Die Geschichte des Hexers Geralt von Riva beginnt im Jahr 1985. Der polnische Handelsvertreter Andrzej Sapkowski trägt seine Vorliebe für Fantasy-Literatur in einen Kurzgeschichtenwettbewerb und interpretiert die Volkssage des "Schusters und des Wawel-Drachen" in einer für ihn realistischeren Inszenierung neu. Ihm kam es komisch vor, dass ein einfacher Schuster einen Drachen niederstrecken kann, während ausgebildete Ritter scheiterten. Es bräuchte doch eine Art Spezialisten, der professionell Monster jagt und sich dafür entlohnen lassen würde. Jemand wie Geralt von Riva, der mittlerweile in allerhand Kurzgeschichten und Videospielen seine Abenteuer bestreitet. Netflix hat sich nun der Aufgabe angenommen, seine Geschichte als Serie zu adaptieren. Doch inwiefern kann "The Witcher" mit der polnischen Ausnahmeliteratur und den hochgefeierten Spielen von CD Projekt Red mithalten?

Die Fallhöhe war im Vorhinein auf jeden Fall ordentlich. Wenn man sich die Vita verfilmter Literatur und Videospiele anschaut, ist die Quote für einen Flop beeindruckend hoch. Ob wir nun über die "Eragon"-Reihe sprechen, die das neue "Harry Potter" hätte werden können, oder "Far Cry" von Uwe Boll. Das Potenzial wird regelmäßig derart verschenkt, dass selbst das Ursprungswerk nicht selten einen kleinen Kratzer erleidet. Bei "The Witcher" reden wir ebenfalls von einer enorm großen Welt, ähnlich der von "Der Herr der Ringe", wo es Nerds als Macher braucht, um ein Auge für die kleinsten Details zu haben.

Auf den Schultern von Lauren Schmidt liegt zur Premiere also mächtig Druck. Die Showrunnerin von "The Witcher" hatte vorher keinen vergleichbaren Job, war sonst immer Autorin oder Co-Produzentin von Werken wie "The West Wing" und "The Umbrella Academy". Umso beeindruckender ist das, was sie auf die Beine gestellt hat: Ein Epos, das alle Wünsche befriedigt. "The Witcher" schafft das scheinbar Unmögliche und lädt alle "Game of Thrones"-Fans, die sich nach dem Finale des HBO-Hits verloren fühlen, zu einem neuen Abenteuer ein. An manchen Ecken zeigt Geralt von Riva bereits in der ersten Staffel, woran es sogar "Game of Thrones" bis zuletzt mangelte.

Die Lore von George R.R. Martin hatte nie damit gegeizt, Übernatürliches und fantasievolles in seiner Erzählung Platz nehmen zu lassen. Doch wurde in der Serie oft nur von bestimmten Wesen gesprochen, ohne sie je gezeigt zu haben. "The Witcher" zeigt bereits in den ersten Episoden, dass der Monsterköcher ordentlich gefüllt ist. Ein schleimiges Tentakelwesen hier, Elfen und Faune da. Fans der Bücher und Spiele werden dabei gleichermaßen überrascht. Schmidt inszeniert allerhand Monster, die dort gar nicht vorkommen. Sie basieren auf der polnischen Folklore und sind nur einer von vielen Beweisen dafür, dass "The Witcher" wohl überlegt wurde, und nicht nur ein billiger Abklatsch der Vorlage sein soll. Erschreckend ist deswegen, dass "The Witcher" an manchen Stellen qualitativ zu hinken beginnt - wer sich noch an "Hercules - The Legendary Journeys" mit Kevin Sorbo erinnert, wird auch hier in den verblüffendsten Momenten realisieren, dass der Netflix-Blockbuster gerne mal zum Sonntagnachmittag-Adventure verkommt. Das hält sich zwar im Rahmen, verärgert aber über die liegen gelassenen Möglichkeiten. 

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Geralt von Riva selbst ist ein wahrgewordener Casting-Traum. Henry Cavill ("Man of Steel") wollte die Rolle unbedingt und bereits nach wenigen Minuten Screentime wird klar, warum – er ist ein ebenso großer Fan des Hexers, wie Lauren Schmidt. Er stellt Geralt von Riva nicht nur da. Er ist Geralt von Riva. Ein derartiges Method-Acting, wie er es abliefert, sorgt dafür, dass eine Adaption dieser Kategorie im ersten Eindruck ernst genommen werden kann. Die drei Produktionsfirmen Pioneer Stilking Films ("The King"), Platige Image ("Wonder Woman") und Sean Daniel Company ("The Expanse"), die aus den Vereinigten Staaten und Polen stammen, zaubern eine Welt, die mit Cavill freudigerweise auf einem Level spielt. Besonders verblüffend: Die Choreografien der Kämpfe. "The Witcher" setzt hier ganz neue Maßstäbe und lassen ein "Game of Thrones" in dieser Hinsicht tatsächlich alt aussehen.

Was sich entfalten muss, ist die Erzählung an sich. Diejenigen, die die Spiele gespielt oder die Kurgeschichten gelesen haben, wissen, auf welch epische Weise sich das Ganze ausdehnen wird. Alle anderen dürften sich erst einmal wundern, warum es dann doch etwas behäbiger los geht. Geralt von Riva und die anderen Protagonisten werden umsichtig eingeführt und dem Zuschauer innerhalb der ersten Folgen derart smooth an die Hand gegeben, dass die Schicksale dieser Figuren äußerst schnell an Wichtigkeit gewinnen. Neben all den Fantasy-Aspekten, die in hervorragender Manier präsentiert werden, haben es die Autoren ebenfalls geschafft, emotional packend in ein Abenteuer zu entführen, dass das Potenzial für zig Staffeln mitbringt.

"The Witcher" hat alle Stärken aufgenommen, die bereits im Videospiel "The Witcher 3 – Wild Hunt" aufgetaucht sind, welches 2015 dafür sorgte, dass Geralt von Riva weltweit bekannt wird. Der Hexer hat am laufenden Band mit schwerwiegenden Entscheidungen zu kämpfen, bei denen selbst der besserwisserische Zuschauer nicht immer auf Anhieb weiß, welche er wählen würde. Die Geschichte bekommt damit stetig einen dramaturgischen Drill, der dafür sorgt, dass "The Witcher" ebenso wunderschön wie konsequent wirkt. Die harte Inszenierung der Schlachten und Kämpfe tun ihr übriges. Netflix hat mit "The Witcher" nun eine Serie im Portfolio, die in Zeiten von immer mehr Streamingdiensten Gold wert sein kann. Ein ernstzunehmender "Game of Thrones"-Nachfolger für das nächste Fantasy-Epos wurde gefunden.

Die erste Staffel von "The Witcher" ist ab sofort bei Netflix zu sehen. Eine zweite Staffel wurde bereits bestellt.