Frau Kogge, auch wenn es schwer ist, in Zeiten wie dieser weltumspannenden Pandemie übers politische Tagesgeschäft vorheriger Tage zu sprechen: verraten Sie, wen Sie bei der letzten Bundestagswahl gewählt haben?

Nee, sag ich nicht.

Aber nur mal hypothetisch – wenn Sie vorher eine Entscheidung gefällt und dann diesen Film hier gesehen hätten, wäre sie dann womöglich anders ausgefallen?

Also die Macht des Fernsehens ist auf keinen Fall zu unterschätzen. Von daher können auch Spielfilme, wenn sie glaubhaft mit der Wirklichkeit umgehen, Wahlentscheidungen beeinflussen. Medien machen Meinung. Inwiefern mich dieser Film als jemand, der nicht grad konservativ wählt, da beeinflusst hätte, kann ich nicht sagen. Aber ich ziehe – zumindest vor der Politikerin, die ich spiele – meinen Hut. Ob sie wirklich so war und ist, wie im Drehbuch dargestellt, kann ich nicht sagen.

Halten Sie die Art, wie Sie Angela Merkel nach der Vorlage des politischen Journalisten Robin Alexander spielen, denn insgesamt für authentisch?

Das ist eine Frage der Definition von Authentizität. Ihr Gefühlsleben ist definitiv frei erfunden, alle privaten Momente unterliegen der künstlerischen Freiheit. Aber diese Fantasie orientiert sich an Wesenseigenschaften und Bewegungsabläufen der realen Figur. Frau Merkel ist – anders als ihr Mann – ja kein unbeschriebenes Blatt.

Hatten Sie vorher ein festes Bild von ihr?

Ein Bild ja, feste Meinung nein.

Und ist dieses Bild so ins Wanken geraten, dass ihre Meinung nun fester geworden ist?

Ich würde da eher von Eindruck sprechen. Und da war sie mir auch vorher schon in der ruhigen, unaufgeregten Art, mit der sie sich in dieser Männerwelt Respekt verschafft hat, sympathisch. Politisch war ich da kritischer, aber in der erweiterten Beschäftigung mit ihrer Arbeit wurde schon noch mal deutlich, was eine Person wie sie leistet, von dem Ottonormalverbraucher nicht mal was ahnen. Es ist schlicht unvorstellbar, wie voll ihr Terminkalender ist und wie immens der Druck auf ihren Schultern. Das war auch mir vor den Dreharbeiten nicht bewusst.

Sie würden also nicht mit ihr tauschen wollen?

Um Gottes Willen… Ich läge nach einer Woche im Grab.

Aber sind sich die Berufe der Politikerin und der Schauspielerin durch die öffentliche Beobachtung nicht sogar ein wenig ähnlich?

Finde ich nicht. Schauspieler genießen den Schutz ihrer Rollen, in denen sie sich nach Belieben austoben, auf die sie alles schieben können. Während Politiker und Politikerinnen stets Verantwortung tragen, bin ich eine Gauklerin, die Ihnen bestenfalls mal den Abend durch eine schlechte Vorstellung versaut. Wer ist denn bitte an Imogen Kogge als Person interessiert?!

Ich. Jetzt.

Aber doch nur im Zusammenhang mit diesem Film. Nee, nee – man kann und sollte das nicht vergleichen. Gut, so wie manche Alterungsprozesse an Frau Merkel taxieren, kann das auch mir passieren, aber das ist doch Pipifax.

Haben Sie zuvor mal eine so bekannte, tragende Figur der Zeitgeschichte gespielt?

Nein, die Mutter von Bernward Vesper im RAF-Drama "Wer, wenn nicht wir", aber die ist ja völlig unbekannt.

Verändert das etwas am Spiel?

Es verändert alles! Nicht, was meine Mittel betrifft, aber in der Einstellung zur Figur, die jeder zu kennen glaubt. Weil sich schlechthin jeder als Merkel-Experte versteht, dachte ich zunächst auch, da nur verkacken zu können. Dabei hat es sehr geholfen, mich mit dem Regisseur genau über sein Ansinnen ausgetauscht zu haben.

Welches war das?

Dass es nicht um ein Imitat geht, nicht mal um die äußere Annäherung über ein Mindestmaß an Wiedererkennbarkeit hinaus. Der Fokus lag auf den Entscheidungsprozessen eines gewissen Zeitausschnittes, in dem Merkel nur eine handelnde Person von vielen war.

Haben Sie sie dennoch beim Spielen gewissermaßen im Nacken gespürt?

Schon, sie war innerlich oft anwesend. Aber das changierte nach Szenen. Je besser belegt sie sind, etwa bei den berühmten Pressekonferenzen, desto mehr war mir eine Art Nähe bewusst.

Haben Sie Angela Merkel getroffen?

Nein.

Stand das mal im Raum?

Auch nicht. Das fand ich nicht notwendig, im Gegenteil; dann wäre neben mir und meiner Figur die dritte, nämlich richtige Person im Raum gewesen. Das hätte mich nur durcheinandergebracht.

Was will denn "Die Getriebenen" eigentlich – Zeitgeschichte dokumentieren oder zeitgeschichtlich unterhalten?

Das schließt sich ja nicht aus. Ich weiß nicht, was der Regisseur antworten würde, aber mir ging es darum, die zugespitzte Komplexität der damaligen Situation nochmals aufzuzeigen und wie schwer es ist, darin Entscheidungen zu fällen. Das ist ein wichtiger Abschnitt unserer Geschichte und wird es auf Dauer bleiben, wenn man sich den Scheißrechtsruck gerade betrachtet.

Mit Lob für Angela Merkel und Begriffen wie Scheißrechtsruck exponieren Sie sich gerade stark in der aufgeheißten Debatte unserer Zeit. Sind sie sich dessen bewusst?

Das bin ich.

Stört es Sie?

Natürlich habe ich mir überlegt, was es auslöst, wenn ich Angela Merkel spiele, und das auch noch mit spürbarer Sympathie. Aber ohne zu behaupten, ein angstfreier Mensch zu sein: Das darf mich nicht stören, furchtbarer Gedanke.

Nun sind wir durch die weltweite Pandemie in einer neuen, weit gravierenderen Umbruchsituation als 2015. Wirkt dieser Film da nicht sonderbar aus der Zeit gefallen?

Warum? Nur weil ein Problem momentan alles andere überdeckt, bedeutet es nicht, dass das Thema, wovon der Film handelt, uninteressant geworden wäre. Im Gegenteil: die Brisanz des Flüchtlingsproblems ist ja seit einigen Monaten wieder besonders aktuell. Im Übrigen glaube ich, dass Fernsehbeiträge, die mal nicht mit Corona zu tun haben, vielleicht gerade willkommen sein könnten.

Würden Sie, wenn man es Ihnen anbietet, Angela Merkel vier, fünf Jahre nach Corona nochmals in einem solchen Drama spielen?

Ein entschiedenes Nein!

Frau Kogge, vielen Dank für das Gespräch.

Das Erste zeigt "Die Getriebenen" am Mittwochabend um 20:45 Uhr.