Falls Sie sich jemals gefragt haben, wie Julian Reichelt die Welt sieht, dann lohnt ein kurzer Blick in den neuen "Bild"-Talk "Hier spricht das Volk". Darin verspricht der "Bild"-Chefredakteur den Zuschauern gleich zu Beginn, dass "ganz normale Menschen wie Sie" zu Wort kommen, "ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft, ein Querschnitt durch Deutschland". 

Der Querschnitt, den die Redaktion in zwei Reihen vor der Kamera platziert hat, besteht aus insgesamt 15 Personen, die auf die Namen Annetta, Bruno, Nils, Christel, Sabine, Felix, Anne, Monique, Andreas, Dennis, Hagen, Michael, Britta, Tobias und Heiko hören. Menschen mit Migrationshintergrund sucht man vergeblich – nach echter Vielfalt oder gar gelebter Integration sieht die Gästeliste gewiss nicht aus.

Warum das so ist, versucht "Bild" auf DWDL.de-Nachfrage zu erklären. Der Querschnitt, von dem Reichelt spricht, sei "in erster Linie demografisch gemeint", erklärt "Bild"-Sprecher Christian Senft und verweist auf das unterschiedliche Alter und die Mischung aus Männern und Frauen. Gleichzeitig betont er, dass sich der Querschnitt verändern werde – je nach Thema und Region. 

Und überhaupt hänge die Besetzung auch davon ab, wer sich bei "Bild" für die Teilnahme bewirbt. Wollten also in Wahrheit nur Christel, Sabine und Heiko sprechen? Das bleibt unklar. In erster Linie spricht aber ohnehin nur Julian Reichelt. Im Stile einer Schnellfeuerwaffe stellt er alleine in den ersten zehn Minuten 20 Fragen – das dürfte ein einsamer Rekord sein, mit dem der "Bild"-Chefredakteur sämtliche Talkmaster locker in den Schatten stellt.

"Wer hat Angst vor diesem Coronoavirus?", will Reichelt wissen. Oder: "Christel, was macht Ihnen Angst an diesem Virus?" So geht es munter weiter: "Fühlen Sie sich von unserer Regierung gut informiert?", "Warum nicht?" und: "Wer von Ihnen hat das Gefühl, dass unsere Regierung nicht offen über das Coronavirus informiert?" Natürlich fragt der "Bild"-Chef auch, ob Deutschland ein gerechtes Land sei und wer schon einmal Flaschen sammelnde Rentner gesehen hat. Ganz zu schweigen von dieser Frage: "Was denken Sie, wenn Sie auf Ihren Rentenbescheid schauen?"

Schnell lässt sich durchschauen, dass ein großer Teil der Fragen, die Julian Reichelt an das vermeintliche "Volk" richtet, in Wahrheit Suggestivfragen sind, die die Antwort bereits vorwegnehmen sollen – das erklärt vielleicht auch, weshalb den eigentlichen Antworten so wenig Platz eingeräumt wird, denn so recht drauf anspringen wollten die Diskutanten darauf nicht. Am Ende bleibt der Eindruck, als gehe es Julian Reichelt in erster Linie um Bestätigung der eigenen Ansichten. Bleibt die Bestätigung aus, folgt einfach das nächste Thema.

Dazu kommt, dass eine gute Diskussion schon alleine durch die Sitzordnung verhindert wird. Weil Reichelts Gesprächspartner in zwei Reihen hintereinander sitzen, bedarf es mitunter einer gewissen Gelenkigkeit, um mit dem Hintermann ins Gespräch zu kommen. Einzig Julian Reichelt hat alles gut im Blick. Er, der Chefredakteur, auf der einen Seite, die "ganz normalen Menschen" auf der anderen. Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte.