Fernsehdeutschland steht still. Fast. Während der News-Bereich übertourig hochdreht und tägliche Sondersendungen über die neusten Virus-Wendungen informieren, gerät der Motor der Unterhaltungsbranche zunehmend ins Stottern. Shows entfallen komplett wie die "On Tour"-Ausgaben des ZDF-"Fernsehgarten" oder pausieren seit voriger Woche wie Corona-bedingt "The Masked Singer" bei ProSieben; dafür ging fast täglich eine neue Wohnzimmerunterhaltung auf Sendung.

Nahezu vollständig zum Erliegen gekommen ist das fiktionale Erzählen. Film- und Seriendrehs sind bis auf Weiteres gestoppt. Eine Reihe von Freischaffenden vor und insbesondere hinter der Kamera bangt um ihre Existenz. Wie ist die Stimmung? Was ist in Corona-Zeiten an kreativer Arbeit noch möglich? Was kommt aus den eilig zusammengerührten Geldtöpfen von Bund und Ländern tatsächlich an bei Autoren, Regisseuren & Co.? Und wie verändert Corona das Fernsehmachen überhaupt? Ein Rundruf in drei Teilen.

Bastien Angemeer© Privat
Bastien Angemeer, Show-Regisseur

Für das, was RTL mit der "Quarantäne-WG" oder Vox mit "Live aus der Forster Straße" ausprobiert hat, bräuchte es keinen Regisseur, sagt Bastien Angemeer. Die Liste der Shows, die der Regiemeister vor allem für RTL ("Supertalent") und WDR ("Hirschhausens Quiz des Menschen") inszeniert, ist lang. Für ihn persönlich wäre es also "keine gute Entwicklung, wenn sich durchsetzt, dass Fernsehen auch ohne Bums und Knall und schöne Musik möglich ist". Andererseits freue es ihn, dass es in dieser schwierigen Phase überhaupt Fernsehen gibt: "Dass sich die Sender und Produzenten etwas einfallen lassen und keiner sagt, wir senden den Farbbalken so wie früher. Die Corona-Krise, so existenzbedrohend sie für manche Kollegen ist, hält die Branche wach."

Parallel zur Experimentitis mit Webcam-TV hält RTL am Weiterbetrieb der wöchentlichen Show-Highlights "Let’s Dance" fest so lange es geht, bei "Deutschland sucht den Superstar" schaffte man es bis zum Ende der Staffel. Zum Vergleich: In Hamburg ruht die Produktion täglicher Quiz-Formate wie "Wer weiß denn sowas?", Auftraggeber NDR fokussiert sich ganz auf News. Für Angemeer, "übDSDS"-Regisseur von der ersten Staffel an, bedeutet das: Er wird von RTL weiter gebucht und im Studio gebraucht. Es seien zwar Not-Teams gebildet und vor allem Festangestellte ins Home-Office geschickt worden. "Aber auf die Position Regie ist nicht zu verzichten, ebenso wenig auf Ton oder Maske."

Inzwischen hat Angemeer alle Live-Shows dieser "DSDS"-Staffel über die Bühne gebracht. Ohne Publikum, ohne Warmup, ohne aufgeheizte Stimmung. "Wenn ich mich um Viertel vor acht in die Regie setze und ins Studio blicke, ist da Totenstille. Das ist ein komisches Gefühl. Es fehlt die Interaktion mit dem Publikum." Man habe zwar das Studio optisch verkleinert und spiele Applaus vom Band ein. Aber der versierte Show-Regisseur weiß noch nicht, ob er diese Applauszuspielungen gut oder schlecht finden soll.

Für die nächste Zeit stehen auf Angemeers Plan zwei neue Ausgaben von "5 gegen Jauch" mit dem von Corona blitzgenesenen Moderator Oliver Pocher. "Ich habe also im Moment gut zu tun." Nur ein Auftrag wurde ihm bisher aufgrund von Reiseschwierigkeiten abgesagt. Wie alle anderen in der Branche stellt sich aber auch Angemeer die Frage: "Wie lange geht das so weiter? Auf Dauer hält keine Branche die Quarantäne aus. Irgendwann könnte es auch mich treffen."

Carina Grallert© Privat
Carina Grallert, Maskenbildnerin

Seit 2011 arbeitet Carina Grallert als freiberufliche Maskenbildnerin für Film, TV und Imageproduktionen, Jobs im Braut-Business kamen hinzu. "Es war immer alles planbar und absehbar", sagt Grallert, "das weiß man nach der Krise ganz anders zu schätzen." Aufträge und Anfragen für 2020 ließen sich noch gut an, Ende Februar begannen in Köln die Dreharbeiten von "Die Zukunft ist ein einsamer Ort" (Arbeitstitel) mit Lucas Gregorowicz, Katharina Schüttler und Denis Moschitto in den Hauptrollen. Die Kinokoproduktion mit der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel ist für Gallert wegen der aufwändigen SFX-Maske ein spannendes Projekt. Doch seit 16. März steht die Makeup-Spezialistin aus Bonn ohne Filmjob da. Der Kinodreh wurde unterbrochen. Am 20. April, so der vorläufige Plan der HUPE Film Fiktion Produktion, soll es weitergehen. Bis dahin gehen deren festangestellte Mitarbeiter in Kurzarbeit. Als Freiberuflerin hat Grallert indes keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Gleichzeitig bleiben neue Aufträge aus, da fast keiner drehen darf oder überhaupt drehen will. Auch einige Hochzeiten sind abgesagt. Für Grallert heißt es jetzt: auf Rücklagen zurückgreifen und auf Soforthilfen hoffen.

Die Fülle an Informationen, die derzeit in Blogs und Facebook-Gruppen kursieren, waren für sie verwirrend: "Jeder hat etwas dazu gesagt, Vermutungen abgegeben und gefährliches Halbwissen verteilt." Seit sie sich gedanklich nicht mehr darauf einlässt und nur noch auf die offizielle Wirtschaftsseite vom Bund vertraut, "geht es dem Kopf wieder besser". Den Antrag auf das Corona Sofortprogramm der Landesregierung NRW, die den in der KSK versicherten Künstlern bei Honorarausfällen einen nicht rückzahlbaren Zuschuss bis 2.000 Euro gewährt, hat Grallert bereits abgeschickt. Ein weiterer Antrag auf staatliche Unterstützung soll folgen. Langfristig kalkuliert Grallert mit beruflicher Zweigleisigkeit: "Ich denke, es macht auf Dauer einfach Sinn, sich ein zweites Standbein in einer anderen Branche aufzubauen." Seit Oktober lässt sich die Maskenbildnerin per Fernkurs zur Buchhalterin ausbilden. "Das gibt mir mehr Sicherheit, und die jetzige Krise bestätigt mein Vorhaben nochmals."