere kaum um das, was sich auf der Bühne abspielte. Vielmehr begann sehr schnell eine Diskussion über die gut gefüllten Publikumsränge, auf denen das Halten des Mindestabstands erkennbar nicht eingehalten wurde. Im Gegenteil: In mehreren Reihen saßen Dutzende Zuschauer eng beisammen, was nach Monaten, in denen Fernsehshows nicht vor Publikum aufgezeichnet wurden, dann doch arg verwunderte.

Tatsächlich handelte es sich bei "I Can See Your Voice" keineswegs um eine Produktion, die noch vor der Corona-Pandemie entstand. Stattdessen wurden die beiden Folgen, die RTL in dieser Woche ausstrahlt, erst vor wenigen Wochen von Tresor TV im Kölner Coloneum hergestellt. Seither hatten sich mehrere TV-Shows zögerlich wieder daran versucht, vor Zuschauern zu produzieren. Doch während etwa in der Pocher-Show "Gefährlich ehrlich" noch immer Mund-Nasen-Schutz getragen wird, "Promi Big Brother" die Reihen mit Papp-Zuschauern auffüllt oder in der "Roland Kaiser-Show" vom vorigen Wochenende große Abstände eingerichtet wurden, wirkte die jetzt ausgestrahlte Sendung doch arg ungewohnt - erst recht vor dem Hintergrund wieder steigender Infektionszahlen und der öffentlichen Debatte um die Maskenpflicht in Schulen.

Noch am Abend der Ausstrahlung veröffentlichte "RTL.de" ein Statement der Produktionsfirma, wonach die Regeln zu jeder Zeit eingehalten worden seien. Und auch RTL beteuert, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. "Wir haben uns zum Zeitpunkt der Produktion von 'I Can See Your Voice' penibel an die gesetzlichen Vorgaben in NRW im Umgang mit Corona gehalten und waren dazu auch im Austausch mit dem Gesundheitsamt", erklärte Sendersprecher Claus Richter am Mittwoch auf DWDL.de-Nachfrage. "Darüber hinaus wurde kontinuierlich zusätzliche Frischluft ins Studio geleitet."

Publikum bei der Roland Kaiser Show

Bei der "Roland Kaiser Show" wurde am vergangenen Wochenende mehr auf Abstand im Publikum geachtet. (Foto: Screenshot Das Erste)

Auch Richter weist noch einmal darauf hin, dass die Aufzeichnungen bereits im Juli stattfanden. "Die Ausstrahlung fällt jetzt in eine Zeit, in der die Zahl der Neuinfektionen leider wieder steigt. Rund um die Produktion von 'I Can See Your Voice' wurde aber kein einziger Corona-Fall gemeldet, das Hygienekonzept hat also gegriffen." Das Konzept sah vor, dass maximal 150 Leute auch ohne Maske zusammensitzen durften, solange die Rückverfolgbarkeit gegeben ist. Beim Einlass wurde dagegen auf den Abstand von 1,50 Meter und das Tragen einer Maske geachtet. Zu den Maßnahmen zählten nach DWDL.de-Informationen auch ein Einbahnstraßensystem, Fiebermessen vor dem Einlass und das Bereitstellen von Desinfektionsmaterial.  

Auch weitere Shows werden ähnlich produziert

An Bilder wie am Dienstagabend werden sich die Fernsehzuschauer in den nächsten Wochen und Monaten wohl wieder verstärkt gewöhnen müssen, denn längst nicht nur "I Can See Your Voice" wurde unter diesen Bedingungen produziert. Auch die neue RTL-Show "Big Performance", die ab September ausgestrahlt werden soll, ist in diesen Tagen in ähnlicher Form aufgezeichnet worden. Gleiches gilt für die neue ProSieben-Sendung "FameMake" oder "Genial daneben", das im September die Produktion vor Publikum wieder aufnehmen wird. Der Dienstleister "tvtickets.de" hatte mit Blick auf die Comedyshow schon Anfang August darauf hingewiesen, dass "alle Zuschauer wie gewohnt nebeneinander und ohne Maske unter den Vorgaben der Corona-Schutzverordnung" sitzen werden.

  • Aus der Coronaschutzverordnung

    Veranstaltungen und Versammlungen mit bis zu 300 Teilnehmern dürfen stattfinden, wenn geeignete Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Gewährleistung eines Mindestabstands von 1,5 Metern (auch in Warteschlangen) sichergestellt sind. Außer im Freien ist zudem die einfache Rückverfolgbarkeit sicherzustellen. Sitzen Teilnehmer während der Veranstaltung auf festen Plätzen, muss – bei Sicherstellung der besonderen Rückverfolgbarkeit – der Mindestabstand nicht eingehalten werden. Und: In geschlossenen Räumen gilt außerhalb des Sitzplatzes die Maskenpflicht. Bei Veranstaltungen mit mehr als 300 Teilnehmern bedarf es eines besonderen Hygiene- und Infektionsschutzkonzeptes. (Quelle: FAQ zur Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen)

Die Faktenlage in Nordrhein-Westfalen ist diesbezüglich eindeutig: So heißt es in der bis vorerst 31. August gültigen Coronaschutzverordnung des Landes, dass Veranstaltungen mit bis zu 300 Teilnehmern stattfinden dürfen, wenn es "geeignete Vorkehrungen zur Hygiene" gibt. Und weiter: "Sitzen die Teilnehmer während der Veranstaltung auf festen Plätzen, muss - bei Sicherstellung der besonderen Rückverfolgbarkeit - der Mindestabstand nicht eingehalten werden." So weit die offiziellen Regeln. Fragen wirft allerdings längst nicht nur der Abstand auf: Dass das Publikum mehrfach in "Preis ist heiß"-Manier gröhlte, sorgte für zusätzliche Verwunderung, schließlich ist inzwischen bekannt, dass lautes Schreien die Reichweite der virenlastigen Tröpfchen deutlich vergrößert - und damit auch die Ansteckungsgefahr steigt.

Dass ausgerechnet "I Can See Your Voice" nun zahlreiche Zuschauer irritierte, dürfte auch damit zusammenhängen, dass es schlicht die erste Show war, die unter den neuen Produktionsbedingungen den Weg ins Programm schaffte. Vor allem deshalb wäre RTL gut beraten gewesen, das Publikum schon im Vorfeld auf die getätigten Maßnahmen zu verweisen, schließlich vermittelten die Bilder am Dienstagabend einen komplett anderen Eindruck als die Corona-Hinweise, die der Sender sonst an anderer Stelle in seinen Magazinen verbreitet. Ganz davon abgesehen stellt sich freilich die Frage, ob man auch alles machen muss, was gesetzlich erlaubt ist. Eine Fernsehshow als Superspreader-Event ist sicher nicht das, was TV-Macher unter einer Event-Show verstehen sollten.