Wer Jannis Niewöhner gegenübersitzt, ganz ohne Skript und Licht und Kamera, könnte glatt seine Zweifel kriegen, ob der leibhaftige Mensch hinter den hyperintensiven Filmfiguren, die ihn langsam zu unübersehbarer Bekanntheit verhelfen, wirklich deckungsgleich ist mit jenem Darsteller, der sie so furios interpretiert. Ganz leise redet er im Dialog und lächelt leicht scheu über seinen Schlabberpulli hinweg. Mit unstetem Blick sagt der bildhübsche Jannis dann artige Sachen wie „die Arbeit hat echt Riesenspaß gemacht“, dankt dem Regisseur brav für dessen „gute Ansprache“, zeigt sich auch sonst bescheiden, dankbar, fast demütig, und verdeutlicht all dies mit folgender Anekdote: Als er Freunden Handyvideos einer Serie gezeigt habe, die ihn knapp zwei Jahre später auch weltweit bekannt machen wird, „hatte ich zum allerersten Mal das Gefühl, Gleichaltrige finden interessant, was ich so mache“.

Gut, Gleichaltrige fanden gewiss auch seine früheren Werke – wenn schon nicht interessant, dann doch sehr unterhaltsam: mit kaum 13 Jahren als unscheinbares Dorfcliquenmitglied in Christian Züberts Jugendabenteuer „Der Schatz der weißen Falken“ etwa, nur Monate später bereits ganz oben auf der Besetzungsliste vom Hörspiel-Kino „TKKG“, danach im steten Wechsel „Wilde Hühner“ und „Freche Mädchen“ – ergänzt um Serieneinsätze vom Alten bis zur „SOKO“, lieferte er lange Zeit meist zielgruppengerechtes Popkornentertainment für die halbe Familie – zusehends mit Niewöhners zuckersüßem Gesicht ganz weit vorn vor der Kamera. Dort also, wo Mädchenherzen besonders gut haften.

An Robert Schlag jedoch, seiner Hauptrolle in der drogendampfenden, technostampfenden, blut-, schweiß-, sperma- und tränentropfenden, also ziemlich unkindlichen Thriller-Serie „Beat“, hing dann kein Teenagerherzblut mehr, sondern was völlig anderes, für den erfolgsverwöhnten Sohn eines linksrheinischen Bühnenregisseurs (noch) Ungewohntes: Ruhm. Handfester, zählbarer, marketingflankierter Ruhm. Weltruhm sogar. Für den viril verstrahlten Musikproduzenten in Marco Kreuzpaintners Milieustudie bekam Jannis Niewöhner schließlich nicht nur den begehrten Grimme-Preis für die beste Serie 2018; jetzt könnte der ungleich größere Emmy für ihn persönlich folgen, Kategorie „bester Schauspieler“, verliehen in New York. Größtmögliches Kino.

In den Materialschlachten des "Streaming Wars" wäre das nicht weniger als der endgültige Freifahrtschein in die weite Welt internationaler Serienproduktionen – sofern es der ewige Nachwuchsstar nach 17 seiner 27 Jahre im Filmgeschäft überhaupt noch nötig hat. In der amerikanischen Agentenserie „Berlin Station“ hatte er ja schon 2016 bei Netflix auch international auf sich aufmerksam gemacht, was ihm hierzulande kurz darauf mit zwei herausragenden Werken noch nachhaltiger gelang: als verwahrloster Straßenmusiker, der einem klerikalen Prediger (Edgar Selge) im ARD-Drama „So auf Erden“ mit viel Körpereinsatz zum Coming-Out verhilft. Und natürlich mit der zeitgenössischen Adaption von Horváths Coming-of-Age-Klassiker „Jugend ohne Gott“, die dem Ensemble vitrinenweise Filmpreise eingebracht hat – dank, ein bisschen aber auch trotz Jannis Niewöhner.

Mit seiner verstörend impulsiven Art saugt der ungelernte Instinktschauspieler nämlich schnell alle Aufmerksamkeit an. Wenn er Filmsätze spricht, klingen sie nur selten mal bloß gelernt, sondern vielfach impulsiv, besessen, triebhaft, teilweise wie improvisiert und nicht selten sogar, als sei er wie „Beat“, die Paraderolle unter lauter Paraderollen, auch real voll auf Drogen. „Manchmal hat er mehr mich gespielt als ich ihn“, meinte Jannis Niewöhner bei der Serienpremiere in Berlin und wirkte fast von sich selbst überrascht. Das allerdings könnte durchaus ein bisschen Understatement sein, womöglich sogar Pose. Schließlich dürfte er sich nicht ganz zufällig mit ähnlich heißen Eisen wie Elias M’Barek, Florian David Fitz oder Jannik Schümann die Superstaragentur teilen. Und mit etwas schmutziger Fantasie ließe sich gar die Liebesbeziehung zur ähnlich angesagten Kollegin Emilia Schüle als so gezielt karrierefördernd interpretieren, wie sie auf dem superstarpaarsüchtigen Boulevard nun mal ist.

Könnte, dürfte, ließe – es sind indes ein paar Konjunktive zu viel fürs einschüchternde Talent dieses Autodidakten aus gutem Theaterhause, dessen knieerweichender James-Dean-Gedächtnisblick aus blauen Augen auf Bildschirm und Leinwand fast nie berechnend wirkt. Nicht mehr zumindest. Denn annähernd zwei Jahrzehnte nach seinem Kinderrollendebüt im „Tatort“ Münster, hat sich Jannis Niewöhner längst von aller Niedlichkeit freigespielt – raus aus dem Brot-und-Butter-Mittelmaß von „Stolberg“ bis „Ostwind“, hoch auf die Weltbühne global wahrgenommener Streamingserien wie „Beat“ oder „Berlin Station“, in denen er endlich Mut zur Hässlichkeit zeigt. Es dürften nicht die letzten sein, mit denen er noch vorm 30. Geburtstag auch international für Furore sorgt. Im Grunde steht er ja erst am Anfang seiner Karriere – und ist doch längst dort, wo viele niemals hinkommen.