In der ersten Folge von “Queer Eye” freut sich ein ‘Fab Five’-Mitglied wie ein kleines Kind darüber, dass er für seine eigene Sendung in seine alte Heimat reisen kann, um dort den Style und Auftritt seiner ehemaligen Musiklehrerin neu definieren zu können. “Danke Netflix!”, stimmt Kollege Karamo Brown ein. Eine Äußerung, die auch auf die Produktion als solches gemünzt werden kann. Netflix hat mit dem Revival der Sendung, die von 2003 bis 2007 unter gleichem Namen - aber anderer Besetzung - schon einmal beim US-Kabelsender Bravo lief, gleich zwei klare Statements abgegeben: Inhaltlich liefert "Queer Eye" durch und durch positive Botschaften, will das Leben und Zusammenleben verschönern und verbessern.

Es ist Feel Good-Fernsehen einer neuen Generation: Weit weniger als ihre Vorgänger vor 15 Jahren hatten die Fab Five in der Netflix-Neuauflage mit offenen Anfeindungen zu tun. An persönlichen Sorgen und Nöten mangelt es aber weiterhin nicht, was die Show zu mehr als einem optischen Make Over macht. Das zweite Statement der Sendung: Netflix meint es ernst mit non-fiktionaler Unterhaltung. Lange galten  Streamingdienste als neue Heimat von Highend-Fiction, die den Sendern darüber hinaus aber kaum gefährlich werden würden. Ein Irrtum, wie inzwischen nicht nur "Queer Eye" gezeigt hat.

Der Netflix-Erfolg weckt Begehrlichkeiten und Ehrgeiz, denn anders als bei fiktionalen Großprojekten war "Queer Eye" keine Frage des Budgets. Die Sendung ist in einem Genre zuhause, dass den deutschen Sendern sehr vertraut ist: Dokutainment. Netflix hat das lineare Fernsehen in einem Genre angegriffen, in dem es bislang nicht herausgefordert wurde. Nun, der RBB hat die Herausforderung angenommen, könnte man sagen.

MIt "Queer 4 You" hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg zunächst drei Folgen eines Klons des Netflix-Erfolges produzieren lassen, der ab dem 27. Dezember in der ARD-Mediathek und ab Januar auch im RBB Fernsehen zu sehen sein wird. Eine offizielle Adaption ist "Queer 4 You" übrigens nicht. Drei Monate nachdem Netflix-Managerin Bela Bajaria im DWDL.de-Interview internationale Adaptionen von "Queer Eye" in Aussicht gestellt hat, kommt der RBB dem Streamingdienst zuvor.

Offensichtlichster Unterschied: Aus den ‘Fab Five’ wurde in "Queer 4 You" ein männliches Quartett, womit der Titel auch noch einmal etwas mehr Sinn macht. Chris Glass ist Interior-Designer und sorgt dafür, dass sich die Protagonisten fortan wohl fühlen, wenn sie nach Hause kommen. Christian Fritzenwanker ist der Beauty-Experte, der dem Gesicht seiner Kandidatin die Frische verleihen möchte, die sie tief in sich trägt. Fabian Hart rundet die äußere Erscheinung als Mode-Journalist ab, während der integrale Coach Sven Rebel das Innenleben seines Gegenübers aufpolieren soll. Was somit fehlt, wenn man die Formate vergleicht, ist der “Queer Eye”-Experte für Wein und Essen.

Queer 4 You

Das Queer-Quartett macht sich an die Arbeit

Das deutsche Pendant fühlt sich in den ersten Folgen dann aber leider noch zu sehr nach “Shopping Queen” an, in der die Kandidaten durch die verschiedenen Dimensionen ihres Make Overs geschleust werden, um am Ende noch einmal fix mit der Vorher-Nachher-Vergleichskamera draufzuhalten. Ohne Frage: Die Freude der Kandidaten darüber, dass das Experten-Quartett ihr Leben auffrischt, ist nicht gespielt, aber bei “Queer 4 You” geht es noch zu wenig darum, wirklich auf die Protagonisten einzugehen, als zu erwähnen, wie wichtig es ist, dass nun schwule Männer im Fernsehen zu sehen sind. 

Die Produktion der Leitwolf TV & Film sollte sich trauen, mehr zu wollen als auf den ausgetrampelten Pfaden der Make Over-Formate zu wandeln. Auch hier muss der Vergleich zum Original genommen werden: “Queer Eye” erkundet mit den Protagonisten den Alltag, ist unterwegs und nicht nur in Räumen gefangen. Alles wirkt statisch, da ändert eine schwenkende Kamera auch nichts. Beim Netflix-Original taucht man stärker ein in die Geschichte der jeweiligen Protagonisten, so dass man am Ende nicht nur das optische Make Over sehen kann, sondern auch nachvollziehbar miterleben kann, wie sich Haltung oder Motivation ändern.

Ist “Queer 4 You” also nur eine dreiste Kopie? Formattechnisch ja. Nicht ohne Grund sorgte das Format seit seiner Ankündigung in der Woche für Weihnachten für Aufregung in der Produktionslandschaft, weil schon länger keine so freche Kopie realisiert wurde. Ist es aber aus Zuschauersicht sehenswert? Ja, durchaus. Wie schon beim Vorbild trägt die positive Grundhaltung durch die Sendung, macht Laune. Allerdings muss sich der RBB entscheiden: Soll das Quartett selbst einen Kultfaktor entwickeln wie die Fab Five von Netflix, dann darf man das Format nicht verstecken. Und wenn das Format auch inhaltlich wirklich überzeugen will, muss es mehr Beziehung zu den Protagonisten herstellen.

Die ersten drei Folgen von "Queer 4 You" startet am 27. Dezember in der ARD Mediathek und ist anschließend ab dem 13. Januar immer montags um 21 Uhr im RBB zu sehen.